Experte über Vogelgrippe: „1 Gramm Kot kann 1 Million Hühner infizieren“
Vogelseuchenexperte Timm Harder über die Gefahren des aktuellen Ausbruchs – und warum er dieses Jahr besonders auffällt.
taz: Herr Harder, mit dem Vogelzug breitet sich wie in jedem Herbst auch in diesem wieder die Vogelgrippe aus. Offenbar schneller und tödlicher als beispielsweise im Vorjahr. Warum?
Timm Harder: Vermutlich liegt es daran, dass wir aus psychologischen Gründen den Blick besonders konzentriert auf die am meisten betroffene Vogelspezies richten, den Kranich. Der ist bei uns sehr positiv besetzt, gilt als sozial, als Vogel der Hoffnung und des Glücks. Zudem sind Kraniche groß und weithin sichtbar, in der Luft und auf den Äckern. Emotional scheint jedes tote Exemplar so doppelt und dreifach zu zählen. Wenn wir jedoch den Verlauf der Vogelgrippe in diesem Jahr mit den Vorjahren und über alle Populationen vergleichen, sticht dieses nicht besonders heraus. Es gab Jahre, in denen zur gleichen Zeit genauso viele Wildvögel und Geflügelbetriebe betroffen waren. Und beispielsweise im Jahr 2022 war die Lage noch dramatischer, damals traf es besonders Nonnengänse und Seevögel.
taz: Aber der Kranich ist in diesem Jahr schon besonders betroffen. Woran liegt das?
Harder: Wir denken, dass es ein unglückliches Zusammentreffen von Virus und Kranichpopulation ist. All unsere Daten deuten darauf hin, dass das Virus eine Variante von H5N1 ist, des Virus, das wir schon seit 2006 kennen. Es handelt sich allerdings nicht um eine kranich-adaptierte Variante, wir finden das Virus auch bei anderen Arten und auch im Geflügel.
Timm Harder
ist Veterinärvirologe und leitet am Friedrich-Loeffler-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, das Labor für Aviäre Influenza und Geflügelpest. Dies forscht unter anderem zur Ausbreitung und Eindämmung von Influenzaviren unter Vögeln.
taz: Wie breitet es sich aus?
Harder: Es kann sich direkt von Tier zu Tier übertragen, zum Beispiel durch feine Tröpfchen in der Luft, aber auch indirekt. Das Wasser, in dem die Kraniche abends zum Übernachten stehen – und das sie nicht selten mit Gänsen und Enten teilen –, ist beispielsweise ein wunderbares Übertragungsmedium.
taz: Geflügelzüchter sorgen sich davor, dass sich ihre Hühner, Enten und Gänse mit der Vogelgrippe infizieren. Wie lässt sich das verhindern?
Harder: Es gibt eine ganze Reihe sogenannter biophysikalischer Sicherheitsmaßnahmen, um die Welt des Geflügels von der der Wildvögel abzuschotten. Dazu gehören vielfältige Hygienemaßnahmen der Halter, beispielsweise nicht mit den Straßenschuhen in die Stallanlagen zu gehen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, das Geflügel so zu halten, dass es nicht mit dem Virus in Kontakt kommen kann. Eine Stallhaltung kann das erleichtern. Die wiederum wollen die Verbraucher in der Regel nicht, sondern bevorzugen Freilandhaltung. Ausscheidungen von Wildvögeln, oder Krümel davon, können sich auf Freilandbetriebe jedoch leichter verirren. Und das kann gefährlich werden. Ein Gramm Kot von einem infizierten Vogel genügt theoretisch, um eine Million Hühner zu infizieren.
taz: Wie viel Kot scheidet ein Kranich am Tag aus?
Harder: Sicher 50 Gramm und mehr. Und es gibt zahlreiche Wege, wie auch nur Partikel davon in einem Geflügelbetrieb landen kann.
taz: Könnte man das Geflügel in den Betrieben nicht gegen die Vogelgrippe impfen?
Harder: Doch, seit 2023 ist das auch EU-weit erlaubt. Frankreich hat bereits seine Entenpopulation geimpft. Jedoch gibt es ein Problem. Die Impfung, die wir heute verabreichen können, bietet keine sterile Immunität. Das heißt: Auch geimpfte Hühner, Puten oder Gänse können sich mit dem Virus infizieren. Sie bleiben dann zwar klinisch gesund, können das Virus aber noch vermehren und übertragen. Um stets sicherzustellen, dass Bestände nicht infiziert sind, müssen sie alle 30 Tage vom Amtstierarzt stichprobenartig kontrolliert werden. In Frankreich kostet das etwa 120 Millionen Euro pro Jahr. Wenn Betriebe mit der Geflügelproduktion Geld verdienen wollen oder müssen, zählen auch wirtschaftliche Aspekte, dann stehen den Impfkosten die Aufwendungen für die Keulung infizierter Bestände entgegen. Im Moment geht diese Rechnung in Deutschland noch zugunsten der Keulung aus.
taz: Wie gefährlich ist die Vogelgrippe für uns Menschen?
Harder: Nicht so sehr, wenn wir das derzeit zirkulierende Virus betrachten. Menschen sind nicht sonderlich empfänglich dafür. Es braucht eine sehr hohe Dosis, bevor es in Regionen des menschlichen Atemtrakts vordringen kann, wo es Zellen findet, in denen es sich vermehren kann. Deswegen ist die Wahrscheinlichkeit einer Infektion durchschnittlich gering. Aber gerade bei Tätigkeiten mit infizierten Tieren, in betroffenen Geflügelbetrieben oder bei der Bergung von Kranichen und anderen Wildvögeln, muss man streng darauf achten, sich zu schützen. Mindestens mit einer FFP3 Maske, einer Schutzbrille, Einmalhandschuhen und einem Einmaloverall.
taz: Können sich Haustiere infizieren?
Harder: Für Hunde ist das Risiko aus gleichen Gründen wie beim Menschen gering. Gefährlich ist das Virus jedoch für Katzen. Wenn sie infizierte Vögel fressen, infizieren sie sich schnell, erkranken schwer und sterben. Das wurde zuletzt in Polen deutlich. Dort ist infiziertes, rohes Geflügelfleisch auf den Tiernahrungsmarkt gekommen. 70 Katzen sind daran verendet.
taz: Das Virus bleibt auch im Fleisch gefährlich?
Harder: Nicht, wenn man es erhitzt. 70 Grad zwei Sekunden reichen.
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