Film „Berg Fidel: Eine Schule für alle“: Eine Schule des Schauens

Hella Wenders hat einen Film über die inklusive Schule Berg Fidel in Münster gedreht. Er kommt ohne Kommentar aus – und verrät viel über Schule als solche.

Die Schülerinnen Anita Jashara (links) und Vikreta Jasharaj. Bild: dpa

BERLIN taz | Am liebsten würde man einfach zuschauen. Keine Notizen machen, Vergleiche zu anderen Bildungsfilmen ziehen oder Abwägungen vornehmen, was an diesem Film Realität von Schule heute ist – und was die Ideologie der schönen Bilder.

Zuschauen also, vor allem auch zuhören, was die Helden sagen: Anita, David und Lucas heißen sie. Schüler der Grundschule Berg Fidel in Münster, und ganz egal, ob dieses eine Modellschule oder eine reformpädagogische Schimäre ist, sie sind unendlich klug. Und Hella Wenders zeigt uns das.

Wenn sie das Stirnrunzeln, nein die Bewegung der Augenpartie von Anita festhält, als sie erklärt, dass sie Supermodel werden will. Oder wenn sie sagt, „ich komme aus dem Kosovo. Wie soll ich das sagen. Da haben sie unser Haus kaputt gemacht.“ Oder wenn Lucas, der Sportwagenfahrer werden will, sagt: „Ältere Leute fahren nicht Sportwagen, das sieht ja dumm aus.“

Oder wenn David, der Hochbegabte, erklärt, wieso er Astronom (nicht Astronaut) werden will: „Ich habe jetzt schon Fragen, die man nicht so ohne Weiteres beantworten kann. Zum Beispiel, wo hat das Weltall sein Ende. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das nie aufhört.“ Und Wenders’ Kamera bleibt drauf.

Wenders lässt die Bilder und die Kinder sprechen

Jeder kann sich den Film „Berg Fdel: Eine Schule für alle“ ansehen, denn er läuft am Donnerstag in den deutschen Kinos an. Und jeder wird sich seinen Reim drauf machen. Aber, Vorsicht. Jeder muss sich seinen eigenen Reim drauf machen, denn Hella Wenders hat auf Kommentare vollkommen verzichtet.

Sie er- und vor allem verklärt nicht die Bilder, die sie zeigt, mit einem Unterton wie Reinhard Kahl, der Weichzeichner der Reformpädagogik, der David Hamilton des Neuen Lernens. Wenders lässt die Bilder und die Kinder sprechen. Das ist knallhart, wenn man erfährt, auf welchen Schulen David, das kleine Genie, Anita und Lucas landen.

Die Schule Berg Fidel ist eine inklusive Schule, das heißt, dort sind alle Kinder von Anfang an dabei. Der Bruder von David, der Trisomie 21 hat, gehört genauso dazu wie der superintelligente Bruder, wie das von Abschiebung bedrohte Mädchen, wie die schwarzen und wie die anderen Kinder aus dem Münsteraner Problemviertel. Kann uns das nicht egal sein, eine Schule von 30.000 in Deutschland, warum müssen wir das sehen?

Weil es der Anspruch der Vereinten Nationen ist und vieler Eltern behinderter Kinder, dass prinzipiell alle Schulen so sind wie die in der Pädagogenszene seit Langem bekannte Schule aus Münster, die von Reinhard Stähling und seinem Team auf eine beachtliches Niveau gehoben wurde. Jedes behinderte Kind soll quasi fußläufig Platz finden in der nächsten Schule – und diese Schule soll das können: Lernen in heterogenen Gruppen von hochbegabt bis tiefbegabt, wie Andreas Steinhöfels Rico sagen würde.

Ist Berg Fidel eine gute Schule? Dazu wäre es nicht ganz unwichtig, sich die Kompetenzzuwächse der Kinder anzusehen und Vergleiche zu anderen Schulen zu ziehen. Allerdings scheint die Schule Kinder zu nehmen, wie sie sind – und glücklich zu machen. Jedenfalls ist es ein tiefer Einblick, den man durch die Kamera und die Konzentration auf die drei Helden bekommt. Und es sagt sehr viel aus, dass weder Lucas noch Anita und selbst David nicht auf die Schulen kommen, die für sie möglich wären. Anita und Lucas werden in eine Sonderschule geschoben, zwei Gymnasien lehnen David ab. Das nun kann man sicher sagen: Eine Schulsystem, das Kinder so krass fehlverteilt, eine solches System hat kein Recht mehr zu bleiben, wie es bisher ist.

„Berg Fidel: Eine Schule für alle“. Regie: Hella Wenders. W-Film, 88 Minuten. Im Kino ab 13.09.2012

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