Feminismus in Tunesien: Die Frauen der Revolution

Sie gelten als stark, modern und selbstbewusst - tunesische Frauen haben die Macht des Autokraten aller Autokraten aktiv bekämpft. Nun lassen sie sich nichts mehr wegnehmen.

"Die Liebe zur Demokratie ist die Liebe zur Gleichheit": Eine Tunesierin fordert Gleichberechtigung - gemeinsam mit Montesquieu. Bild: reuters

TUNIS taz | Die Proteste auf den Straßen von Tunis enden nicht. Am Sonntag trat auf Druck der Straße, darunter viele junge Frauen, der Premierminister der Übergangsregierung Mohammed Ghannouchi, ein Mann des alten Regimes, zurück. Der neu nominierte Premierminister, Béji Caïd Essebsi, gilt unter Frauen als laizistischer Politiker.

"Das ist ein gutes Omen", sagt Emna Ben Miled, Frauenforscherin und Mitbegründerin eines Masterstudiengangs in Frauenforschung. "Denn auch der Verantwortliche der Verfassungskommission Ben Achour ist laizistischer Überzeugung und will das Prinzip der Geschlechtergleichheit in der Verfassung verankern."

Seit dem 14. Januar ist die tunesische Öffentlichkeit weiblicher geworden. In Radio, Fernsehen oder Zeitungen sind bekannte Feministinnen wie Sana Ben Achour, Vorsitzende der Vereinigung Demokratischer Frauen, Noura Borsali, Khadija Cherif, Bochra Belhaj Hmida, Neila Jrad jetzt gefragte Gesprächspartnerinnen. Was sie über Religion und Politik denken, ob ihnen die Islamisten Angst machen, wie ihre Haltung zum Schleier ist.

Eherecht: Direkt nach der Unabhängigkeit 1956 führte Präsident Bourguiba im Bestreben zügiger Modernisierung das Personenstandsrecht ein: Polygamie und Verstoßung wurden abgeschafft, die gerichtliche Scheidung auf der Grundlage von Geschlechtergleichheit eingeführt (damit ist Tunesien absoluter Vorreiter in der arabischen Welt). Seit 1957 ist die zivilrechtliche Eheschließung Gesetz.

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Frauenrechte: Das Wahlrecht bekamen die Tunesierinnen direkt nach der Unabhängigkeit. Seit 1963 ist Abtreibung in bestimmten Fällen rechtlich gestattet, seit 1973 ist sie straffrei. 1993 wurde die Kooperation der Eltern in der Familie eingeführt, der Vater bleibt jedoch Familienvorstand.

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Bildung: Nach offiziellen Zahlen werden heute 99 Prozent der Mädchen eingeschult, in ländlichen Gebieten teils früher als Jungen wieder aus der Schule genommen. Gleichwohl sind mehr als 50 Prozent der tunesischen Abiturienten weiblich, ebenso liegt der Anteil von Frauen unter den Studierenden bei mehr als 50 Prozent.

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Arbeitsmarkt: Mehr als ein Viertel der Frauen ist berufstätig. In den Städten ist ihr Anteil weit höher. Frauen mit Hochschulabschluss sind stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als ihre männlichen Kollegen.

Sichtbar mischen sich Feministinnen ins revolutionäre Geschehen ein, bei Diskussionen über Islam und Laizität, über Verfassung und Politik, sie schreiben Manifeste, die junge Generation ist im Netz unterwegs, informiert, diskutiert, verbreitet Petitionen. Überwachung, Verbot von öffentlichen Aktionen, polizeiliche Willkür - das war der Alltag tunesischer Feministinnen in den Jahrzehnten der Diktatur.

"Bis zur Revolution haben wir in gewisser Weise unsichtbar gearbeitet", sagt Emna Ben Miled, "die herrschende Macht hat uns keine soziale Sichtbarkeit gestattet. Das war auch so, als wir vor zwei Jahren die feministische Universität, immerhin mit UN-Geldern finanziert, eröffnet haben. Wieder stand der Polizeibus mit den schwarz Uniformierten vorm Tor. Sogar das Schild mit der Aufschrift 'Frauenuniversität' konnten wir erst nach dem 14. Januar anbringen."

"Es geht jetzt konkret darum", erklärt Emna Ben Miled, die bei den Femmes Démocrates aktiv mitarbeitet, "im neuen Tunesien das umzusetzen, woran Frauenrechtlerinnen seit Langem arbeiten. Dazu gehöre die Reform des Erbrechts auf der Basis von Geschlechtergleichheit genauso wie die rechtliche Verankerung der Gleichheit von Männern und Frauen in einer tunesischen Verfassung. Gewalt gegen Frauen stehe noch immer im Fokus, da muss ein Rahmengesetz her, das effektiveres Handeln ermöglicht. "Ein erster sichtbarer Schritt könnte die Streichung der tunesischen Vorbehalte in den unterzeichneten internationalen Konventionen zur Beseitigung jeglicher Diskriminierung von Frauen durch die jetzige Übergangsregierung sein", sagt Emna Ben Miled

Bei der neuen Frauenministerin Lilia Labidi, selbst Frauenforscherin und eine der beiden Frauen in einer mehr als zwanzigköpfigen Übergangsregierung, müssten diese Forderungen auf offene Ohren treffen. Vor einigen Tagen war die Vereinigung demokratischer Frauen (ATFD) bei Lilia Labidi und hat nachdrücklich an die Notwendigkeit erinnert, Reformen für die Rechte der Frauen verstärkt fortzuführen.

Schon seit den 1920er Jahren setzten sich Pionierinnen der Frauenemanzipation in Tunesien öffentlich für die Rechte der Frauen und gegen deren gesellschaftlichen Ausschluss ein. Nach der Unabhängigkeit 1956 wurde die UNFT (Union Nationale des Femmes Tunisiennes) als staatliche Frauenorganisation gegründet.

Eine autonome Frauenbewegung entwickelte sich seit Ende der 1970er Jahre. Die zwei unabhängigen feministischen Vereinigungen ATFD (Tunesische Vereinigung demokratischer Frauen) und AFTURD (Vereinigung tunesischer Frauen für Forschung und Entwicklung) wurden 1989 zugelassen. Das Engagement unabhängiger Feministinnen wurde vom Staat immer wieder behindert und eingeschränkt. Doch die Emanzipation der tunesischen Mittelschichtsfrauen ist sicher auch ein Erfolg dieser Bewegungen.

Für viele junge Frauen sind die erlangten Rechte eine Selbstverständlichkeit. "Ich bin frei, fühle mich frei", sagt Azza Lamine, die 25-jährige Softwarespezialistin. "Ich brauche nicht auf die Straße zu gehen, um für unsere Freiheit als Frauen zu demonstrieren." Früher habe sie sich in die Politik nicht eingemischt. Die Videos über die brutalen Gewalteinsätze im Landesinneren, die Bilder der Toten in Thala, Kasserine, Gafsa haben sie aufgerüttelt.

Am 14. Januar ging sie zum ersten Mal in ihrem Leben, zusammen mit Freundinnen und "viel Angst im Bauch", zu einer Demonstration, um den Diktator zu verjagen. "Jetzt will ich wissen, was die Übergangsregierung macht, ich informiere mich über Parteien und Vereine. Früher war das fast ein Tabuthema. Ich sehe aber keine Partei, die mich besonders interessiert. Da wird viel geredet. Aber was ist mit der Zukunft, was ist euer Programm? Ich beobachte alles mit kritischen Augen und möchte gern etwas Neues für die junge Generation hinzufügen."

Selma Ammar, die 27-jährige Erdölingenieurin, war auf einem Meeting der Partei von Nejib Chebbi, der jetzt Minister für regionale Entwicklung ist. "Die Parteivorsitzende Maya Jeribi hat mir gefallen. Vielleicht kann ich die im Wahlkampf unterstützen. Mal sehen", sagt sie. Auch die 30-jährige Ärztin Soukaina Ouerdi interessiert sich jetzt mehr für Politik. Sie findet, dass in der Übergangsregierung ganz gute Leute sitzen. "Es stimmt, da sind nicht so viele aus der jungen Generation wie der Blogger Slim Amamou, der jetzt Staatssekretär ist. Wir Jungen brauchen noch etwas Zeit, glaube ich, um in die Politik hineinzuwachsen. Und sollte man versuchen, uns Frauen etwas wegzunehmen, bin ich wieder auf der Straße."

Dem Aufruf von Feministinnen zum Marsch der Zivilgesellschaft sind Selma Ammar, Azza Lamine und Soukaina Ouerdi nicht gefolgt. "Meine Mutter ist dorthin gegangen", sagt Soukaina. Tunesische Feministinnen wollen, dass sich die laizistische Richtung bei den ersten freien Wahlen in Tunesien durchsetzt. "Da liegt viel Arbeit vor uns", sagt Emna Ben Miled: "Nicht nur unter Ben Ali, auch unter Bourguiba ist uns eine 'culture de citoyenneté' (zivilgesellschaftliche Kultur) verweigert worden. Seit der Revolution sprechen und handeln Menschen zusammen, und viele sind bereit zu hören, was 'citoyenneté' bedeutet." Ben Miled hält eine Weiterbildung in zivilgesellschaftlichem Denken - sie nennt es "recyclage des citoyens", für erforderlich, bevor Wahlen stattfinden können.

Samstag, 26. Februar. Um die Statue Ibn Khaldoun im Zentrum von Tunis hat sich - wie so oft in letzter Zeit - eine große Menschentraube gebildet. Spruchbänder werden hochgehalten: " Für eine demokratische, laizistische Republik" - "Gleichheit, erste Priorität" - "Nein zu Obskurantismus, ja zu Modernität". Frauen und Männer aus der Zivilgesellschaft sind dem Aufruf für ein laizistisches Tunesien zu Tausenden gefolgt. "Nein zur Diskriminierung. Alle sind gleich in dieser Nation. Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit. Auch die Minoritäten müssen vertreten sein."

Als Rached Ghannouchi, Chef der islamischen Ennahdha, nach zwanzig Jahren Exil zurückkehrt, gab es auf Facebook einen Aufruf, ihn im Bikini am Flughafen zu begrüßen. Ein paar Feministinnen sind gekommen - nicht im Bikini, aber mit Plakaten, die man ihnen aus den Händen reißt." Wir haben keine Angst vor den Islamisten", sagt Sana Ben Achour, "denn wir haben ein außergewöhnliches Potenzial an Menschen in unserem Land, das bewiesen hat, dass es eine Diktatur zu Fall bringen kann. Und wir befreien uns nicht aus der einen Diktatur, um uns in einer anderen wiederzufinden." Fragt man Frauen, was sie von der Rückkehr der Islamisten auf die politische Bühne in Tunesien halten, ähnelt ihre Antwort häufig der von Sana Ben Achour. Das Vertrauen in die eigene Kraft ist in der Revolution mächtig gewachsen.

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