Fahrrad-Boom in New York: Vom Underground zum Straßen-Trend

Die Benzinpreise haben selbst für die autofixierte amerikanische Gesellschaft die Schmerzgrenze erreicht: Sie entdeckt das Zweirad.

Bislang nur etwas für die urbane Elite: Radfahren in Manhattan. Bild: ap

Als 1977 das Fahrradgeschäft Bicycle Habitat auf der Lafayette Street in Manhattan eröffnete, hatte es ein deutliches Undergroundflair. Bicycle Habitat war ein konspiratives Zentrum, ein Treffpunkt alternativer Subkultur.

Der Laden war der einzige Einzelhandel auf der Straße, ansonsten gab es dort nur eine Methadonklinik und Junkies auf der Straße. Der Mitbegründer Hal, ein Hippie mit schulterlangen Rastalocken, stand mitten im Raum und schraubte aus Schrottteilen Räder zusammen. Er und sein Partner Charly McCorkell organisierten regelmäßig Spontiaktionen, um gegen das Fahrradverbot auf der Fifth Avenue zu protestieren und um für die Einrichtung einer Fahrradspur auf den Brücken nach Brooklyn zu werben

Heute ist die Lafayette Street eine schicke Einkaufsstraße. Hal hat zwar immer noch Rastazöpfe und steht immer noch zum Schrauben im Schaufenster, aber Bicycle Habitat ist eine Boutique mit drei Räumen und einer Riesenauswahl an Rädern und Zubehör geworden. In den kommenden Monaten eröffnen Charly und Hal eine Dependance. Zu ihren Kunden gehören mittlerweile Wall-Street-Banker und Designer ebenso wie Fahrradkuriere und Hipster.

Das Fahrradfahren boomt in den USA, und natürlich ist New York bei diesem Trend mit an der Spitze. In den letzten fünf Jahren, sagt Charly McCorkell, sei der Umsatz seines Geschäftes um 150 Prozent gestiegen. 60 Prozent seines Geschäftes machen dabei Verkauf und Wartung von Rädern für den Stadtverkehr aus. Die Zahlen des New Yorker Verkehrsamtes belegen diesen Boom. Im Jahr 2005 noch stieg die Fahrradnutzung im Stadtverkehr um 4 Prozent. 2007 wuchs sie um 12 Prozent, 2008 um 32 Prozent, 2009 um weitere 26 Prozent. Rund 200.000 New Yorker fahren mittlerweile täglich mit dem Fahrrad durch New York.

USA-weit fuhren im Rekordjahr 2008 laut der Marktforschungsfirma Gluskin Townley mehr als 44 Millionen Menschen regelmäßig Fahrrad. Für 2009, so Geschäftsführer Jay Townley, lägen zwar noch keine Zahlen vor, aber er glaubt, dass die Menge der Radfahrer im Vergleich zu 2008 konstant geblieben ist. Für die Explosion seit 2008 macht Townley nicht zuletzt die hohen Benzinpreise im Sommer 2008 und die Wirtschaftskrise 2009 verantwortlich.

Eine Tatsache, die Hoffnung macht: Selbst die autofixierte amerikanische Gesellschaft hat eine Schmerzgrenze, wenn es darum geht, für den benzingetriebenen Transport zu bezahlen. Und das Fahrrad wird zumindest in den urbanen Zentren zur echten Alternative: Die stärksten Zuwachsraten hat das Radfahren in den vergangenen Jahren in Chicago, Minneapolis, Washington, Seattle und Portland.

Insgesamt glaubt Jay Townley allerdings, dass die Nutzung des Fahrrads als Transportmittel in den USA noch ganz am Anfang steht. Nur rund 1 Prozent der Fahrten in Amerika werden bislang mit dem Fahrrad erledigt. In Amsterdam beispielsweise sind es 40 Prozent. In der fahrradfreundlichsten Stadt Amerikas Portland sind es gerade einmal 6 Prozent. In New York hat das Radfahren zwar enorme Zuwachsraten erfahren, nicht zuletzt weil die jetzige Stadtregierung alles tut, um das Fahrradpendeln zu erleichtern - vom Einrichten von Fahrradwegen bis hin zu einer Verordnung, dass in Bürogebäuden Fahrradstellplätze bereitgestellt werden müssen. Trotzdem ist der Anteil der mit dem Fahrrad zurückgelegten Fahrten in New York seit 2005 nur von 0,7 auf 1,1 Prozent gestiegen.

Der Grund dafür, dass der Anteil der mit dem Rad zurückgelegten Wege über ein gewisses Maß nicht hinauskommt, ist, dass das Radfahren in den USA sich bislang nur in einer jungen, gebildeten, vornehmlich weißen urbanen Elite durchgesetzt hat. In dieser Bevölkerungsschicht gilt es als schick, nachhaltig und zukunftsorientiert. Diese Gruppe dürfte aber nach dem Boom der vergangenen Jahre weitgehend ausgereizt sein.

Die wirklichen Zuwachsraten wären zu erzielen, wenn man ältere Menschen anspricht, niedrigere Einkommensschichten, Menschen aus ländlichen Gegenden, andere ethnische Gruppen. Dort gilt Rad fahren allerdings häufig noch immer als Kinderkram. Das PS-starke Auto ist nach wie vor Statussymbol, Fahrradfahren ist im Grunde genommen eine Peinlichkeit. Beispiel New York: In Manhattan und Teilen von Brooklyn gehören Fahrradpendler mittlerweile zum Stadtbild, das Radwegenetz ist gut ausgebaut, an wichtigen U-Bahn-Stationen stehen große Fahrradständer. In ärmeren Vierteln wie in Harlem oder der Bronx fährt hingegen außer Pizzalieferanten im Grunde niemand Fahrrad. Radwege sind praktisch nicht vorhanden.

"Wenn wir wirklich unser Ziel erreichen wollen, dass bis 2015 15 Prozent aller Fahrten in New York mit dem Fahrrad gemacht werden", sagt deshalb auch Noah Budnick, strategischer Planer bei Transportation Alternatives, einer Organisation zur Förderung alternativer Fortbewegungsmittel in New York, "dann müssen wir in diesen Vierteln für das Fahrradfahren werben." Dafür einen politischen Willen bei den Politikern aufzubringen, sei jedoch extrem schwierig. Die Lebensqualität für die gut verdienende Elite in Manhattan zu verbessern sei dem Bürgermeister wichtig. Der Rest der Bevölkerung habe hingegen keine so hohe Priorität.

Generation 50+ nicht sexy

Ein ähnliches Problem macht Jay Townley bei der US-Fahrradindustrie aus. "Die großen Fahrradfirmen wie Trek oder Specialized", sagt er, "geben jedes Jahr 15 Millionen Dollar aus, um Profiteams bei der Tour de France zu sponsern." Die Zielgruppe dieses Engagements sei klar: Leute, die teure Rennräder fahren - vorwiegend männliche Weiße mit einem hohen Einkommen also. In AARP The Magazine, der Zeitschrift für Amerikaner über 50, habe er hingegen noch nie eine Fahrradanzeige gesehen. "Wir müssen doch Leute aufs Fahrrad bekommen, die übergewichtig sind, die Diabetes haben, die Herz-Kreislauf-Probleme haben." Diese Zielgruppe sei jedoch für die Fahrradbranche nicht sexy.

Das hält Townley jedoch für einen riesigen Fehler. Denn nur in dieser Zielgruppe gebe es für die amerikanischen Fahrradhersteller ein Wachstumspotenzial. Die Zielgruppe der gut verdienenden weißen Männer, die teure Räder kaufen, sei nämlich weitgehend ausgereizt: "Die haben doch alle schon drei Fahrräder."

Dass die Fahrradbranche ihr Potenzial nicht realisiert und dadurch auch das Wachstum des Fahrradfahrens insgesamt hemmt, lässt sich allein schon daran ablesen, dass die Verkaufszahlen von neuen Rädern seit zehn Jahren im Grunde stagniert. In der gleichen Zeit ist jedoch die Zahl der Leute in den USA, die Rad fahren, enorm angestiegen. "Die Umsatzzahlen bei der Fahrradwartung haben sich vervielfacht", so Townley. Allein 2009 hätten sich die Verkäufe von Reifen und Schläuchen verdoppelt. Die Aussage ist klar - es gibt viele Leute, die Rad fahren, die aber von der Branche nicht bedient werden. "Gerade jetzt in der Krise kaufen viele Leute gebrauchte Räder oder machen ihre alten Räder wieder flott. Das, was auf dem Markt an neuen Rädern angeboten wird, ist für die Menschen jedoch viel zu teuer."

In dieser Behäbigkeit und Unfähigkeit, sich dem wirklichen Bedarf anzupassen, ist die US-Fahrradbranche der Autobranche sehr ähnlich. Townley findet die Fahrradhersteller sogar noch schlimmer. "Es werden in Amerika im Prinzip keine Fahrräder entwickelt und hergestellt. Detroit versucht ja wenigstens noch, Produkte zu entwickeln." Die US-Radhersteller kaufen Marken und Patente aus Europa und lassen in Fernost fertigen. In den USA finden hingegen fast ausschließlich Marketing und Vertrieb statt.

Dieses Versäumnis könnte der amerikanischen Zweiradindustrie aber zum Verhängnis werden. Der Fahrradtrend, da ist sich Townley sicher, ist unaufhaltsam und wird auch zunehmend auf breitere Bevölkerungsschichten überschwappen. Wenn die ihre Räder aber nicht in den USA bekommen, dann kaufen sie eben genau wie die Autofahrer europäische oder asiatische Marken. Und auf eine staatliche Rettungsaktion wie bei GM oder Chrysler können Trek oder Cannondale wohl nicht hoffen.

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