Festival Club Transmediale Berlin: Zwischen Ekstase und Exaktheit

Black Manual, die Kollaboration von Jan St. Werner mit drei brasilianischen Trommlern, lässt Candomblé-Elemente auf elektroakustische Musik prallen.

Der helle Wahnsinn: Black Manual live in Paris, Oktober 2013. Bild: Thomas Knoefel/promo

Prasseln, Fiepen, Zwitschern, den Ton halten. Den elektronisch erzeugten Ton extrem lang halten. Ihn auch halten, wenn er abzuschmieren droht. Dann stürzt der Ton schließlich doch ab, mit einem infernalischen Wumms. Das war’s jetzt, denkt man. Aber nein, der Ton beschreitet eine weitere Sinuskurve, baut sich mit der gleichen Intensität wieder auf.

Ein Höllenlärm, diesmal entfesselt von Fasstrommeln, die normalerweise bei den synkretistischen Zeremonien des brasilianischen Candomblé zum Einsatz kommen, durchkreuzt ihn schließlich und bringt ihn zum Schweigen.

Wuchtige Schläge sind das, mit langem Nachhall, in raffinierten Clustern gespielt. Candomblé-Trommeln sollen Wesenheiten sein, mit magischen und okkulten Anteilen. Man glaubt diese Gemengelage nun zu hören. Allerdings dürfen ihre sakralen Klangmuster nicht einfach in einem weltlichen Kontext genutzt werden.

Black Manual: „Mordendo“ (Brigade Commerz/A-Musik).

Konzert: CTM, Berlin, HAU 2, 25. Januar.

Ist das also nur ein fernes Echo, das hier erklingt? Fiebriger Lärm, unheimliche Stille. Göttliche Unordnung aus digitalen Soundschlieren, Sample-Fetzen und aufgaloppierender Percussion: Auf dem Album „Mordendo“ von Black Manual bricht sich all das Bahn, als stetes Aufbäumen von Musik und Geräuschen, als basale Formation von Rhythmusfiguren, mystischen Anmutungen und Performance-Elementen. Ein reinigendes Klanggewitter, das man in dieser Konstellation garantiert noch nicht gehört hat.

Routinen sabotieren

„Man spielt auch mal gegeneinander“, räumt Jan St. Werner ein, der Black Manual zusammen mit den brasilianischen Musikern Valdir Vieira dos Santos, Juninho Ronaldo Ales da Silva und Leandro Antonio da Silva ins Leben gerufen hat. Bei den Aufnahmen sei es auch darum gegangen, Routinen der Kollaboration zu sabotieren. Zur Einstimmung hat St. Werner den brasilianischen Kollegen eine Aufnahme des griechischen Komponisten Iannis Xenakis gegeben. Zu dessen Stück „Polytope de Cluny Docu“ entschlossen sich die Brasilianer die Töne exakt nachzusingen und dann auf diesem Gesangsmuster zu improvisieren.

Festival: Das „Festival for adventurous Music and Art“ findet zwischen dem 24. Januar und 2. Februar zum 15. Mal in Berlin an Orten wie HAU, Berghain und Stattbad Wedding statt. Ohnehin ist die Stadt eine Keimzelle der elektronischen Musik.

Motto: Das Motto lautet „Dis-Continuity“, die Bruchstellen und Verbindungslinien aus der Moderne und der Frühzeit der elektronischen Musik werden von heute aus untersucht. Etwa in Panels und Konzerten zur Geschichte schwedischer, französischer und russischen Elektronikpioniere und dem Stand der experimentellen Musik in Osteuropa. Es gibt Klanginstallationen. Konzerte radikaler Noise-Protagonisten, Aufeinandertreffen von Elektronikern mit afrikanischen Musikern. Vorträge, Workshops und Sets einiger der aufregendsten DJs der Welt.

Im Transitraum, irgendwo zwischen Exaktheit und Ekstase, liegt auch das Geheimnis von Black Manual begründet. Wer wann welche Rolle einnimmt, bleibt offen. Juninho da Silva erläutert die Arbeitsweise. „Wir bestimmen das Tempo immer selbst. Nachdem wir die Töne von Jan St. Werner entziffert haben, bauen wir einen Rhythmus. Wenn er komplett ist, entsteht Ekstase, von ihr sind wir geleitet, sie gibt uns eine Richtung.“

Wie das klingt: Die Trommeln von Black Manual sprechen zu einem gar nicht in erster Linie in ihrer rhythmischen Komplexität, sondern eher in ihrer klanglichen Fülle und räumlichen Ausbreitung. Und dann explodieren die Sinne. „Vielleicht sind wir ein Künstlerkollektiv und malen ein klangliches Bild“, sagt St. Werner.

Hirnhälfte ausgeschaltet

Berühmt geworden ist er als eine Hirnhälfte des Elektronik-Duos Mouse on Mars. Dieser Pedigree bleibt im Zusammenhang mit Black Manual allerdings ausgeschaltet. „Ob jemand Erfahrung hat oder unerfahren ist, zählt beim Musikmachen erst mal nicht. Nur in der gemeinsamen Arbeit kann Gleichklang entstehen, und der funktioniert dann wie ein Verstärker“, erklärt Valdir Vieira dos Santos. Vielleicht liegt es auch an ihren Drumsticks, im Candomblé sind sie heilig. „Spiritualität bedeutet mir alles“, erklärt dos Santos. „Sie steckt in meiner Musik, sie spendet mir Energie und sie sorgt allgemein für menschliche Wärme.“

Wie die anderen beiden Percussionisten stammt er aus Recife, der Hauptstadt des Bundesstaats Pernambuco im Norden des Landes. Dort liegt die Wiege der reichhaltigen brasilianischen Musikkultur, von dort aus haben Beats wie der Frevo oder Maracatu ihren Siegeszug um die Welt begonnen. Wie die Musiker im Gespräch erklären, sei Musik in Recife Ausdruck von Freiheit, sie wird auch hauptsächlich im Freien gespielt. Wer ist draußen, wer drinnen. Für Jan St. Werner kommt die Musik auf „Mordendo“ einem Erkenntnisspiel gleich, außen und innen sollen zum Kippen gebracht werden.

Mehrmals im Verlauf des Albums ist ein brasilianischer Schauspieler zu hören, zunächst in sonorem Ton sprechend, beschreibt er ausschnittsweise eine Candomblé-Zeremonie, und was dabei mit ihm geschieht. Bis er urplötzlich besessen scheint, ins „Estado de Santo“, ins Stadium des Heiligen gerät und in Zungen spricht.

Körper öffnen

„Es war mir wichtig, die Idee des Candomblé zu transzendieren, aber eben nicht durch nüchterne Beschreibung, dadurch würde sie ja der Kraft des Irrealen beraubt werden. Also übertreiben wir und sagen, die Außenwelt gehört mit dazu. Der Raum wird umgestoßen“, erklärt St. Werner. In der musikalischen Zusammenarbeit gelingt das auf dem Album „Mordendo“ fast durchgehend. Eine dichte Atmosphäre entsteht, Räume werden geöffnet, weil die Klangkörper der Trommeln, erweitert um ihr Obertonspektrum, ins Schwingen kommen.

Candomblé ist die bekannteste der afrobrasilianischen Naturreligionen. Verehrt wird dabei Shango oder Xangô, ein „Orixá“, eine sehr starke Personifikation göttlicher Macht. Xangô ist der Gott des Donners, und so erklärt sich auch die brachiale Lautstärke auf dem Album, obwohl die Trommler versichern, Xangô könne auch leise sein.

Die synkretistische Candomblé-Religion hat auch den Hamburger Schriftsteller Hubert Fichte in den Bann gezogen. In den frühen siebziger Jahren weilte er in Brasilien und erforschte dort anhand der religiösen Praktiken das Heilige im Alltag für seine ethnografische Schrift „Xango“. Damals stand das Land unter der Knute einer Militärdiktatur, und Fichte interpretierte Candomblé als Befreiung von den elenden Umständen.

Anerkannte Religion

Inzwischen ist Candomblé in Brasilien offiziell als Religion anerkannt und gilt als Ausdruck des afrobrasilianischen Selbstverständnisses. Die Musiker von Black Manual drehen die Perspektive um, wie Leandro da Silva erläutert: „Unsere Ahnen kamen ursprünglich aus Afrika und waren dort wichtige Personen. Der Legende nach war Xangô ein König der Yoruba, bevor er zum Gott wurde. Vielleicht hat Fichte Candomblé mit Armut assoziiert, weil die Sklaven mittellos waren, aber die Praktiken unserer Religion waren immaterieller Reichtum.“ Candomblé ist eine der wenigen matriarchalischen Religionen. Davon war Fichte fasziniert.

Anders als Anfang der Siebziger lebt die afrobrasilianische Diaspora inzwischen in der ganzen Welt verteilt und hat auch die Candomblé-Religion mitgenommen. Jan St. Werner hat etwa in Berlin zum ersten Mal einer Candomblé-Zeremonie beigewohnt und war überwältigt. „Das Geschehen war sexuell ungeheuer aufgeladen, es hatte eine Energie, die für mich sehr anarchisch ist. Und der Umgang damit war sehr elegant. Musik ist dabei sehr wichtig.“

Trommeln stehen im Zentrum der Zeremonie, man sagt ihnen sogar libidinöse Kraft nach, und die Trommler erzeugen mit ihnen eine Kreisbewegung. Gläubige verbeugen sich vor den Trommeln und schenken ihnen rituelle Nahrung. „Frauen und Männer sind dabei von ihren Geschlechterrollen befreit. Alles fließt. Es ist eine sehr moderne Gesellschaft, die sich archaisch gebärdet. Mir kommt sie vor wie das Raumschiff Enterprise,“ sagt St. Werner. „Mordendo“ bedeutet „gebissen werden“, „in etwas hineinbeißen“, „ätzend sein“. Der Sound von Black Manual frisst sich durch etwas durch. „Wie ein Tier, das vor dir steht, und du weißt, jetzt schnappt es zu.“

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