Falsche Prioritäten beim Straßenbau: Autobahnprojekte im Norden fragwürdig
Laut einer Studie haben Autobahnprojekte im Norden kein gutes Nutzen-Kosten-Verhältnis. Besser sanieren als neu bauen, sagt der Bundesrechnungshof.
Die A20 soll von Lübeck kommend in einem großen Bogen westlich um Hamburg herum führen. Bei der Fortführung der A26 geht es darum, die Autobahnen eins und sieben quer durch Hamburg zu verbinden. Die A39 soll das Niemandsland zwischen Lüneburg und Wolfsburg erschließen.
Allen drei Projekten bescheinigt die Studie „Vom Bundesverkehrswegeplan (BVWP) 2030 zur Bundesverkehrswege- und Mobilitätsplanung“ Unwirtschaftlichkeit. Die Untersuchung mit dem Kürzel Uno-Trans hat das vormalig grün geführte Umweltministerium in Auftrag gegeben. Die Idee: einschätzen, ob die mit dem geltenden Bundesverkehrswegeplan 2016 angeschobenen Vorhaben zehn Jahre später immer noch als sinnvoll gelten können.
Die Autoren von der TU Dresden, dem Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität mit Sitz in Berlin und Greifswald sowie der Firma Bosch und Partner haben sich ein Bewertungsschema mit unterschiedlichen Szenarien ausgedacht.
Nutzen-Kosten-Verhältnis null
Dabei testeten sie, wie sich das im BVWP errechnete Nutzen-Kosten-Verhältnis der Bauprojekte unter verschiedenen Annahmen über die Zukunft verändern würde. Sie rechneten zum Beispiel mit einer inflationsbereinigten Baukostensteigerung um 73 Prozent, einem CO2-Preis von 796 oder gar 2.000 Euro pro Tonne statt derzeit 72 Euro, und der Zunahme klimafreundlicher Elektromobiliät.
Es kam heraus, dass vor allem die überproportional gestiegenen Baukosten das Nutzen-Kosten-Verhältnis drastisch verschlechtern. Am zweitstärksten wirkt ein steigender Preis für CO2-Emissionen.
Bei einem Szenario mit plus 73 Prozent Baukosten, knapp 796 Euro pro Tonne CO2 und einer optimistischen Annahme zum Anteil der E-Autos kommen die Autoren auf ein Nutzen-Kosten-Verhältnis für die A20 von 0,9, für die A26 auf 1,8 und die A39 ebenfalls auf 0,9. Ein Wert unter eins gibt an, dass ein Projekt mehr kostet als es nutzt. Bei zwei geplanten Autobahnen wären also die Kosten höher als der Nutzen. Bei einem beispielhaften CO2-Preis von 2.000 Euro würden bei der A20 die Kosten dem Nutzen entsprechen (eins), bei der A26 würden die Kosten den Nutzen übersteigen (0,9), die A39 wäre unterm Strich sogar schädlich (-0,6).
Bei der A20 und der A39 gehen die Gutachter zudem von einer „hohen Umweltbetroffenheit“ aus. Sie stellen zwar fest: „Die Monetarisierung weiterer Umweltwirkungen im Sinne von Zerstörungen oder Beeinträchtiungen ist methodisch kompliziert und nicht zu empfehlen.“ Sie sollte aber in der Priorisierung der Baupläne berücksichtigt werden.
Ebenfalls nicht in ihre Szenarien einfließen lassen die Autoren, wie viel Fläche Autobahnen verbrauchen und damit den Boden als CO2-Speicher zerstören. Das sei schwer zu bestimmen und trage zu einem kleinen Teil der Treibhausgasemissionen bei.
Ausnahmen stellen dabei die A20 und die A26 dar, die über lange Strecken kohlenstoffspeichernde Böden durchpflügen würden. Mehr als die Hälfte der durch geplante Autobahnen und Bundesstraßen beeinträchtigten Streckenkilometer entfällt auf diese beiden Autobahnen.
Für die A26 Ost sollen zigtausend Kubikmeter Torfboden ausgebaggert und umgelagert werden, damit das darin enthaltene CO2 weiterhin gebunden bleibt. „Es handelt sich um ein experimentelles Verfahren ohne gesicherte Wirksamkeit“, kritisieren Umweltverbände. „Dennoch wird es in den Planunterlagen als Klimaschutzmaßnahme ausgewiesen.“ Angesichts zu erwartender hoher finanzieller und ökologischer Kosten fordert der BUND, den Bau A26 Ost durch Hamburg zu stoppen und schlägt vor, stattdessen die maroden Elbbrücken zu erneuern.
Er kann sich dabei auf den Bundesrechnungshof berufen. Der warnte schon im April, das Bundesverkehrsministerium werde sein Ziel verfehlen, bis 2032 die wichtigsten Autobahnbrücken sanieren zu lassen. „Weiterer Verfall und Brückensperrungen sind vorprogrammiert“, schreibt die Behörde. Das Ministerium unterschätze den Modernisierungsbedarf und überschätze das Leistungsvermögen der Autobahngesellschaft des Bundes, die für Planung, Bau und Betrieb der Autobahnen zuständig ist.
Brückensanierung vordringlich
Die Autobahngesellschaft werde aufgrund ihrer Personalknappheit selbst ihr eigenes, niedriger angesetztes Modernisierungsziel verfehlen. „Die Brückensanierung ist derzeit die vordringlichste Aufgabe der Autobahn GmbH für die Straßenverkehrsinfrastruktur“, heißt es in dem Bericht.
Es sei nötig, sich erstmal auf die wichtigsten Brücken zu konzentrieren. „Der Gesetzgeber könnte dies durch eine Umverteilung der Haushaltsmittel zugunsten der Erhaltung und eine Zweckbindung für die Brückensanierung unterstützen“, schlägt der Rechnungshof vor.
Auf den Bericht des Rechnungshofes und die Studie des Bundesumweltministeriums weist auch der Verkehrsclub Deutschland (VCD) bei seiner Kritik an der A39 von Lüneburg nach Wolfsburg hin: Abgesehen von den Kostensteigerungen sei auch der Bedarf zweifelhaft. Inzwischen sei die parallel verlaufende A14 fast fertig gebaut, die ebenfalls parallel verlaufende A7 sechsspurig und die B4 zu großen Teilen dreispurig ausgebaut.
Das derzeit CDU-geführte Bundesverkehrsministerium teilte mit, die Studie des Umweltministeriums sei für eine Weiterentwicklung der Bundesverkehrswegeplanung „nur bedingt verwendbar“. Die Aussagen zur Wirtschaftlichkeit etwa basierten auf Ansätzen, die im Vergleich zur Methodik des Bundesverkehrswegeplans deutliche Vereinfachungen enthielten. Sie seien „somit als nicht belastbar einzustufen“.
Das niedersächsische Verkehrsministerium teilte mit, dass „eine zügige Umsetzung der großen norddeutschen Infrastrukturprojekte im Interesse des Landes Niedersachsen“ liege, weil sie Grundlage für Wachstum und Beschäftigung seien. „Der Bund und das Land gehen davon aus, dass die A39 weiterhin wirtschaftlich ist“, so das Ministerium.
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