Festival CTM in Berlin: Schallwaffen gegen das Unbehagen

Das Klangspektrum auf dem Berliner CTM-Festival: Die Künstlerin Colleen und der Komponist Cevdet Erek gehen völlig unterschiedlich zu Werke.

Cevdet Erek guckt in die Kamera

Cevdet Erek ist als ausgebildeter Architekt und Sounddesigner für installative Arbeiten bekannt Foto: Rachele Maistrello

Sommer 2017, 16 Mitarbeiter der US-Botschaft in Havanna leiden unter unerklärlichen Schmerzen: Schwindel, Gehörverlust, Sehstörungen – sind Schallwaffen dafür verantwortlich, fragt sich die ganze US-Nation? Schallkanonen, die in für Menschen unhörbaren Frequenzen Schaden anrichten? Quasi eine Extremversion der Bässe, die in Clubs die Eingeweide durchfauchen? Schon seit den 1960ern gibt es das Gerücht von Waffen, die mit Schallwellen zielgenau Leben auslöschen könnten.

Vermutlich Unfug, die einzige anerkannte akustische Waffe diesseits des biblischen Jericho, dessen Mauern unter den Trompetenstößen der Israeliten zusammengebrochen sein sollen, ist ein gigantischer Lautsprecher mit fiesen Pieptönen, von US-Streitkräften entwickelt unter anderem dafür, Demonstrationen auseinanderzutreiben. Dabei klingt gigantischer Lautsprecher nun zugegebenermaßen zunächst – ganz schön reizvoll.

Nur zwischen zwei Wänden aus Verstärkern wird das Publikum am Mittwochabend im Berliner Berghain stehen. „Dann kommen diese Endlos-Accelerandi – das kann schon ganz uneasy sein“, lacht Maximilian Marcoll, der den Reigen eröffnet. „Unease“ heißt das Programm, gewidmet den Grenzen der physikalischen Kraft des Klangs. Marcolls Performance steht an der Seite von Auftritten wie dem der koreanischen Cellistin Okkyung Lee und dem Kölner Komponisten Markus Schmickler, der das Hirn verändernde Klänge und otoakustischen Emissionen, also Klänge, die das Ohr selbst aussendet, untersucht. Marcoll wird gemeinsam mit der Gruppe AAA-AAA auftreten, zwei Gitarristen, die sein eigentliches künstlerisches Programm für das Festival CTM unterlaufen.

Sind seine „Amproprifications“ doch Originalkompositionen der Musikgeschichte von Renaissance-Messe bis Neuer Musik, die live aufgeführt und durch Marcolls Spiel mit Lautstärke manipuliert werden. Ohne dass das Stück selbst verändert wird, entsteht so völlig neue Musik: „Es geht darum, diese Vorlagen in etwas Neues zu verwandeln, etwas herauszuschälen, was in ihnen angelegt ist. Wie eine Skulptur in dem Marmorblock, aus dem sie ­herausgeschnitten wird, auch schon drin ist.“ Auch wenn das jetzt Premiere feiernde Stück „H A C K“ eine Eigenkomposition ist – die Dimension der Lautstärke bleibt zentrales Element, weil sie für den Komponisten den Kern, die DNA der Musik darstellt.

Den Rhythmen gehorsam sein

Für den ebenfalls am Mittwoch auftretenden türkischen Künstler Cevdet Erek ist das Unbehagen des Abends ein oberflächliches, geht es ihm doch darum, statt die Dominanz des Schalls zu missbrauchen, „die Menschen auf den gleichen Weg zu führen, mit verschiedenen Geschwindigkeiten und Perspektiven, offenen Enden und Freiheiten, Lärm und Stille“. Erek, der als ausgebildeter Architekt und Sounddesigner für installative Arbeiten bekannt ist und der im letzten Jahr den türkischen Pavillon der Biennale von Venedig bespielte, wird mit der Davul-Trommel auftreten.

Live in Berlin: „Unease“, 31. Januar im Berghain, „Antidote“ am 1. Februar im HAU.

Ein Instrument, in Gebrauch vom Balkan bis nach Zentralasien, klassisch genutzt für Feste wie für schamanische Rituale, die er in seiner Performance mitdenkt: „Ich werde eins mit der Trommel. Ich bin den Rhythmen absolut gehorsam, die aus meinem Körper kommen und die die Trommel produziert. Darin kommt alles zusammen, was mich in diesem Moment umgibt, aber auch alles, was ich bisher gehört oder gesehen habe – also ein Extrakt aller Einflüsse und dennoch sehr im Jetzt, mit dem Raum und den Wesen, die es mit mir teilen.“

„Ich will ease produzieren, Leichtigkeit! Die Welt ist doch schon voller unease“, sagt hingegen die französische Komponistin Cécile Schott, die als Colleen am Donnerstag im HAU auf der Bühne steht. „Antidote“ heißt der Abend, Gegensatz: Bezeichnenderweise. Colleen entwarf früher mit barockem Instrumentarium eine ganz eigenwillige, romantizistisch-repetitive Soundwelt aus Dub, Loops und Drones, bevor die 41-Jährige mit ihrem neuen Album von der Gambe zum Synthesizer wechselte.

Gefühle ausbalancieren

Ihre musikalische Formensprache hat sich dabei kaum verändert. „Ich kann gerade zum ersten Mal laut sein, und das ist eine Macht, die mir viel gibt. Aber im Leben ist nicht alles in die Fresse, nicht alles schneller und lauter. Das ist sogar meistens die einfachste Option. Ich möchte alles weniger. Weniger Sachen besitzen, langsamer werden. Die Natur ist viel langsamer“, sagt die Musikerin, die im baskischen San Sebastián lebt und die im Anschluss an das Interview zur Küste spazieren und all die wundervollen Vögel dort beobachten wird: „Sie ist nicht harmonischer, Tiere kämpfen die ganze Zeit ums Überleben, aber sie ist langsamer.“

Colleens Album „A Flame My Love, a Frequency“ ist nicht eskapistisch, auch wenn sie ihr Publikum in einen idealisierten Entwurf von Welt mitnehmen will: Es entstand unter dem Eindruck der Terroranschläge in Paris im November 2015, deren Zeugin Schott wurde. Sie will die Intensität ihrer Gefühle ausbalancieren, in einer Zeit, in der ihr klar wurde, wie eng Leben und Tod verbunden sind. Das Ergebnis ist komplex, singulär und berührend: Colleen ist eine Schallwaffe gegen den bloßen Überbietungswillen der Lautstärke.

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