Fankultur in Fußballstadien: Macht eure Kurven auf!

Das ewige Gefasel von Ehre und Treue zum Verein macht das Stadion zu einem rückständigen Ort. Es wird höchste Zeit für eine neue Fankultur.

Männer in Fußballtrikots stehen auf einem Platz. In der Mitte steht ein Mann mit Hut, der einem anderen seine Hand entgegenstreckt.

Nehmt sie auf, lasst sie rein: BVB und Bayern-Fans auf dem Breitscheidplatz in Berlin (Archivbild) Foto: Sebastian Wells

Fußballfans, die sich als die wahren bezeichnen, schwören auf Treue – die Eingefleischten, die alten Kuttenfans und die jungen Ultras. Sie singen von ihrer Liebe, die „für alle Zeit“ bestimmt sei, davon, dass sich daran „bis in den Tod“ nichts ändern werde. Sie fühlen sich als die wahren Vertreter der Klubs.

Die Spieler wechseln, wie es ihnen oder ihren Beratern gefällt. Die Fans sind es, die bleiben. Und wenn Nationalspieler Christoph Kramer sagt: „Ich möchte erst mal so lange in der Bundesliga bei Gladbach spielen, wie mich meine Füße tragen“, dann nehmen sie das nicht ernst. Als Söldner sind die Profis längst verschrien, als Legionäre, und wer gar zu einem Erzrivalen wechselt, der wird wissen, dass man ihn als „Judas“ beschimpfen wird. Treue ist die höchste Tugend in der Kirche der Kurven. Treue ist Ehrensache. Ehre? Treue? Da war doch was.

Dieses ewige Treuegehabe und Ehrgefasel aus den Kurven macht das Fußballstadion tatsächlich zu dem rückständigen Ort, als der er verschrien ist. Als am Montag in Rostock Fans des FC Hansa ein Banner verbrannt haben, das sie einst Hertha-Fans gestohlen hatten, konnten sie sich darauf verlassen, dass die Berliner sich in ihrer Ehre gekränkt fühlten. Es soll schon Ultragruppierungen gegeben haben, die sich aufgelöst haben, weil man die Fahne, die man ihnen geklaut hatte, in der gegnerischen Kurve präsentiert hat. Sie hatten ihre Ehre verloren und damit das Recht, sich als Gruppe zu präsentieren.

Es muss Schluss sein mit derart kindischem Ernst!

Migration muss auch von Kurve zu Kurve möglich sein. Es geht um den aufgeklärten Fußball

Vielleicht sind die Kurven weniger homophob, als viele wahrscheinlich völlig zu Recht befürchten. Vielleicht sind sie nicht ganz so sexistisch, wie es den Eindruck macht. In jedem Fall aber ist ihre Abgeschottetheit, ihre Tugendbesessenheit gestriger, als es einer aufgeklärten Gesellschaft guttun kann. Ein wenig mehr Offenheit würde den Kurven gewiss nicht schaden. Vereinswechsel sollten auch in der Fanszene kein Tabu sein. Oder anders in bestem Gutmenschensound formuliert: Migration muss auch von Kurve zu Kurve möglich sein. Es geht um den aufgeklärten Fußball.

Als Kind war ich ja Schalke-Fan, dann hatte ich meinen festen Platz auf der Südtribüne in Dortmund, aber jetzt schlafe ich in Bettwäsche vom VfL Bochum und bin bei jedem Auswärtsspiel dabei. Wer solche Sätze sagt, verliert schnell jedes Ansehen in der Kurve. Dabei sollte es normal sein, sich den Klub seines Herzens selbst auszusuchen. Aber wer macht das schon?

Vom Klubstrampler zur Ultrabande

Der eine bekommt die Liebe zu seinem Stammverein von den Eltern regelrecht eingeimpft. Kaum auf der Welt wird ihm oder ihr der Klubstrampler angezogen, und auf dem Bild von der Taufe ist der oder die Kleine mit einem Schnuller mit Vereinslogo im Mund zu sehen. Der andere kommt irgendwie zu dem Klub, weil seine Freunde auch irgendwie zu dem Klub halten. Bald ist die Kurve cool, und Teenager schwören ihrem Klub und ihrer Ultrabande ewige Treue. Die wenigsten aber machen sich, bevor sie ihr Leben einem Klub widmen, Gedanken darüber, was diesen Verein eigentlich auszeichnet. Auf die Frage, warum man einen Klub besonders, nun ja, liebe, gibt es nicht selten nur eine Antwort: Weil das schon immer so war.

Es gibt die Erfolgsfans, die einen Klub toll finden, weil dessen Spieler eine Trophäe nach der anderen gewinnen. Von den wahren Anhängern, den Krakeelern in der Kurve, den Fahnenschwenkern, den Transpimalern, den Doppelhalterhaltern, werden sie nicht für voll genommen. Wer nicht schon einmal um einen Klub geweint hat, wer nicht gelitten hat, ist für sie kein wahrer Fan.

Warum eigentlich nicht? Erfolg ist doch nun wirklich ein Grund, sich für einen Klub zu entscheiden. Fußball ist Sport, schon vergessen? Und wenn der Erfolg ausbleibt, wechselt man den Klub. Ja, warum denn nicht? Ein Schalke-Fan, der in die Bayern-Kurve wechselt, weil er auch einmal über eine Meisterschaft jubeln will, ist doch kein Verbrecher. Gebt ihm Asyl!

Vielleicht will dieser Schalke-Fan seinen Klub schon lange verlassen, weil ihm die Partnerschaft des Klubs mit dem russischen Sponsor Gazprom nicht passt, weil er nicht im Trikot einer staatlichen Firma rumlaufen möchte, die andere Staaten erpresst. Liebe Münchner, nehmt diesen Mann doch bitte in eure Kurve auf, er hat einen guten Grund, seinen Verein zu wechseln! Und habt Verständnis, wenn er es sich dann doch noch anders überlegt, weil er den neuen Ärmelsponsor der Bayern aus Katar auch nicht besser findet als Gazprom.

Weniger Treue, weniger Ehre!

Fans der Braunschweiger Eintracht, die es satthaben, sich Woche für Woche neben irgendwelche Nazis in die Kurve zu stellen, und sich entscheiden, fortan den FC St. Pauli zu supporten, sollten da mit offenen Armen aufgenommen werden. Refugees welcome! Und wenn jemand die Schnauze voll hat von den sogenannten Kiezkickern, die ihr gutes Gewissen so gut vermarkten können, warum soll der nicht zu RB Leipzig wechseln, wo ganz gewiss nicht so getan wird, als könne Profifußball ohne Businessplan gespielt werden.

Lasst ihn ziehen! Und wenn die Leipziger plötzlich anfingen, den schönsten Fußball aller Zeiten zu spielen, nichts wie hin, liebe HSVler! Wer es partout nicht lassen kann, seinen Klub toll zu finden, weil er ihn immer schon toll gefunden hat, bitte, der soll ruhig weiter zu den Rothosen halten.

Und keine Angst, liebe Freundinnen und Freunde der verhärmten Fußballkultur, die ihr den anderen Klubs so gerne lauthals „Tod und Hass“ wünscht. Ihr sollt nicht aufhören zu singen, Fahnen zu schwenken, euer Team zu unterstützen. Ihr sollt nicht mit den Fans der gegnerischen Mannschaft Händchen haltend im Stadion sitzen und Kirchentagslieder trällern: Danke für diesen schönen Fußball! Nein, schreit für euren Klub, singt irgendwelche Lieder, versucht, lauter zu sein als die anderen, und vor allem: Seht sie als Gegner, nicht als Feinde. Ihr seid nicht die besseren Menschen, weil ihr Glubberer, Löwen oder Werderaner seid, ihr seid nur Fans eines anderen Vereins.

Also, liebe Ultras, die ihr bisweilen mit bewundernswertem Einsatz Antifaschismus und Antirassismus auf eure Fahnen schreibt, hört auf, die Fans anderer Klubs als Untermenschen zu betrachten. Überlegt, ob das zu eurem Weltbild passt, ob ihr wirklich derart identitätsbesoffene Radikalos sein wollt. Wechselt mal die Seiten! Nieder mit den Zäunen zwischen den Kurven! Für offene Grenzen in den Stadien! Weniger Treue, weniger Ehre! Für eine neue Fankultur!

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