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Expertin über das Rahmengesetz zu DWE„Ein Versuch, Artikel 15 Grundgesetz unmöglich zu machen“

Die Berliner CDU und SPD greifen mit dem Rahmengesetz das Grundgesetz an, sagt eine Juristin der DWE-Expert:innenkommission. Das Gesetz sei juristisch belanglos.

Vergesellschaftungsrahmengesetz – kein Grund den Korken knallen zu lassen Foto: Ipon/imago
Timm Kühn

Interview von

Timm Kühn

taz: Frau Mangold, am Mittwoch haben SPD und CDU ein Vergesellschaftungsrahmengesetz vorgelegt. Sie waren Mitglied der Ex­per­t:in­nen­kom­mis­si­on zu DW Enteignen. Ist das ein Schritt auf die Vergesellschaftung zu – oder einer davon weg?

Anna-Katharina Mangold: Nach meiner Lektüre geht es in dem Gesetz darum, dem Vergesellschaftungsartikel 15 im Grundgesetz so enge Grenzen zu ziehen, dass er keine Wirkung mehr entfalten kann. Sie können Artikel 15 nicht streichen, weil sie dazu keine Macht haben. Aber sie versuchen alles, um das Instrument der Vergesellschaftung zu verunmöglichen.

taz: Woran machen Sie das fest?

Mangold: An zwei Aspekten. Erstens daran, dass im Gesetz der Zweck der Vergesellschaftung auf die Sicherstellung der Daseinsvorsorge verengt wird. Aber es geht im Grundgesetz bei Artikel 15 nicht um die sozialstaatliche Daseinsvorsorge. Sondern um eine andere Eigentumsordnung, darum, dessen Privatnützigkeit zu beenden.

Bild: privat
Im Interview: 

Anna Katharina Mangold ist Professorin für Europarecht an der Europa-Universität Flensburg und war 2022/23 Mitglied in der Expertenkommission des Berliner Senats zur Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen.

taz: Können Sie den Unterschied deutlicher machen?

Mangold: Die historische Genese des Grundgesetzes ist, dass im Artikel 14 der Eigentumsschutz festgeschrieben ist, daneben in Artikel 15 aber die Möglichkeit der sozialistischen Utopie einer Vergesellschaftung festgehalten wurde. Das hat damals die SPD erkämpft. Ich kann es kaum glauben, dass nun ausgerechnet die SPD den Artikel so umdeutet, dass es darin um soziale Marktwirtschaft gehe. Der ganze Punkt ist, dass die Marktwirtschaft beendet werden soll. Weil diese eben immer privatnützig funktioniert.

taz: Wie lautet Ihr zweiter Punkt?

Mangold: Der betrifft die enge Definition von Verhältnismäßigkeit im Gesetz. Die muss natürlich gewährleistet werden. Aber wenn SPD und CDU jetzt mit Verweis auf die Verhältnismäßigkeit sagen, dass die Entschädigung vom Verkehrswert ausgehen soll, dann schreibt dies die Eigentumsordnung fort. Die Konzerne besitzen ja dann immer noch: nur eben Geld statt Immobilien. Noch mal: Es geht in Artikel 15 um die freie, demokratische Entscheidung, die Marktwirtschaft zu beenden.

taz: Wie gefährlich ist das Gesetz denn Ihrer Einschätzung nach? Das Grundgesetz wird es ja nicht aushebeln können …

Mangold: Exakt. Wir haben es mit verfassungsrechtlichen Quatschjura zu tun. Eigentlich hat das Gesetz überhaupt keinen Regelungsgehalt, weil es nur eine politische Selbstbindung des Senats und des Abgeordnetenhauses ist. Es ist eine gesetzliche Festschreibung einer politischen Position. Aber jeder künftige Senat – selbst derselbe – kann das Gesetz einfach wieder abschaffen oder ein neues Gesetz schreiben. Es hat keinerlei Bindewirkung.

taz: Erklären Sie.

Mangold: Das Grundgesetz bleibt ja bestehen. Und auch in Berlin hat das Gesetz keinen Verfassungsrang. Juristisch ist es so, dass jedes neue Gesetz die älteren Gesetze aufhebt. Weder das Abgeordnetenhaus noch der Senat ist also an dieses Rahmengesetz gebunden. Das Gesetz ist auch nicht höherrangig als eine direktdemokratische Abstimmung. Wenn DW Enteignen mit einer Volksgesetzgebung erfolgreich ist, entfaltet das unmittelbar Wirkung – und dann gilt dieser Volksentscheid, nicht das Rahmengesetz.

taz: Die SPD argumentiert: Es braucht das Rahmengesetz, damit Karlsruhe signalisieren kann, wie rechtssicher enteignet werden kann. Macht das keinen Sinn?

Mangold: Ich bezweifle, dass es überhaupt einen Gegenstand gibt, über den das Bundesverfassungsgericht entscheiden kann. Ich frage mich ernsthaft, ob man überhaupt von einem Gesetz reden kann, weil es keinen Regelungsgehalt hat. Es ist ein Rahmengesetz, das keinen Rahmen setzt. Es ist nur die Willensbekundung des Senats, wie er Vergesellschaftung versteht.

taz: Ist das Gesetz auch ein Affront gegen die Arbeit, die die Ex­per­t*in­nen­kom­mis­si­on geleistet hat?

Mangold: Absolut. Der Senat hat viel Geld in eine Ex­per­t:in­nen­kom­mis­si­on gesteckt, hat sich eine enorme verfassungsrechtliche Expertise eingekauft. Die SPD war daran beteiligt. Jetzt ist da nicht dabei herausgekommen, was die SPD wollte, also versuchen sie, über die Hintertür die Verfassungsmäßigkeit von Vergesellschaftung doch anzuzweifeln. Es ist ein präzedenzloser Vorgang in der Verfassungsgeschichte, dass eine Landesregierung ein Gesetz nur mit dem Zweck erlässt, es als verfassungswidrig klassifizieren zu lassen.

taz: Sie haben eben schon kritisiert, dass das Gesetz in Sachen Entschädigung vom Verkehrswert ausgeht, also von dem Preis, die die Immobilien aktuell auf dem Markt erzielen. Wie hat denn die Ex­per­t:in­nen­kom­mi­si­on die Entschädigungsfrage bewertet?

Mangold: Wir haben einen Mittelwert zwischen zwei möglichen Radikalvarianten gewählt. Die erste Variante sagt, wir entschädigen nur minimal den Substanzwert, weil es hier um eine radikale Neuaufstellung des Marktsegmentes geht. Die andere Radikalauffassung wird nun von CDU und SPD vertreten, die vom sogenannten Verkehrswert, also dem Wert auf dem Markt, ausgeht. Als Kommission haben wir gesagt: Abschläge vom Verkehrswert sind verfassungsrechtlich zulässig. Leistungsloser Wertzuwachs wegen gestiegenen Boden- und Eigentumswerten muss nicht entschädigt werden, die Sozialpflichtigkeit von Eigentum ist zu berücksichtigen.

Es geht in Artikel 15 um die freie, demokratische Entscheidung, die Marktwirtschaft zu beenden.

Juraprofessorin Anna-Katharina Mangold über Artikel 15 Grundgesetz

taz: Im Gesetz ist auch davon die Rede, dass Vergesellschaftung nicht möglich sein soll, wenn diese die Leistungsfähigkeit des Landeshaushalts erheblich einschränkt. Kann dies das Vorhaben noch kippen?

Mangold: Nein, das ist alles substanzlos. Die Politik trifft ja ständig Entscheidungen, die den Haushalt belasten. Wo soll man denn da die Grenze ziehen? Bei jeder Entscheidung geht es um die Abwägung: Ist uns dieses Vorhaben das Geld wert?

taz: Wie geht es jetzt weiter mit DW Enteignen und dem eigenen Gesetzesvolksentscheid? Wird das Rahmengesetz den Prozess noch mal in die Länge ziehen?

Mangold: Nein, die Initiative muss nicht auf Karlsruhe warten. DWE sollte jetzt unbedingt vorangehen und die Verhinderungstaktik ignorieren. Und die SPD sollte sich Gedanken machen, ob sie wirklich das ursozialdemokratische Instrument der Vergesellschaftung verhindern will. Aber immerhin das macht dieser Gesetzesentwurf deutlich: wer etwas machen – und wer etwas verhindern will.

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6 Kommentare

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  • Eine Entscheidung über das Thema Enteignung vor der nächsten Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus wäre hilfreich. Dann gibt es wenigstens keine Illusionen bei den Wählern der einen oder anderen Seite.

  • Dieses Interview tut der Reputation von Frau Mangold nicht gut, zumal sie scheinbar weniger als Rechtsexpertin und mehr als Aktivistin zu sprechen scheint. Und fachlich...



    Nein, der Art. 15 GG hatte nicht das Ziel den Sozialismus zu ermöglichen, solch eine Intention hätte auch 1949 nicht die (zwingend notwendige) Zustimmung der Westalliierten erfahren.



    Und die Entschädigung nach Verkehrswert steht durch den Verweis auf Art. 14 Abs. 3 S. 3 und 4 schlicht im Art. 15 genau so drin und ist durch das BVerfG wiederholt als Untergrenze bestätigt worden, u.a. mit der recht einleuchtenden Begründung, dass Art. 14 GG anderenfalls seine Wirkung verlieren würde.

    • @Samvim:

      das BVerfG hat noch nie den verkehrswert als untergrenze einer entschädigung mit blick auf art. 15 bestätigt und zwar schlicht und ergreifend deswegen, weil es sich noch nie mit vergesellschaftungsgesetzen auf grundlage von art. 15 gg befassen musste. der begriff verkehrswert kommt übrigens weder in art 14 noch in art 15 vor.

  • "Aber wenn SPD und CDU jetzt mit Verweis auf die Verhältnismäßigkeit sagen, dass die Entschädigung vom Verkehrswert ausgehen soll, dann schreibt dies die Eigentumsordnung fort. Die Konzerne besitzen ja dann immer noch: nur eben Geld statt Immobilien. Noch mal: Es geht in Artikel 15 um die freie, demokratische Entscheidung, die Marktwirtschaft zu beenden."

    Genau darum geht es in dem Artikel 15 NICHT! Und genau deshalb ist das ganze Enteignungsbohei schlicht kokolores.



    In Artikel 15 Satz 2 steht explizit das für die Entschädigung Artikel 14 Abs. 3 S. 3 und 4 gilt.



    Satz 3 lautet: Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen.

    Das Interesse von DW oder Voinovia ist die Wohnung behalten oder Geld und das steht Ihnen zu.

    Der Artikel 15 ist keine Sozialistische Utopie, denn er enthält nichts Sozialistisches. Oder war die Kohleenteignung sozialistisch?

    Das Frau Mangold so einen Quatsch raus haut spricht nicht für Sie und den Lehrstuhl den sie inne hat.

    Dieser EInzeiler Artikel 15 als Möglichkeit der Beendigung der Marktwirtschaft zu sehen ist einfach falsch!

    • @Walterismus:

      vorsichtig formuliert: eine eigenwillige rechtsauffassung. schon mal über den begriff vergesellschaftung (sozialisierung) und gemeineigentum (gegenteil von privateigentum) nachgedacht, die sich beide in art 15 gg finden?

      im übrigen folgt aus einer abwägung von interessen nicht, dass dem interesse der einen partei unbedingt stattgegeben werden muss, und aus dem interesse einer partei an einer sache leitet sich nicht ab, dass ihr diese sache in der von ihr gewünschten form zusteht. auch das ist eine (wieder vorsichtig formuliert) eigenwillige rechtsauffassung.

      • @Pflasterstrand:

        Nein gängige Rechtsauffassung. Die Schlagworte finden sich zwar darin, ändert aber nichts an dem Verweis auf Artikel 14 Abs. 3 S. 3 welcher eine gerechte Abwägung der Interesse der Beteiligten vorschreibt.



        Daraus geht hervor, dass dem Interesse der einen Partei auch stattgegeben werden muss. Weshalb auch jede bisher vorgenommene Enteignung deutlich über dem Verkehrswert des Grundstücks vorgenommen wurde. Teils um weit über 200%.

        Ich muss Ihnen daher leider sagen, dass Ihre Rechtsaufassung weder der gängigen Rechtsprechung noch Literatur entspricht.



        Was Frau Mangold hier gesagt hat ist schlicht aktivistischer Unsinn.