Expressionistische Kunst in Hamburg zu Gast: Das Berlin des Westens

Das Ernst-Barlach-Haus in Hamburg zeigt Arbeiten aus der Sammlung Osthaus im westfälischen Hagen. Deren Geschichte bleibt ein wenig unterbelichtet, aber die Bilder lohnen den Besuch

Weit entfernt von allem Postkartenhaftem: Karl Schmidt-Rottlufs „Boote am Wasser (Boote am Hafen)“ aus dem Jahr 1913 Foto: Achim Kukulies/ Osthaus Museum Hagen WG Bild-Kunst, Bonn 2015

HAMBURG taz | Ein Museum im Park mit Skulpturen von Ernst Barlach und Bildern der Expressionisten: Heute ist das Ernst-Barlach-Haus in Hamburg-Othmarschen ein gefälliges Ausflugsziel. Aber das war nicht immer so. Denn hinter diesen Plastiken und Gemälden, dem vielleicht deutschesten aller Beiträge zur Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts, stehen große Utopien und harte Kämpfe.

Die Bilder, die derzeit im Jenisch-Park zu Gast sind, stammen von Hauptvertretern des deutschen Expressionismus: Ernst Ludwig Kirchner, Otto Mueller und Karl Schmidt-Rottluff, Mitgliedern der Künstlergruppe „Brücke“, Vertretern der „Neuen Künstlervereinigung München“, des „Blauen Reiters“. Sie sind schon für sich ausdrucksstarke und farbkräftige Bildmomente, geben insbesondere den schwierigen 1920er-Jahren prismatischen Ausdruck.

Bankiers-Spross will Kunststadt schaffen

Alle nun in Hamburg gezeigten Leihgaben kommen aus der Sammlung des Osthaus-Museums im westfälischen Hagen. Und sie haben – direkt und indirekt – eine besondere Geschichte: Zu Zeiten, als diese Kunst noch längst nicht so museal war, wollte Karl Ernst Osthaus (1874–1921) Berlin Paroli bieten und die Industriestadt Hagen zur Kunsthauptstadt des Westens machen. Der vielseitig gebildete Spross einer Bankiers- und Industrieellenfamilie war geradezu besessen vom „Folkwang-Gedanken“: Für die Zeit durchaus typisch nach einem Götterpalast der nordischen Mythen benannt, ging es praktisch um das den Lebensreform-Bewegungen nahe Konzept, mit der Kunst das Leben zu verbessern – ganz konkret.

Osthaus nun ging mit ungewöhnlichem Aufwand und Engagement an seine Mission. Kultureller Mittelpunkt wurde die Malschule und das 1902 gegründete Museum, das wohl weltweit erste Museum für zeitgenössische Kunst, die inzwischen als klassische Moderne gilt. In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Werkbund gründete er 1909 gleich noch ein weiteres Museum, diesmal für Kunst in der Arbeitswelt – heute würde man sagen: für Design –, das Deutsche Museum für Kunst in Handel und Gewerbe.

Die Innengestaltung des Hagener Hauses übernahm der Jugendstil-Künstler Henry van de Felde, von dem sich Osthaus auch eine neue Siedlung bauen ließ; der Mäzen förderte die Gartenstadt-Idee, suchte mit einer „Hagener Impuls“ genannten Bewegung die allgemeine Situation der Arbeiter zu verbessern. Dazu stand er in Kontakt mit den revolutionärsten Architekten seiner Zeit, neben van de Velde waren das Bruno Taut, Peter Behrens, J. L. M. Lauweriks, Adolf Loos, August Endell und Walter Gropius.

Hagen sollte auch eine wichtige Künstlerkolonie werden, als erster erhielt 1901 Christian ­Rohlfs ein Dauerwohnrecht im Museumsgebäude. Osthaus stand in Kontakt mit vielen jungen deutschen und auch französischen Künstlern und kaufte manche ihrer Arbeiten. 1907 gab es in Hagen dann eine der ersten Museumsausstellungen der jungen Künstlergemeinschaft „Brücke“ überhaupt. Im selben Jahr erwarb man aber auch zwei Bilder von Paul Cézanne, dazu eine Arbeit von Henri Matisse – als weltweit erste öffentliche Sammlung überhaupt. 1909 stellte man in Hagen Alexej von Jawlensky und Wassily Kandinsky aus und knüpfte Kontakt zu Wilhelm Lehmbruck.

Vielleicht hätte man den Hintergründen mehr als ein paar Worte im Handzettel widmen sollen

Diese Pioniertaten haben nicht direkt mit den in Hamburg ausgestellten Bildern zu tun: Nach dem frühen Tod Karl Ernst Osthaus’verkauften dessen Erben die Sammlung und den Namen des Museums im Jahr 1922 nach Essen. Die aktuell wieder so wichtige Sammlung des heutigen Osthaus-Museums, also in Hagen, wurde erst nach 1945 in jahrzehntelangem Bemühen im Sinne des Namenspatrons neu aufgebaut, am alten, nach fremder Nutzung nun renovierten Ort – insofern wirkte der alte „Impuls“ dann doch wieder nach.

Zu sehen sind im Ernst-Barlach-Haus nun knapp 50 Arbeiten, wesentliche Positionen der Expressionisten: Nervöse, in subtiler Grobheit ausgeführte Porträts sind darunter, wie das des in teerig bis gallig gelben Farben gemalten, rauchenden und blasiert schauenden Jockeys. Oder Momente aus dem Leben der modischen Oberschicht, wie die hell leuchtenden, im zeichnerischen Gerüst von der Umgebung teils durchdrungenen „Frauen vor dem Hutladen“. Immer wieder auch Schiffe und Badende – die waren keine Postkartenmotive, sondern standen für den Wunsch nach Freiheit und nach einem natürlichen Leben.

Wolken in Brombeerfarbe

In späteren Jahren der Bewegung zeigen sich dann die eher düsteren Seiten expressionistischer Farbgewalt: Landschaften unter bedrohlich brombeerfarbenen Wolken oder die wie von Granaten zerrissenen Linien der Felder Flanderns. Sogar die kristallinen Wirkungslinien der Architekturen Lyonel Feiningers können etwas blitzend Bedrängendes ausstrahlen.

Schön ist es, hier die Begegnung von Erich Heckel und Ernst Ludwig Kirchner zu erleben: Sie demonstriert sehr direkt die zwei verschiedenen Seiten des Expressionismus. Kräftig voranschreitend zeigt Kirchner seinen Freund und datiert das 1910 gemalte, später noch überarbeitete Bild auch noch zurück aufs Jahr 1908, um aus der Bewegung des Gehens ein Zeichen der Avantgarde zu machen. Umgekehrt stellt Heckel seinen Freund 1917 wie eine zerbrechliche Puppe unter zerrissenem Himmel dar – körperliche und geistige Folgen des einst auch von manchen Expressionisten als Reinigung herbeigesehnten Weltkriegs.

Vielleicht hätte die Ausstellung den komplexen kulturpolitischen Hintergründen mehr als ein paar Worte im Handzettel widmen sollen. Es gäbe etwa die Verbindung, dass Osthaus damals auch Ernst Barlach nach Hagen locken wollte, was sich aber zerschlug. Dann wird ja auch das Barlach-Haus wesentlich von einer Industriellenfamilie getragen. Aber vielleicht wäre auch das ein ganz anderes Thema. So bleibt immerhin eine eher kulinarisch gehängte, auf Bildbegegnungen ausgerichtete Sommerausstellung im Park, deren Besucherinnen begrüßt werden mit einem spätimpressionistischen Blumengarten von Emil Nolde.

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