Explosionen in chinesischer Hafenstadt: Mit der Kraft von 21 Tonnen TNT

Bei schweren Detonationen in Tianjin sind mindestens 44 Menschen ums Leben gekommen. Noch ist die genaue Ursache unklar.

Feuerwehrleute arbeiten während im Hintergrund das Feuer der Explosion sich ausbreitet

Vor Ort bietet sich ein Bild der Verwüstung. Foto: reuters

BERLIN taz | Zhang Wei dachte zunächst an ein Erdbeben. Denn der Boden seiner Wohnung im 23. Stock vibrierte. „Das wäre aber nicht so laut gewesen“, schildert der 28-Jährige am Morgen danach. Im nächsten Moment hörte er erneut einen weiteren, noch lauteren Knall. Er blickte aus dem Fenster und sah in der Ferne einen gigantischen Feuerball über den Hafen von Tianjin stehen. Seine Wohnung ist rund 15 Kilometer von der Hafenanlage entfernt.

Zwei heftige Detonationen haben in der Nacht zum Donnerstag die ostchinesische Hafenstadt Tianjin erschüttert und mindestens 44 Menschen getötet. Nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua ist gegen 23.30 Uhr in einem Lagerhaus zunächst ein Schifffahrtscontainer explodiert. Die erste Detonation sei so heftig gewesen, dass in rasanter Geschwindigkeit das gesamte umliegende Lager Feuer fing. Nur kurze Zeit später kam es zur zweiten Explosion.

Tatsächlich waren die Detonationen so heftig, dass sie sogar von Chinas nationalem Erdbebenzentrum registriert wurden. Die Erschütterungen waren in sämtlichen Teilen der 15-Millionen-Metropole zu spüren. Die erste Explosion soll die Kraft von drei Tonnen TNT gehabt haben, die zweite entsprach 21 Tonnen des Sprengstoffs. Die Druckwelle soll „kilometerweit“ zu spüren gewesen sein, zitiert Xinhua Augenzeugen.

Dichte Rauchschwaden hüllen auch am Morgen die Hafenstadt ein. Selbst im rund 150 Kilometer entfernten Peking riecht es verbrannt. Vom Unglücksort selbst und der unmittelbaren Umgebung kursieren im chinesischen Internet zahlreiche Bilder der Verwüstung. Die Lagerhalle, in dem offiziellen Angaben zufolge „Gefahrengut“ lagerte, ist wie nach einem Bombenangriff abgebrannt.

Überfordertes Krankenhauspersonal

Auf einem nahe gelegenen Parkplatz stehen Hunderte verkohlte Lieferfahrzeuge. Wohncontainer, in denen Hafenarbeiter ihre behelfsmäßigen Unterkünfte hatten, liegen umgekippt wie Bauklötze verteilt. In einem Radius von mindestens zwei Kilometern sind in den Wohnanlagen aufgrund der Druckwelle sämtliche Fensterscheiben geborsten. Rund um den Hafen von Tianjin gibt es zahlreiche moderne Wohnanlagen und Bürohäuser, die erst in den letzten Jahren errichtet wurden. Die meisten von ihnen sind nun entglast.

In zahlreichen Krankenhäusern in Tianjin spielen sich dramatische Szenen ab. Von Glassplittern verletzte Patienten werden nicht behandelt, weil Ärzte und Pfleger völlig überfordert sind. Angehörige suchen nach Vermissten. Ein Journalist des US-Nachrichtensenders CNN wird bei laufender Kamera vor einem Krankenhaus wahrscheinlich von Sicherheitskräften angegriffen. Es dürfe nicht gefilmt werden. Wie schon beim schweren Fährunglück Ende Mai in Ostchina dürfen Journalisten nicht an die Unglücksstelle. Die chinesischen Medien dürfen nur berichten, was die offizielle Nachrichtenagentur Xinhua vorgibt. Auf dem in China weit verbreiteten Kurznachrichtenportal „Weibo“ beschweren sich Nutzer, dass Einträge und Fotos vom Geschehen im Netz gelöscht wurden.

Noch ist die genaue Ursache der Explosionen nicht bekannt. Die Beamten der Stadtverwaltung waren am nächsten Morgen noch vollauf damit beschäftigt, die Zahl der Toten und Verletzten zu registrieren. Offiziell ist bislang von 44 Toten die Rede und mindestens 520 Verletzten, 66 davon schwer. Diese Zahlen werden stündlich nach oben korrigiert. Unter den Toten befinden sich auch zwölf Feuerwehrmänner.

Eine von mehreren Tragödien

Es wird aber vermutet, dass in einer Halle Calziumcarbid lagerte, das in Verbindung mit Wasser leicht explodieren kann. Carbid wird gerne für Feuerwerkskörper verwendet, ist in den meisten Ländern aber inzwischen verboten. Dass gleich zu Beginn des Unglücks so viele Feuerwehrmänner ums Leben kamen, soll unbestätigten Angaben damit zu tun haben, dass sie gar nicht wussten, welch gefährliches Gemisch in der Halle lagerte. Als die Feuerwehrmänner ihre Wasserlöscher einsetzten, soll es zu weiteren Explosionen gekommen sein.

In China kommt es in Industrieanlagen häufig zu schweren Unfällen, weil Sicherheitsbestimmungen nicht eingehalten werden und Personal unzureichend geschult ist. Der chinesische Staatschef Xi Jinping sprach am frühen Morgen von einer „nationalen Tragödie“ und versprach umfassende Ermittlungen. Die Lagerhalle, in dem sich erste Detonation ereignete, gehört der Firma Ruihai Logistics. Ihre Manager sind bereits festgenommen und werden derzeit verhört.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.