Festnahme wegen Irakkriegsvideo: Loch im Leak

Ein US-Soldat soll Wikileaks das Video, das die Erschießung von Zivilisten in Bagdad zeigt, zugespielt haben. Der Schaden für die Whistleblower-Seite ist enorm.

Das Video dokumentiert den tödlichen Angriff eines US-Kampfhubschraubers auf Zivilisten in Bagdad am 12.07.2007. Bild: dpa

BERLIN taz | Mitte April in Berlin. Wikileaks-Sprecher Daniel Schmitt steht auf einer Konferenzbühne und wird von 300 Bloggern und Netzaktivisten bejubelt.

"Wir sind die einzige funktionierende Whistleblowing-Plattform der Welt", sagt er auf Englisch. Und: "Wir haben nie eine Quelle verloren." Dieser Satz stimmt nun offenbar nicht mehr. Denn Wikileaks hat wahrscheinlich nicht nur irgendeine Quelle verloren, sondern ihre beste: den Mann, der ihnen ein geheimes Video aus dem Jahr 2007 zugespielt hatte, auf dem zu sehen war, wie US-Soldaten aus einem Hubschrauber Zivilisten erschießen. Unter dem Titel "Collateral Murder" wurde das Video weltweit bekannt.

Wie das US-Militär auf Nachfrage bestätigte, befindet sich der 22-jährige Soldat Bradley M., der zuletzt in Bagdad stationiert war, derzeit in Untersuchungshaft in Kuwait. Der Vorwurf: Geheimnisverrat.

Das Verteidigungsministerium nehme solche Angelegenheiten "sehr ernst", heißt es in einer Stellungnahme, "weil es unsere nationale Sicherheit, die Leben unserer Soldaten und unserer Auslandseinsätze berührt". Wie konnte das passieren? Das US-Technologiemagazin Wired berichtet, dass der berühmtberüchtigte Ex-Hacker Adrian Lamo den jungen Soldaten an das FBI und das US-Militär verraten habe. In Kurznachrichten und E-Mails habe M. gegenüber Lamo damit angegeben, Wikileaks das Hubschrauber-Video und 260.000 geheime Telegramme ("Cables") der US-Botschaft durchgestochen zu haben. "Ich hätte es nicht getan, wenn nicht Leben in Gefahr gewesen wären", rechtfertigt der Ex-Hacker Lamo gegenüber Wired seinen Verrat.

"Ich kann's noch gar nicht glauben", sagte ein geschockter Wikileaks-Sprecher Daniel Schmitt am späten Montagabend. Gleichwohl bestätigen die Wikileaks-Macher nicht, dass Bradley M. die Quelle des Videos ist. Sie dementieren es aber auch nicht. Man wisse es nicht. Über Twitter bestreitet die Organisation allerdings, dass sie die 260.000 geheimen "Cables" bekommen habe - und beschimpft den Ex-Hacker Lamo als "Verbrecher" und "Manipulatoren".

Doch auch wenn die Macher von Wikileaks nichts für das Auffliegen M.s können, wird das Outing negativ auf sie zurückfallen. "Das ist mehr als eine Katastrophe für Wikileaks, das ist der Super-Gau", sagte Thomas Leif, Vorsitzender der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche. Denn in der öffentlichen Wahrnehmung bleibe hängen: "Wikileaks ist nicht sicher." Das schrecke potenzielle Informanten ab. "Die Auswirkungen sind verheerend", sagte Leif.

Dabei war die erst vor etwas mehr als drei Jahren gegründete Plattform Wikileaks drauf und dran, die Regeln von Demokratie und Öffentlichkeit radikal zu revolutionieren. Einige wichtige Dokumente sind erst durch Wikileaks öffentlich geworden, etwa Interna zum isländischen Bankenskandal. Und andere, wie der Feldjägerbericht zum Kundus-Bombardement, konnten durch die Seite von allen in voller Länge gelesen werden - niemand musste sich darauf verlassen, dass Bild oder Spiegel einem die richtigen Sätze heraussuchen. Das Video von der Menschenjagd in Bagdad wiederum hat wie kaum ein anderes Dokument der Welt den Irrsinn des Irak-Kriegs gezeigt.

Und jetzt? Noch ist nicht endgültig geklärt, ob Bradley M. die Quelle für das Bagdad-Video war. Doch der Schaden ist da. "Das ist eine ganz harte Nummer", sagte Daniel Schmitt, der seinen echten Nachnamen geheim hält. Der Wikileaks-Sprecher kann sich M.s Handeln - sofern er denn wirklich die Quelle sei - nur so erklären: Er habe nach Anerkennung gesucht für etwas, das weltweit für so großes Aufsehen gesorgt habe und sich dabei leider dubiosen Leuten anvertraut. Das ist doppelt tragisch: Nicht Geheimdienste haben Wikileaks geschadet, sondern ein Informant, der nicht stillhalten konnte, und ein Mann aus derselben Szene, aus der auch die Wikileaks-Macher kommen.

Wikileaks will nun das einzige machen, was die Organisation noch tun kann: Ihre Anwälte ins Rennen schicken, um den jungen Soldaten Bradley M. aus Potomac, Maryland, zu unterstützen. "Er ist ein Held", sagte Schmitt. "Wir bräuchten mehr davon.

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