FERNSEHEN IM KINO: Infiziert vom Festivalvirus

Die Lesbisch Schwulen Filmtage Hamburg bitten zum gemeinsamen Seriengucken.

Als das Virus aufkam, herrschten Angst und Verunsicherung: „Don‘t Ever Wipe Tears Without Gloves“. Foto: Peter Cederling

HAMBURG taz | 19 Jahre hat Rasmus (Adam Palsson) auf diesen Tag gewartet: raus aus der Kleinstadt, rein ins Stockholmer Großstadtleben. Zielstrebig steuert er den „Tuntenkreisel“ am Hauptbahnhof an. Rasmus weiß seit seiner Kindheit, dass er schwul ist – und will es endlich ausleben. Er lernt Paul (Simon J. Berger) kennen, der ihn zu einer unkonventionellen Weihnachtsfeier einlädt. Dort macht er erste Bekanntschaften mit anderen Schwulen, die später zu neuen Freunden und seiner Wahlfamilie werden. Und er trifft auf den Zeugen Jehovas Benjamin (Adam Lundgren), seine erste große Liebe.

Das neue Glück ist nicht von langer Dauer: Die „Plage“ breitet sich in dem Freundeskreis aus, in der schwedischen schwulen Community Anfang der 80er-Jahre: das HI-Virus. „Don‘t Ever Wipe Tears Without Gloves“, „Wische nie die Tränen ohne Handschuhe weg“: Das bekamen die KrankenpflegerInnen gesagt, als das Virus in Stockholm auftrat. Als sich Aids, die Krankheit, rasend schnell verbreitete und ihre Übertragungswege noch unbekannt waren und keinerlei Heilung absehbar war. „Am Anfang brach eine totale Panik aus“, sagt Sebastian Beyer von den Lesbisch Schwulen Filmtagen in Hamburg: „Die Serie ist ein gut gemachtes Zeitdokument.“ Denn „Torka aldrig tårar utan handskar“, so der schwedische Originaltitel, ist eigentlich eine dreiteilige TV-Serie, fußend auf einem Roman von Jonas Gardell – und auf einer wahren Begebenheit. Die Produktion des öffentlich-rechtlichen Fernsehens aus dem Jahr 2012 wurde zu einem Straßenfeger, in Hamburg ist sie nun am 24. Oktober im Passage-Kino zu sehen.

Der Autor Gardell erzählt auf einer sehr persönlichen Ebene, greift in Rückblicken die Entwicklung seiner Protagonisten auf und stellt eine Nähe her, die das Schicksal greifbar macht – ganz ohne zu dramatisieren oder übertreiben: Im Film nun legt der fünfjährige Rasmus seine Hand auf die frisch geputzte, beschlagene Fensterscheibe. Die nächste Kameraeinstellung zeigt einen erwachsenen Mann, der blass und mit entzündetem Mund im Krankenhaus liegt, das Gesicht von Schmerz verzerrt – die Krankheit ist weit fortgeschritten.

Bei den Lesbisch Schwulen Filmtagen Hamburg gehört „Don’t Ever Wipe Tears Without Gloves“ zum diesjährigen Schwerpunkt „Queering TV“: „Wir finden es wichtig, uns auf dem Festival mit dem Thema HIV zu befassen und die Serie findet einen guten Zugang dazu“, sagt Sebastian Beyer, der den Schwerpunkt mit konzipiert hat. „Geschichten über Aids werden oft linear erzählt. Bei ‚Don‘t Ever Wipe Tears Without Gloves‘ wird in Rück- und Vorblicken gezeigt, welchen Einfluss die Krankheit auf das Leben hat. Das hat uns gut gefallen.“

Wann? Die diesjährigen Filmtage beginnen am 20. Oktober und dauern bis zum 25.

Was? Zu sehen sind insgesamt 130 Kurz- und Langfilme aus beinahe allen Ecken der Welt.

Wer? Organisiert wird das Festival von einem Kernteam aus 14 Leuten. Dazu kommen 150 HelferInnen –weitgehend ehrenamtlich.

Für wen? Immer im Oktober locken die Filmtage rund 15.000 BesucherInnen in mehrere Hamburger Kinos sowie zu den Rahmenveranstaltungen.

Wo? In diesem Jahr laufen Filme im B-Movie, dem Metropolis und dem Passage-Kino, dazu bei „Bildwechsel“ und in der Roten Flora. Die Eröffnung steigt auf dem Kulturgelände Kampnagel.

„Momentan gibt es viele erfolgreiche queere TV-Serien und damit ein großes Potenzial, queere Themen ins Fernsehen zu bringen“, sagt Hanne Homrighausen von den Filmtagen. „Auf dem Festival wollen wir zwei davon auf der Kinoleinwand zeigen und ein Gemeinschaftserlebnis schaffen, indem wir uns die Serien zusammen angucken und darüber austauschen können.“ Ebenfalls zu dem Schwerpunkt zählt die Serie „Banana“ (23. 10., B-Movie), die zusammen mit „Cucumber“ und „Tofu“ eine Art Dreiklang bildet. Die Serie, hinter der Russell T Davies steckt, unter anderem für „Queer As Folk“ bekannt, zeigt queeres Leben fernab von „Coming-Out“-Problemen.

Etwas früher als der Ausbruch von Aids formierte sich in den USA ein anderer Kampf: In den 1960er-/70er-Jahren kämpften Frauen des „Second Wave“-Feminismus für Gleichberechtigung und politische Teilhabe. „The Art Of Fighting“ ist der zweite Schwerpunkt des Hamburger Festivals überschrieben: Im Fokus stehen Künstlerinnen und ihr Verhältnis zu den feministischen Kämpfen. In Mary Dores „She‘s Beautiful When She‘s Angry“ kommen etwa Aktivistinnen wie Rita Mae Brown zu Wort (22. 10., Passage).

Auch in Europa hat es natürlich feministische Kämpfe gegeben. „Je ne suis pas féministe, mais ...“ (25. 10., Metropolis) zeigt das Porträt der französischen Feministin Christine Delphy, die 1968 an der Gründung des „Mouvement de Libération des Femmes“ beteiligt war. Sie setzt sich mit dem Einfluss des US-Feminismus insbesondere auf den in Frankreich auseinander.

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