Fahndung nach Anschlag in Berlin: Verdächtiger wurde observiert

Die Ermittler fahnden offiziell nach dem tunesischen Tatverdächtigen Anis A. In der Hauptstadt wurde er über Monate überwacht – ohne Ergebnis.

Buden des verwaisten Weihnachtsmarktes, im Hintergrund die Gedächtniskirche

Noch immer ist unklar, wer den Lastwagen in die Menschenmenge am Breitscheidplatz lenkte Foto: dpa

BERLIN/DÜSSELDORF/KARLSRUHE/TUNIS dpa/afp | Nach dem Anschlag in Berlin fahndet die Polizei bundesweit nach dem tunesischen Tatverdächtigen Anis A.. Die Behörden bitten die Bevölkerung um Mithilfe, warnen aber zugleich, der Gesuchte „könnte gewalttätig und bewaffnet sein“. Die Bundesanwaltschaft setzte eine Belohnung von bis zu 100.000 Euro für Hinweise aus, die zur Ergreifung des Gesuchten führen. Eine tunesische Anti-Terroreinheit hat bereits seine Familie zu den Ereignissen befragt.

Im Fußraum des Führerhauses des Lkw, der am Montagabend in einen Berliner Weihnachtsmarkt gerast war, wurde laut der Mainzer Allgemeinen Zeitung die Duldung mit den Personalien des Verdächtigen gefunden. Nach Bild.de-Informationen lag das Dokument unter dem Fahrersitz.

Der Verdächtige ist in der Hauptstadt von März bis September dieses Jahres überwacht worden. Die Ermittlungen seien aufgrund von Hinweisen von Sicherheitsbehörden des Bundes eingeleitet worden, teilte die Berliner Generalstaatsanwaltschaft am Mittwochabend mit. Es habe Informationen gegeben, wonach der in Nordrhein-Westfalen als „Gefährder“ geführte Verdächtige einen Einbruch plane, um Geld für den Kauf automatischer Waffen zu beschaffen – „möglicherweise, um damit später mit noch zu gewinnenden Mittätern einen Anschlag zu begehen“. Die Observierung und Überwachung der Kommunikation habe aber keine Hinweise auf ein staatsschutzrelevantes Delikt erbracht.

Im Juni 2016 soll er als Asylbewerber abgelehnt worden sein. Der Mann habe aber nicht abgeschoben werden können, weil er keine gültigen Ausweispapiere bei sich hatte, sagte NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) am Mittwoch in Düsseldorf.

Die für die Abschiebung wichtigen tunesischen Ausweispapiere sind nach Angaben aus NRW erst zwei Tage nach dem fatalen Berliner Anschlag bei den deutschen Behörden eingetroffen. Zwar sei der Antrag im Juni 2016 abgelehnt worden. „Der Mann konnte aber nicht abgeschoben werden, weil er keine gültigen Ausweispapiere hatte“, sagte NRW-Innenminister Ralf Jäger am Mittwoch in Düsseldorf in einer Pressekonferenz. Tunesien habe zunächst bestritten, dass es sich bei dem Mann um einen Tunesier handele.

Verdächtig, aber nicht zwingend der Täter

Der Mann habe sich wechselweise in Nordrhein-Westfalen und in Berlin aufgehalten und mit zahlreichen Identitäten gearbeitet. Das GTAZ wurde 2004 als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA eingerichtet.

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) betonte am Mittwoch in Berlin aber: „Es ist ein Verdächtiger, nicht zwingend der Täter.“ Es werde weiter in alle Richtungen ermittelt und es würden alle Spuren verfolgt.

Die Dokumente von Anis A. seien im Kreis Kleve in Nordrhein-Westfalen ausgestellt worden. Sicherheitskreise gingen am Mittwoch von „unmittelbar bevorstehenden Maßnahmen“ der Behörden in dem Bundesland aus, wie die Deutsche Presse-Agentur erfuhr. Nach Informationen der Allgemeinen Zeitung und von Spiegel Online nutzte der Verdächtige mehrere Personalien. Demnach ist er zwischen 21 und 23 Jahre alt.

Die Berliner Polizei hat nach eigenen Angaben mehr als 500 Hinweise zu dem Anschlag erhalten und fahndete nach einem möglicherweise bewaffneten Täter. Einen zunächst festgenommenen Verdächtigen hatten die Ermittler am Dienstag wieder freigelassen, nachdem sich gegen ihn kein dringender Tatverdacht ergeben hatte.

Hintergründe noch unklar

Zum Tathergang gibt es nach wie vor viele offene Fragen. Der polnische Lkw-Fahrer, der auf dem Beifahrersitz saß, hat nach Informationen der Bild-Zeitung bis zum Attentat noch gelebt. Das habe die Obduktion ergeben, berichtete die Zeitung in der Nacht online. Ein Ermittler habe von einem Kampf gesprochen. Nach dem Anschlag wurde der Pole tot im Lkw gefunden. Nach dpa-Informationen wurde er mit einer kleinkalibrigen Waffe erschossen, von der bislang jede Spur fehlt.

Unklar war zudem, ob die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hinter dem Anschlag steht. Sie hatte den Angriff für sich reklamiert. Der IS hatte sich in der Vergangenheit immer wieder über sein Sprachrohr Amak zu Anschlägen in unterschiedlichen Ländern bekannt.

Die Meldung zu Berlin wurde über die üblichen Kanäle der Terrormiliz verbreitet, auch ihre Form entspricht früheren Bekenntnissen. Allerdings erfolgte die Erklärung erstmals, bevor der Täter gefasst oder getötet wurde. Täterwissen gab der IS – wie auch schon in früheren Fällen – in seinem Bekenntnis nicht bekannt.

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