Familientreffen im Film : Alltagsverdichtung unter Kirschblüten

Der japanische Regisseur Hirokazu Kore-eda inszeniert in seinem Spielfilm "Still Walking" familiäre Konflikte so ästhetisch und stilbewusst wie schon in seinen früheren Filmen.

Weder so schön noch so schrecklich wie man denkt: Familientreffen in "Still walking", dem neuen Film von Hirokazu Kore-eda. Bild: dpa

Oma begrüßt ihren Sohn und dessen Familie herzlich, fällt dabei sogar in traditioneller Manier auf die Knie. Opa schweigt. Oma, Tochter und Schwiegertochter kochen gemeinsam und unterhalten sich in der Küche. Opa schweigt. Die ganze Familie sitzt am Wohnzimmertisch, Oma fragt Kinder und Enkel über ihr Leben aus. Opa schweigt. Erst am Ende der Mahlzeit ergreift der weißhaarige Alte, ein pensionierter Arzt, das Wort. Sofort kippt die vorher recht beschwingte Stimmung.

Familientreffen sind weniger eine Auszeit vom Alltag als dessen Verdichtung. Konflikte, die sonst latent bleiben, durch räumliche Trennung gemildert, durch die tägliche Arbeitsroutine an den Rand gedrängt, kommen an die Oberfläche. Zur offenen Aussprache gelangen sie dennoch selten, zu kurz ist das Beisammensein, zu groß die gegenseitige Rücksichtnahme. Deshalb enttäuschen Familientreffen fast immer in zweierlei Hinsicht die Erwartungen: Weder sind sie so schön noch so schrecklich, wie man sie sich vorher vorstellt. Und zurück bleibt meist eine vage Enttäuschung, die man nicht so ohne Weiteres in Worte fassen kann.

Die Konflikte, die in "Still Walking", dem neuen Film von Hirokazu Kore-eda, aufbrechen, aber meist gleich wieder fallen gelassen werden, sind ganz und gar gewöhnlicher Natur. Der Großvater, ein klassischer Patriarch, der mit seiner neuen Rolle als Rentner nicht zurechtkommt, ist unzufrieden mit Berufs- und Partnerwahl seines Sohnes. Auch die Tochter fühlt sich in der eigenen Familie nicht wirklich willkommen. Sogar die Ehe der Alten ist nicht so solide, wie sie auf den ersten Blick scheint.

Das Familientreffen als antidramatische Verdichtung von Alltag: Das ist keine neue Idee im japanischen Kino. Seit seinem wunderschönen Erstlingswerk "Maboroshi - Das Licht der Illusion" (1995) gilt Hirokazu Kore-eda unter den jüngeren japanischen Regisseuren als derjenige, der sich am deutlichsten auf die ästhetischen Traditionen des Kinos seines Heimatlands bezieht. Noch expliziter als seine früheren Filme ist "Still Walking" der klassischen Form, insbesondere den Alltagsdramen Yasujiro Ozus und Mikio Naruses, verpflichtet. Hirokazu Kore-edas ökonomisch konstruierte, meist starre Einstellungen rücken klassische Sujets der japanischen Ästhetik wie die Kirschblüte ins Bild, sogar die Eisenbahnen Ozus tauchen auf. Allerdings ist Hirokazu Kore-eda bei allem Traditionsbewusstsein kein Traditionalist.

Die klassische Form verbindet sich nicht mit konservativen gesellschaftspolitischen Vorstellungen, im Gegenteil: Auch wenn Gesten, Berührungen und gemeinsame Mahlzeiten Kontinuitäten herstellen, sind die Gräben zwischen den Generationen in "Still Walking" letztlich nicht mehr zu überbrücken, die Familie ist nicht länger gesamtgesellschaftlich sinnstiftender Zusammenhang, sondern nur noch eine Zweckgemeinschaft, die sich über Ausschließungen definiert. Die hilflose Verzweiflung des Sohnes darüber, dass die Seinen nur noch im Lästern über einen tolpatschigen Bekannten Zusammenhalt finden, gehört zu den eindrücklichsten Momenten des Films.

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