Fatou Diome im Gespräch: „Freiheit als Weltbürgerin“

Grenzen aufrechtzuerhalten, ist für Fatou Diome wie „den Atlantik mit dem Teelöffel auslöffeln zu wollen“. Die Schriftstellerin über Frauenrechte, den anderen Blick und getrennte Realitäten.

Migration ist nichts Neues und gab es, seitdem es Menschen gibt. Bild: Ann Wuyts/flickr

Fatou Diome, in Ihren Romanen finden sich autobiografische Elemente aus Ihrem Leben im Senegal und in Frankreich. Macht Sie das nicht verletzlich, die eigenen Erfahrungen einzubauen?

„Ob man in Europa oder in Afrika ist, ein Mädchen zu sein und seinen eigenen Weg gehen zu wollen bleibt ein Kampf“

Nein, weil meine Bücher keine Berichte sind, sondern Romane bleiben. Es gibt in einigen meiner Bücher einen Teil, der mit meiner Geschichte verunden ist, aber es bleibt eine Reflexion über die Gesellschaft. In meinem letzten Roman (Impossible de grandir, Anm.d.R.) ging es um die Situation von Kindern, Familienproblemen und die Frage, wie man seinen Platz im Leben findet. Das ist eher eine Art zu sagen, ich bin hier, und ich muss für meine Würde kämpfen.

Sie werden oft gefragt, wie Sie in Frankreich leben, dabei wohnen Sie dort schon seit 22 Jahren. Liegt darin eine implizite Rechtfertigung, die von Ihnen verlangt wird, warum Sie in Frankreich sind?

Ich finde es seltsam, dass ich nach 22 Jahren noch gefragt werde: Bevorzugen Sie Europa oder Afrika? Das ist keine Frage mehr für mich. Es sind die anderen, die ein Problem damit haben und die von mir verlangen, mich zu rechtfertigen. Für mich ist es etwas Normales, total Banales (lacht). Ein Mensch lässt sich nicht an seiner Hautfarbe oder seinem Geburtsort zusammenfassen.

Schriftsteller*innen aus Europa werden seltener nach ihrer Herkunft gefragt oder betrachtet.

Ja, ich denke, dass es an der Zeit ist, den Blick zu ändern. Wenn ein Europäer nach Asien oder Afrika reist und ein Buch schreibt, verlangt niemand von ihm sich zu rechtfertigen. Er ist einfach ein Intellektueller, frei über die Welt zu reflektieren. Warum werden AfrikanerInnen in eine Schublade gesteckt, als ob der Rest der Welt sie nicht auch betrifft? Ich fordere die Freiheit als Weltbürgerin, als Frau und auch meine künstlerische Freiheit.

La liberté en tant que citoyenne du monde“ – Maintenir des limites territoriales, pour Fatou Diome, c'est „comme vouloir vider l'Atlantique à la petite cuillère“. L'écrivaine sur les droits de femmes, l'autre regard et des réalités séparées.

 

Leser*innen können auch etwas lernen wenn sie Bücher lesen, die sich in anderen Kontexten abspielen.

Das stimmt, aber man sollte den Schriftsteller nicht zu einem Touristen-Führer reduzieren! In einem kleinen Buch, Le vieil homme sur la barque, sage ich, „Einen Autor durch und wegen seiner Herkunft zu lesen, ist nichts als literarische Ketzerei". Das heißt, einen Schriftsteller nur durch seine Herkunft verstehen zu wollen, oder sich nur deshalb für sein Werk zu interessieren, ist für mich ein literarisches Vergehen.

Was antworten Sie Leuten, die Unterschiede zwischen Europa und Afrika betonen?

Es gibt nicht eine afrikanische Art und eine europäische Art zu weinen. Es gibt einfach nur eine menschliche Art zu leiden oder Dinge zu schätzen. Eine Musik, ein Buch, das berührt Sie oder nicht. Es geht darum Revolten zu teilen, Utopien, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Und, wenn man sie nicht verbessern kann, aufzuzeigen was nicht geht. Und das ist eine kollektive Reflexion.

Was ist ein Beispiel, wo es gut war, die Erfahrungen zu haben, die Sie in Europa sammelten?

In meinem Leben als Frau zum Beispiel. In Europa zu leben gab mir mehr Freiheit. Nicht, dass ich keine Freiheiten hatte in Afrika, denn ich habe dort auch immer dafür gekämpft. Ich bin in einer Region der Serer-Kultur aufgewachsen, einer matriarchalen Kultur. Das hat mir sicherlich geholfen, die europäische Kultur leichter anzunehmen und meine Freiheit als Frau zu leben.

Welche Bedeutung hatte es denn für Sie, in einer matriarchalen Kultur aufzuwachsen?

Fatou Diome, Jahrgang 1968, ist Schriftstellerin. In ihren Büchern geht es um europäische und afrikanische Lebenswelten. Bekannt wurde sie durch mediale Auftritte, in denen sie auf die koloniale Perspektive in der aktuellen Migrationsdebatte aufmerksam machte. Auf dem taz.lab wird sie aus ihren Büchern lesen und erklären, warum Migration nach Europa banal ist.

Die Frauen hatten dort schon immer viel Verantwortung. Sie sind frei und sehr respektiert. Ich wurde von meiner Großmutter aufgezogen, die, auch wenn sie das Wort 'Feminismus' nicht benutzte, durch ihre Art zu leben eine Feministin war, und mich viel lehrte. Sie arbeitete, hatte die Freiheit zu denken und zu handeln. Wenn man diese Freiheit bereits als Jugendliche lernte, kommt man leichter im Leben als Frau zurecht.

Also eine Freiheit, die Ihnen ermöglichte diejenige zu werden, die Sie heute sind?

Ob man in Europa oder in Afrika ist, ein Mädchen zu sein und seinen eigenen Weg gehen zu wollen bleibt ein Kampf. Also verdient man sich die Freiheit, man erhält sie nicht. Es gibt niemanden der entscheidet, Sie Ihnen zu geben, es ist an Ihnen, dafür zu kämpfen.

Wie leben Sie die Globalisierung?

Wenn man in der Literatur, in der Philosophie lebte, sich mit Leuten von hier, von woanders austauscht, gibt es keinen großen Unterschied. Globalisierung, die Leute sprechen mittlerweile davon (lacht). Obwohl es die Globalisierung für mich schon gab, als ich in Dakar war, wenn ich Zeitungen las und wusste, was in Europa oder anderswo passiert. Was sich in der Welt abspielte, war in derselben Welt, zu der ich gehöre.

Es gibt Leute, die die Globalisierung nicht nur positiv sehen.

Es gibt Leute, die sich unserer gemeinsamen Welt bewusster sind. Und Leute, die noch die Illusion von getrennten Ländern mit getrennten Realitäten haben. Getrennte Realitäten, das ist heutzutage eine Fiktion. Eine Mauer in die Mitte von alldem zu ziehen ist eine Fiktion geworden. Die territoriale Grenze, Abgrenzung, das ist in unserer Zeit eine Unmöglichkeit geworden. Die Leute, die das versuchen, werden leiden (lacht). Das ist so, als wenn Sie den Atlantik mit einem Teelöffel leer schöpfen wollen. Die Menschen werden sich treffen, egal was passiert, also müssen sie lernen sich zu entdecken und zu respektieren.

Interview und Übersetzung: MARION BERGERMANN, Redakteurin des taz.lab