FLÜCHTLINGSLEBEN (I): Politikziel Parallelwelt

In Deutschland wird viel Geld dafür ausgegeben, unerwünschte Einwanderer sozial zu isolieren und jeder Perspektive zu berauben. Besonders kreativ auf diesem Gebiet ist Niedersachsen mit seinem noch unter der SPD-Regierung begonnenen "Projekt X". Auftakt der taz.nord-Serie über das Leben von Flüchtlingen

Wehren sich gegen ihre Isolierung: Flüchtlinge protestieren im niedersächsischen Lager Hesepe. Bild: Initiative No Lager

HAMBURG taz | Als die deutschen Innenminister im letzten Jahr in Hamburg tagten, hatte der niedersächsische Vertreter Uwe Schünemann für das Treffen einen Vorschlag erarbeitet: Er regte an, verstärkt Polizeistreifen in "muslimische Viertel" zu schicken, um eine "schleichende Islamisierung" deutscher Großstädte zu stoppen. "Parallelgesellschaften polarisieren und spalten", erklärte er.

Dass die angeblich integrationsunwilligen Muslime "Parallelgesellschaften" bilden, das wirft Schünemann den Anhängern der islamischen Glaubensgemeinschaft immer wieder vor. Und jedes Mal klingt das so, als handele es sich dabei um einen unerhörten Verrat an der Gastfreundlichkeit der Deutschen. Doch nicht alle Parallelgesellschaften erregen den Unmut des Ministers: Denn "polarisieren und spalten" - das ist das Programm deutscher Flüchtlingspolitik. Und Niedersachsen nimmt hierbei eine führende Rolle ein.

Es ist nichts anderes als eine staatlich erzwungene Parallelgesellschaft, in der Asylbewerber und Geduldete bei uns leben müssen. Dabei geht es nicht darum, Geld zu sparen, wie viele meinen, die schon einmal ein Flüchtlingslager von innen gesehen haben. Geduldete und Menschen mit einem laufenden Asylverfahren erhalten rund ein Drittel weniger als Hartz-IV-EmpfängerInnen. Doch paradoxerweise gibt der Staat gleichzeitig ein ganzes Stück mehr für sie aus als für deutsche Sozialleistungsbezieher. Die Isolation und die Unterdrückung sozialer Beziehungen ist das zentrale Instrument der Asylpolitik. Und das lässt man sich etwas kosten.

Arbeitskollegen, Nachbarn oder Freunde aus dem Sportverein oder der Kirchengemeinde - sie alle können eine Stimme sein, die protestiert, wenn die Abschiebung ansteht. Jedes Mal, wenn sich Flüchtlinge Zugang zum sozialen Leben im Land verschaffen und dadurch sichtbar werden, wird es für den Staat schwieriger, sie später wieder loszuwerden. Deswegen wird erwerbsfähigen Erwachsenen verboten, zu arbeiten. Und deswegen unterhalten teils private Firmen die Sammelunterkünfte, in denen Asylbewerber an meist abgelegenen Orten kaserniert werden - und kassieren dafür mehr, als man den Leuten bei regulärem Hartz-IV-Bezug für eine Wohnung zahlen müsste.

Flüchtlinge und Unterstützer haben den Begriff des "Lagers" für die Sammelunterkünfte gewählt. Der italienische Philosoph Giorgio Agamben nennt diese Lager Orte des "Ausnahmezustandes": Die Internierten seien "keine Rechtssubjekte, sondern nackte Existenzen" - aller bürgerlichen Rechte entblößt. Natürlich steht auch Flüchtlingen in Deutschland der Rechtsweg offen - doch wie bezahlt man einen Anwalt, wenn man nicht arbeiten darf und nur 40,70 Euro Taschengeld bekommt?

Zwar erhalten auch Flüchtlinge Sozialleistungen, die sie vor dem Verhungern bewahren - doch ob sie sich lieber ein Brot oder lieber Zigaretten kaufen, das können sie nicht selbst entscheiden. Das bestimmt gemäß dem "Sachleistungsprinzip" der Staat - durch Gutscheine, Essenspakete oder Gemeinschaftsverpflegung.

Ihre Lager sind auch keine Gefängnisse - doch frei im Land bewegen können sich die Flüchtlinge trotzdem nicht. Die weltweit einmalige "Residenzpflicht" verbietet es ihnen, innerhalb Deutschlands umherzureisen. In den letzten Monaten ist diese Bestimmung unter Druck geraten. Dennoch müssen Flüchtlinge in den meisten Bundesländern noch immer eine Erlaubnis beantragen und einen guten Grund vorbringen, um ihren Landkreis zu verlassen. Und was ein guter Grund ist, das entscheidet die Ausländerbehörde.

Die Abspaltung der Flüchtlinge fördert die stereotype Wahrnehmung durch den Rest der Gesellschaft: Als Scheinasylanten und Asylbetrüger, als libanesische Banden oder als schwarzafrikanische Dealer. Wer solche aus dem Land entfernt, kann sich der Zustimmung der Öffentlichkeit sicher sein.

Doch nicht jeder, den man nicht hier haben will, kann abgeschoben werden. Niedersachsen, das sich so gern seiner Innovationskraft rühmt, hat sich aber auch auf diesem Gebiet als besonders findig gezeigt. "Ganz Deutschland schaut auf uns", sagte Hans-Hermann Gutzmer, Leiter des Referats Ausländer und Asylrecht des niedersächsischen Innenministeriums über das sogenannte "Projekt X". Das war ein von ihm verantwortetes niedersächsisches Modellprojekt aus der Zeit der SPD-Alleinregierung Ende der 1990er-Jahre, mit dem man sogenannte "Identitätsverschleierer" durch besonders restriktive Maßnahmen zur freiwilligen Ausreise drängen wollte.

Allerdings wurden vielfach Flüchtlinge als "Identitätsverschleierer" eingestuft, die gar nichts dafür konnten, dass man sie nicht abschieben konnte - etwa weil sie staatenlos waren. Dennoch spekulierte man darauf, dass sie von alleine gehen würden, wenn man es ihnen nur möglichst unangenehm machte. Im "Projekt X" war es neben völligem Bargeldentzug beispielsweise Usus, medizinische Heilbehandlungen zu verweigern und lediglich eine schmerzstillende Medikamentengabe zu gestatten. Eine Heilbehandlung galt als "falsches Signal".

Viele der schikanösen Praktiken, die sich in den Flüchtlingsunterkünften in ganz Deutschland etabliert haben, wurden beim "Projekt X" entwickelt. Seine Einrichtungen firmieren seit 2003 unter verschiedenen Titeln, der Geist aber blieb derselbe: 2008 etwa wurde bekannt, dass der ehemalige Leiter der "Zentralen Aufnahmeeinrichtung des Landes Niedersachsen" in Oldenburg / Blankenburg und Bramsche / Hesepe, Christian Lüttgau, per "Amtshilfeersuchen" mehrfach die Zimmer der Asylbewerber von der Polizei durchsuchen und alles an Bargeld, was über 50 Euro hinausging, beschlagnahmen ließ.

"Es muss davon ausgegangen werden, dass es unrechtmäßig erworben wurde", sagte Lüttgau. Zurückbekommen sollte das Geld nur, wer den "Anfangsverdacht auf eine Straftat oder auf illegale Beschäftigung" ausräumen konnte. Als ein staatenloser Roma, ein Kosovare, ein Afghane und ein Aserbaidschaner aus Frust ein Stück des Zauns umwarfen, der das Lager Hesepe umgibt, klagte die Staatsanwaltschaft sie auf Betreiben Lüttgaus wegen Landfriedensbruchs an. Als er von einer antirassistischen Initiative als "Lagerleiter" bezeichnet wurde, bemühte er seinerseits die Gerichte.

Doch Hesepe, Blankenburg, das Lager in Meinersen oder die externalisierte Hamburger Unterkunft in Horst sind nicht nur Orte, deren Bewohner unsichtbar gemacht werden sollen. Sie sind auch Orte von Flüchtlingskämpfen. Seit Jahren wehren sich die Flüchtlinge dort mit den Mitteln, die ihnen bleiben: Sie verweigern die Essensaufnahme, widersetzen sich der Residenzpflicht, suchen die Öffentlichkeit. Die Risiken, die sie dabei eingehen, sind ungleich höher als für Einheimische: Wer kein Bußgeld bezahlen kann, landet schnell im Gefängnis.

Das hat gravierende Konsequenzen: Wer bei der Justiz aktenkundig wird, für den fällt jede Härtefallregelung oder ein Aufenthaltsrecht aus humanitären Gründen flach. Flüchtlinge wissen um die Folgen, die Kriminalisierung von Protest für sie haben kann. Zum Schweigen gebracht hat es sie bisher nicht. Zum wiederholten Mal etwa protestieren in diesen Wochen die Bewohner der Unterkunft Bramsche / Hesepe. "Wir sind wegen Krieg aus unserem Land geflohen und kommen dann nach Deutschland und werden wie Verbrecher behandelt", sagte der Flüchtling Ahmad aus Afghanistan bei der Pressekonferenz der Flüchtlinge am Dienstag dieser Woche.

Die Flüchtlinge fordern ein Ende der Residenzpflicht, das Recht auf Arbeit und die Schließung des Lagers, dessen "Zweck jedem Besucher sofort klar wird: die Entmündigung der dort lebenden Flüchtlinge und damit einhergehend eine langsame psychische Zermürbung."

Vor zehn Jahren schlug die Süssmuth-Kommission vor, jedes Jahr 50.000 Zuwanderer nach Deutschland kommen zu lassen. Deutschland brauche Einwanderung - das war das Signal. Doch bis heute denken die meisten Innenminister nicht daran, Flüchtlingen eine Perspektive zuzugestehen. Der Eifer und die Intensität, mit denen unerwünschte Personen ferngehalten werden, unterscheidet sich in den norddeutschen Bundesländern graduell. Doch für jene, die hier ohne den richtigen Stempel im Pass leben, sind diese Unterschiede oft sehr bedeutsam.

In den nächsten Wochen wird die taz.nord in einer Serie über das Leben von Flüchtlingen, über die politischen Debatten und die sozialen Kämpfe berichten.

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