Experte über VW, Behörden und Abgase: „Es könnte mehr Rückrufe geben“

Dass Autos auf dem Prüfstand anders reagieren als auf der Straße, ist seit 10 Jahren bekannt, sagt Axel Friedrich. Ein Gespräch über Wartung und Verantwortung.

Ein VW-Symbol, im Hintergrund ein Schraubenschlüssel in einem Display

„Vermutlich wird die Nachrüstung aber innerhalb eines Tages abzuwickeln sein“, sagt Axel Friedrich. Foto: dpa

taz: Herr Friedrich, dem Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg reichen die freiwilligen Rückrufpläne von VW nicht. Traut man dem Konzern nicht mehr?

Axel Friedrich: Einen solchen Rückruf hat es noch nie gegeben. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat sich immer darauf verlassen, dass die Hersteller ihre defekten Autos selbst in die Werkstätten zurückbeordern. Dabei sollte es eigentlich normal sein, dass die Zulassungsbehörden den ­Rückruf anordnen, wenn erhebliche Mängel bei der Abgasreinigung bestehen. Bisher hat sich Flensburg da aber geweigert.

Vielleicht sah die Leitung des Amtes nie „Gefahr im Verzug“?

Das ist gar nicht nötig. Wenn es erhebliche Mängel gibt, müssen diese abgestellt werden. Jedes Jahr sterben in Europa 430.000 Menschen vorzeitig, weil die Luft nicht sauber ist. Das ist doch ein ausreichender Grund. Alle haben mittlerweile eingesehen, dass die VW-Diesel einen erheblichen Mangel haben.

Müssen VW-Fahrer nun tagelang ohne Auto auskommen?

Wie die Autos genau instand gesetzt werden, ist noch nicht ganz klar. Bis die technischen Lösungen entwickelt sind, wird es noch etwas dauern. Vermutlich wird die Nachrüstung aber innerhalb eines Tages bei einer normalen Wartung mit abzuwickeln sein.

hat den Internationalen Rat für sauberen Verkehr mit gegründet. Bis 2008 leitete der heute 67-Jährige die Abteilung „Umwelt und Verkehr“ im Umweltbundesamt.

Steht den Fahrzeughaltern Schadensersatz zu?

Dafür müssten sie einen persönlichen Schaden nachweisen, das dürfte aber schwierig werden. Den Schaden hat die Umwelt.

Warum greift das Amt in Flensburg jetzt ein?

Dem Verkehrsministerium, dem das Kraftfahrt-Bundesamt untersteht, wird es ein Anliegen gewesen sein, dass die Flensburger endlich ihrer Kontrollfunktion nachkommen. Dass Autos so gebaut sind, dass sie die Stickoxidgrenzwerte bei Messungen auf der Straße anders als auf dem Prüfstand um ein Mehrfaches überschreiten, ist in Fachkreisen schon seit gut zehn Jahren bekannt.

Welche Verantwortung trägt die Behörde?

Die Behörde hätte die Autos viel früher im realen Betrieb testen müssen. Allerdings hat sie vom Verkehrsministerium dafür auch kein Geld bekommen.

Wie unabhängig ist Flensburg?

Sie finanziert sich zu einem Teil durch die Zulassung neuer Modelle. Diese ist eine Dienstleistung. Dafür zahlt die Autoindustrie Geld. Die Behörde arbeitet also eng mit den Herstellern zusammen. Und sie konkurriert mit anderen Zulassungsstellen in Europa. Hat ein Autobauer Probleme bei der Zulassung, droht er einfach damit, zu einer Stelle in irgendeinem anderen EU-Land zu gehen. Das können sie machen. Natürlich schaut da jeder, dass er keinen Auftrag verliert. Und so gibt es eine Verbindung zwischen Behörde und Industrie, die dazu führt, dass nicht ausreichend kontrolliert wird.

Was müssen andere Autokonzerne fürchten?

Das Verkehrsministerium prüft jetzt auch Kfz anderer Hersteller. Die Daten, die wir haben, zeigen, dass viele Hersteller vielleicht nicht überhöhte Stick­oxid-, aber Kohlendioxidwerte haben. Also könnte es auch noch mehr Rückrufe geben.

Muss man Diesel abschreiben, wenn die strengere Aufsicht kommt – weil er nur durch Tricks umweltfreundlich wird?

Nein, denn es gibt Gegenbeispiele, etwa die Limousine BMW-i5 Diesel. Dieses Auto hält die Grenzwerte in Kalifornien ein, und die sind bis zu viermal schärfer als in Europa.

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