Feindbilder des Staatsschutzes: Das Phantom

Wer als angeblicher Anhänger des Salafismus ins Fadenkreuz der Behörden gerät, der hat es schwer: Das zeigt der Fall des Bremers Bilal M.

Unschuldig, wenn es nach den Grundsätzen des Rechtsstaats geht: Bilal M. Foto: Klaus Wolschner

BREMEN taz | Es ist ein trüber Samstagnachmittag, 20 Stunden nach dem Beginn der Terrornacht in Paris. An der Wohnungstür von Bilal M. in Bremen-Aumund stehen zwei Polizeibeamte, Staatsschutz. Ist Bilal M. da? Nein. Seine Frau mit den vier Kindern ist da, sie telefoniert nach ihrem Mann, der kommt nur ein paar Minuten später. Nur zur Kontrolle, sagen die Männer vom Staatsschutz. Nur zur Sicherheit. Bilal M. ist aufgebracht, weil die Beamten mit Schuhen seine Wohnung betreten haben. Aber eigentlich ist er erregt wegen der monatelangen Schikane: „Mein Name ist gebrandmarkt. Was wirft man mir vor?“, fragt er. „Gibt es irgendwann vielleicht eine öffentliche Klarstellung, mit der mein Name reingewaschen wird?“

Für die Polizei ist Bial M. ein „registrierter Salafist“. Zum Vorwurf gemacht wird ihm seine religiöse Überzeugung, sonst letztlich nichts. Bremens Innensenator Ulrich Mäurer, SPD, erklärte nach den Anschlägen in Paris, es gebe in Bremen „Hintergrundaktionen“, über die er sich aber öffentlich nicht äußern werde. Offenbar waren solche Hausbesuche bei Verdächtigen gemeint, Hausbesuche wie bei Bilal M. Der Sicherheitsapparat ist also beschäftigt, aber warum ist Bilal M. ein Verdächtiger? Auch acht Monate nach dem Bremer Terroralarm Ende Februar (siehe Kasten) gibt es keinerlei Indiz für irgendetwas. Der Verfassungsschutz hat ein Phantombild von Bilal M., aber keine Vorstellung, hat keine Ahnung, wie Männer wie er ticken.

„Ich liebe den Koran“

Die taz hat Bilal M. besucht, mehrfach, auf seinem Sofa gesessen, den Tee getrunken, den seine Frau servierte. Was heißt Salafist? „Ich liebe den Koran, ich liebe Mohammed“, sagt Bilal M. „Salafi“ heiße Vorfahren. Eigentlich seien alle Muslime, die sich an den „Vorfahren“ orientieren, Salafisten. Gleichzeitig betont der Mann, der in Neukölln geboren ist und die libanesische wie die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, dass seine Familie „auf eine moderne Art religiös“ sei – „alle meine Schwestern haben das Gymnasium besucht“. Hamsa, der kleine Sohn, springt vom Sofa: „Ich bin Spider-Man!“, ruft er. Überall liegen Handys, das scheint das wichtigste Spielzeug der Kinder zu sein. Die größere Tochter hilft im Haushalt. An der Wand hängen zwei Tafeln mit arabischen Schriftzeichen. Im Zentrum schmückt ein moderner großer Flachbildschirm die Wand, auf dem gerade das Video einer traditionell arabischen Hochzeit läuft.

Am Morgen des 28. Februar 2015 patrouillieren in der Bremer Innenstadt, auf dem Marktplatz und vor der Synagoge Polizisten mit Maschinenpistolen im Anschlag. Es gebe ernst zu nehmende Hinweise auf geplante Anschläge von islamistischen Gewalttätern, erklärt Innensenator Ulrich Mäurer (SPD). 60 Uzi-Maschinenpistolen seien in Kreisen des „Islamischen Kulturzentrums“ (IKZ) verteilt worden, heißt es unter Berufung auf Quellen des Verfassungsschutzes.

Am Abend werden die Wohnungen von zwei in Bremen lebenden „Haupttätern“ durchsucht, die Betroffenen kommen nach wenigen Stunden wieder auf freien Fuß. Die eine Durchsuchung erfolgt aufgrund eines vier Wochen früher ergangenen Durchsuchungsbeschlusses, die andere wegen „Gefahr im Verzug“.

Auch die Gebetsräume des IKZ werden gestürmt und mit Hunden durchsucht. Am Ende halten die Ermittler nicht eine einzige Uzi in Händen, haben keinen Terroristen vorzuweisen. Nicht einmal ein belastender Zettel wird gefunden.

Am 1. März gilt die Terrorgefahr als vorbei, Fußball-Bundesligist Werder Bremen spielt wie geplant gegen den VfL Wolfsburg (und verliert 3:5). Die Linken-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke erklärt, die Polizei sei „Opfer ihrer eigenen Paranoia“ geworden.

Am 9. Juli befindet das Bremer Landgericht: Die Durchsuchung des IKZ war rechtswidrig. Innensenator Mäurer unterstreicht, dass sich dadurch nichts an der Bewertung der Bedrohungslage Ende Februar ändere –und auch nicht an der Beurteilung des IKZ.

Bekräftigen will Mäurer dies am kommenden Dienstag, 1. Dezember, bei seiner Vernehmung vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Wie es zur offenbar kolossalen Fehleinschätzung der Sicherheitsbehörden kommen konnte, ist für den Ausschuss kein Thema.

Der Verfassungsschutz hat Bilal M. als einen der beiden „Haupttäter“ des 28. Februar 2015 ausgemacht. Des Tages, an dem angeblich französische Terroristen auf dem Weg nach Bremen waren, um hier die Synagoge, den Dom und anderes in die Luft zu sprengen. 60 Maschinenpistolen der Marke „Uzi“ sollen in der Gemeinde des „Islamischen Kulturzentrus“ (IKZ) verteilt worden sein. Der Innensenator ließ Polizeibeamte mit schussbereiten Kriegswaffen auf dem Marktplatz aufmarschieren und den IKZ-Gebetsraum stürmen. Kein Franzose wurde angetroffen, bis heute keine Uzi in Bremen gefunden.

Die Durchsuchung der Moschee am Breitenweg ist inzwischen von einem Gericht für rechtswidrig erklärt worden. In der Ermittlungsakte gegen Bilal M. stehe nichts drin außer den Hirngespinsten des Verfassungsschutzes, sagt der Rechtsanwalt Eberhard Schulz. Man werde die Ermittlungen möglicherweise noch in diesem Herbst abschließen, das immerhin bestätigt die Staatsanwaltschaft. Also reicht es offenbar nicht einmal zu einer Anklageschrift.

Hausdurchsuchung mit Playmobil

Bilal M. ist also unschuldig, jedenfalls nach den Grundsätzen eines Rechtsstaates. Über Monate wurde er dennoch vom Verfassungsschutz beobachtet, auch Jasmin, seine selbstbewusste junge Frau. „Das nervt“, sagt sie, permanent dieses Gefühl der Überwachung. Und sie ist besorgt wegen der Wirkung auf die Kinder: „Der Kleine spielt schon im Kindergarten mit Playmobil Hausdurchsuchung.“

Bilal M. hat einen Realschulabschluss und zwei handwerkliche Ausbildungen. Seinen Job als Elektroinstallateur aber hat er verloren: Der Chef hatte mehrfach Besuch von den Fahndern bekommen, die erklärten, was für einen gefährlichen Mann man da beschäftige. Bilal M. wurde arbeitslos, bekam neue Arbeit als Sicherheitsmann und Dolmetscher in einer Flüchtlingsunterkunft. Da er fließend Deutsch und Arabisch spricht, war er bestens qualifiziert für diese gut bezahlte Arbeit. Bis er rausflog – nach einem Anruf des Staatsschutzes. Dann wollte er in Schwanewede, Kreis Osterholz, bei der Flüchtlingsbetreuung anheuern – wieder intervenierten die Bremer Behörden.

Seit einigen Wochen hängen in Bremer Flüchtlingsunterkünften steckbriefartige Fotos von fünf Männern. Einer davon ist Bilal M. Der Leiter der Unterbringung in der Gerhard-Rohlfs-Straße zeigt das Foto den Flüchtlingen und sagt, sie sollten sich besser von diesem Mann fernhalten. Ein Hausverbot wurde aber nicht ausgesprochen, dafür gibt es auch gar keinen Grund. Aber das arabische Wort für „Hausverbot“ steht neben dem Foto, handgeschrieben. „Das ist das Foto, das die Polizei von mir während der zweistündigen Verhaftung im Februar aufgenommen hat“, sagt Bilal M. An jenem Samstag kam er wieder frei, weil es keine konkreten Vorwürfe gab. Freigelassen wurde er offenbar aber nur zur weiteren Observation.

Anfrage bei der Polizei: Was war in dem Flüchtlingswohnheim passiert? Warum hängt da dieses Steckbrief-Foto? Die Polizei hält sich bedeckt: „Die genannten Hausverbote sind hier bekannt und werden seitens der Abteilung für Staatsschutz befürwortet“, so lautet die offiziöse Auskunft. Aber wie kommt ein Foto aus einer Fahndungsakte in der Gerhard-Rohlfs-Straße an die Wand? „Wenn wir ein Foto der Polizei aushängen, dann steht da Polizei drüber.“ Also kann nicht sein, was nicht sein darf – und das Foto hängt doch da. Weitere Auskünfte gibt es keine, es gehe um ein laufendes Ermittlungsverfahren. Wird denn wegen irgendeines Vorfalls in dem Flüchtlingsheim ermittelt? Nein. Die Polizei mauert. Das Foto zu überlassen wäre möglicherweise rechtswidrig.

Im Haus der Bremer Sozialsenatorin, zuständig für Flüchtlingsunterkünfte, ist zu erfahren, dass die Polizei auf solche Hausverbote „dränge“, weil es für das Instrument eines „Betretungsverbots“ keine gerichtsfeste Begründung gebe. Beim Träger, dem Arbeiter-Samariter-Bund, heißt es ganz schlicht: Die Fotos hängen in allen Übergangseinrichtungen – angebracht habe sie „irgendwie die Polizei“. Das deckt sich mit dem, was die privaten Sicherheitsleute sagen.

Nächstenliebe unter Verdacht

Vor acht Wochen war Bilal M. tatsächlich mal in der Gerhard-Rohlfs-Straße. Er hat geholfen, 20 blaue Plastiksäcke mit Kleiderspenden ins Büro zu bringen. „Das war meine Idee“, sagt Lisa D., „ich habe im Kreis meiner Freundinnen gesagt, sie sollten doch mal ihre Kleiderschränke aufräumen. Berge sind zusammengekommen.“ Die Leute von der Flüchtlingsunterkunft seien erfreut gewesen. Und Bilal M. hat übersetzt, als Lisa D. Frauen und Kinder fragen wollte, ob sie spezielle Wünsche hätten, Spielzeug vielleicht, Kosmetika. „Wir haben zusammengelegt, für mehr als 100 Euro Hula-Hoop-Reifen, Hygieneartikel und anderes gekauft“, erzählt Lisa D. Alles wurde mit ihrem Auto zum Flüchtlingsheim geschafft. Bilal M. hat geholfen, auch seine Frau: Sie erklärte einer schwangeren Syrerin, welche Medikamente ihr der Arzt verschrieben hat, dass das in Deutschland üblich sei und überhaupt nicht schlimm.

Wurde dabei auch missioniert? „Quatsch“, sagt Lisa D., „ich bin deutsch und christlich. Wir haben überhaupt nicht über Religion gesprochen.“ Zumal: „Die meisten Flüchtlinge sind Kurden.“ Auch für Christen und Yeziden unter den Flüchtlingen haben Bilal M. und seine Frau gedolmetscht, selbstverständlich, „viele meiner Freunde sind Yeziden“, sagt er.

Auch Lisa D., die Christin, nennt er seine Freundin. Sie bekam zwei Wochen nach der Hilfsaktion einen Anruf vom Staatsschutz: Sie sei doch in der Flüchtlingsunterkunft gewesen: Was sie da gemacht habe, mit wem, und so weiter. Sie erzählte der Polizei von der gut gemeinten Aktion. Wenige Tage später hingen die Steckbriefe im Flur der Unterkunft.

„Das schadet vor allem den Muslimen“

Was denkt so ein „registrierter Salafist“, dem die Polizei unterstellt, er habe eine große Terroraktion in Bremen geplant, über die Terrornacht in Paris? „Mein erster Gedanke galt den Opfern und ihren Angehörigen“, sagt Bilal M. „Es gibt in so einem Krieg keine Sieger.“ Es sei eine „große Katastrophe, wer kann eine so böse Phantasie haben“? Und dann stellt er die Frage, wem so was nutzt und schadet. Klar: „Das schadet den Muslimen. Wir sind die Geschädigten.“ Die Muslime würden noch weiter in die Ecke gedrängt. Aber warum macht der „Islamische Staat“ das? „Das waren nicht Muslime, sie werden nur ausgenutzt“, sagt Bilal M. „Anders kann ich mir das nicht erklären.“ Solche Morde seien mit seinem Verständnis von Islam unvereinbar.

Eigentlich will Bilal M. nur in Ruhe mit seiner Familie leben. Dazu gehört, seinen Glauben zu praktizieren. „Jedem seine Religion“, sagt er. Und fragt wieder: „Warum muss ich mich immer rechtfertigen für etwas, womit ich nichts zu tun habe? Habe ich acht Monate nach diesem Tag im Februar nicht ein Recht auf eine öffentliche Klarstellung? Auf eine Entschuldigung?“

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