Feminist Futures Festival in Essen: Neue Brücken schlagen

So viele Feminist*innen auf einem Fleck gab es lange nicht: 1.500 Menschen diskutieren in Essen über die Zukunft der Bewegung.

Zwei Menschen sitzen mit dem Rücken zur Kamera auf dem Kopfsteinpflaster, die Sonne scheint. Im Hintergrund sitzen weitere Menschen auch auf dem Boden

Zukunft für alle: Feminist Future Festival Foto: Natalia Schätz

ESSEN taz | „Eiffelturm des Ruhrgebiets“ nennen die Essener*innen jenen Stahlkoloss, der schon von Weitem sichtbar die Klinkerbauten der Zeche Zollverein überragt. Wo es früher stampfte und rumorte und die Kumpels aus kohlegeschwärzten Gesichtern ins Tageslicht blinzelten, stehen an diesem Samstagmittag hunderte Besucher*innen des Feminist Futures Festivals in einer Schlange vor der Suppenküche. Mit dem Wetter haben sie Glück: Es ist ein Spätsommertag, an dem die Sonne noch einmal ihre Reserven mobilisiert.

Über 1.500 Teilnehmer*innen sind am Wochenende zusammengekommen, um bei dem seit Jahrzehnten größten feministischen Vernetzungstreffen in Deutschland über aktuelle Fragen der Bewegung zu diskutieren. Von Donnerstag bis Sonntag fanden dazu mehr als 100 einzelne Veranstaltungen auf dem Gelände des stillgelegten Untertagebaus statt. Organisiert wurde das Festival von der Rosa Luxemburg Stiftung, dem Leipziger Konzeptwerk Neue Ökonomie und dem Care-Revolution Netzwerk.

Dabei gaben sich die Veranstalter*innen Mühe, das Treffen möglichst offen zu gestalten. So wurde auf klassische Vorträge verzichtet und stattdessen eine Vielzahl von Diskussionen und Workshops angeboten, bei denen die Teilnehmer*innen immer wieder die Möglichkeit bekamen, ihre Stimme einzubringen und die Richtung der Debatte mitzubestimmen. Auch in der Organisation des Festivals hatten die Besucher*innen Gelegenheit, selbst tätig zu werden und sich etwa beim Kochen, am Infotisch oder als Dolmetscher*innen zu beteiligen.

Feministische Themen inklusiv gestalten

Das offene Konzept spiegelte sich auch im Programm wider. So gruppierten sich die einzelnen Veranstaltungen lose um die fünf Schwerpunktthemen Arbeit, reproduktive Gerechtigkeit, Gewaltverhältnisse, sozialökologische Transformation und postkolonialer Feminismus, wobei die Grenzen dazwischen vielfach verschwammen. Der internationalistische Ansatz des Festivals bildete dabei eine Art Leitmotiv, das sich an den über 30 vertretenen Nationalitäten zeigte und auch in den Veranstaltungen immer wieder thematisiert wurde.

Aufgrund der transnationalen Mobilisierung könne der Feminismus als eine Art Verstärker für verschiedene andere linke Bewegungen dienen

Beispielsweise wurde in einem Panel zur reproduktiven Gerechtigkeit auch darüber diskutiert, inwiefern der Zugang weißer wohlhabender Frauen* zu kostenintensiven Reproduktionstechniken neoliberale Züge trage und im Gegensatz zu den Repressionen stehe, denen geflüchtete Frauen* ausgesetzt seien. „Es geht um mehr als nur um unser individuelles Recht“, sagte Peggy Piesche von der Heinrich Böll Stiftung. „Ein Recht bedeutet, wenn es als singuläre politische Teilhabe gedacht ist, auch einen Zugewinn an Privilegien. Aber wir müssen schauen, dass wir den gesamten Kontext von Exklusion mitdenken. Wenn wir nur die Privilegien haben wollen, dann haben wir noch nicht infrage gestellt, dass diese Privilegien Exklusion verursachen“, sagte Piesche.

Die italienische Philosophin Cinzia Arruzza trat dafür ein, Feminismus als eine transnationale Bewegung zu verstehen, die neue Räume für die Sammlung linker Positionen öffne. „Der feministischen Bewegung ist es gelungen, eine Tradition nicht nur der internationalen Solidarität, sondern auch der transnationalen Zusammenarbeit und Koordination zu erneuern“, sagte Arruzza. Die besondere Bedeutung dieser Internationalisierung liege darin, dass sich linke Bewegungen im Laufe der letzten Jahrzehnte immer weiter fragmentiert hätten, während das kapitalistische System in derselben Zeit immer globaler geworden sei.

Aufgrund der transnationalen Mobilisierung könne der Feminismus als eine Art Verstärker für verschiedene andere linke Bewegungen dienen, meinte Arruzza. Zwischen diesen müssten nun neue Brücken geschlagen werden: „Wir sollten die Idee von parallelen Bewegungen überwinden und stattdessen den Feminismus als etwas begreifen, das alle anderen sozialen Bewegungen durchdringt“, sagte die Philosophin.

Zwar müsse man sich vergegenwärtigen, dass Staaten weiterhin eine Rolle spielten, gleichzeitig könnten aber umfassende Lösungen, beispielsweise für den Klimawandel, nicht auf nationaler Ebene gefunden werden. In einem ähnlichen Sinne äußerte sich auch Peggy Piesche: „Ein intersektionaler Feminismus ist eine einschließende Bewegung“, sagte sie. Anstelle von Konfrontation müsse daran gearbeitet werden, feministische Themen mit inklusiven Begrifflichkeiten neu zu besetzen.

Wie könnte eine feministische Welt konkret aussehen? Der Plural im Veranstaltungstitel deutet es an: Die eine Zukunft gibt es nicht, doch Wege und Ideen stehen schon bereit.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.