Film über Bierfestanschlag: Von der Wehrsportgruppe zur NSU

„Der blinde Fleck“ analysiert das Nazi-Attentat auf das Münchner Oktoberfest 1980. Der Film kommt dabei ohne Verschwörungstheorien aus.

Benno Fürmann spielt den Journalisten Ulrich Chaussy. Bild: Ascot Elite/dpa

BERLIN taz | Wir schreiben das Wahljahr 1980: Der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß (CSU) will Kanzler werden. Es ist die Zeit, in der hoch gerüstete Polizisten gegen militante Autonome vorgehen und Fahndungsplakate an Litfaßsäulen RAF-Mitglieder zeigen, die zum Abschuss freigegeben sind. Nach rechts gibt es für die bayerischen Christsozialen kaum Grenzen, der Gegner steht links: „Freiheit oder Sozialismus“ lautet die Parole der CSU.

Mitten im Wahlkampf explodiert auf dem Münchner Oktoberfest eine Bombe. Der Sprengsatz tötet 13 Menschen, mehr als 200 werden schwer verletzt. Noch am Abend dieses 26. Septembers lassen CSU-Politiker wissen, wo die Tatverantwortlichen zu suchen sind: in der radikalen Linken.

Schnell stellt sich heraus, dass der Geologiestudent Gundolf Köhler die Tat begangen hat. Der Attentäter, dessen Leiche am Tatort gefunden wird, hatte zuvor mit der rechtsradikalen Wehrsportgruppe Hoffmann trainiert. Trotzdem lassen Ermittler und Staatsschützer keinen Zweifel gelten: Köhler sei Einzeltäter.

„Der blinde Fleck“. Regie: Daniel Harrich. Mit Benno Fürmann, Heiner Lauterbach, Jörg Hartmann u. a. Deutschland 2013, 92 Min

Vieles spricht dafür, dass der 21-Jährige damals nicht allein gehandelt hat. Doch nur wenige stellen diesbezüglich Fragen. Unter ihnen der Journalist Ulrich Chaussy. Über Jahre hinweg verfolgt der Reporter des Bayerischen Rundfunks alle Ungereimtheiten, wälzt Akten, spricht mit Zeugen und trifft einen Informanten aus dem Apparat. Daraus entsteht der Stoff, aus dem der Regisseur Daniel Harrich nun einen Spielfilm geformt hat.

„Der blinde Fleck“ ist eher Politkrimi mit Realitätsbezug als Actionthriller. Ulrich Chaussy hat selbst am Drehbuch mitgeschrieben. Harrich mag keine Verschwörungstheorien. So lässt sich sein Film nicht von einer These über den wahren Tathintergrund leiten und bleibt gerade deshalb spannend bis zum Schluss.

Josef Strauß verharmloste die Wehrsportgruppe Hoffmann

Wer hinter dem mörderischen Anschlag stecken könnte, wird herausgearbeitet. Da spielen Staatsschützer und Politiker ebenso eine Rolle wie rechtsradikale Waffenhändler und die Wehrsportgruppe Hoffmann.

Chaussy (Benno Fürmann) recherchiert gemeinsam mit dem Opferanwalt Werner Dietrich (Jörg Hartmann). In Köhlers Heimatstadt Donaueschingen finden sie heraus: Er war nicht der Einzelgänger, als den ihn die Ermittler darstellen. Zum Gegenspieler Chaussys wird der bayerische Staatsschutzchef Dr. Hans Langemann, den Heiner Lauterbach als dubiose Figur darstellt.

Der Geheimdienstler soll aus dem Anschlag politischen Profit für den Kanzlerkandidaten ziehen. Nachdem Köhler als Täter präsentiert wird, muss Langemann erklären, warum Strauß die Wehrsportgruppe Hoffmann ständig verharmlost. Vor allem sorgt der Staatsschützer dafür, dass die Tathintergründe im Dunkeln bleiben.

Chaussy ahnt im Film nur, was heute – auch mit der Erfahrung der NSU-Mordserie – selbstverständlich erscheint: dass Staatsschützer so eng in neonazistische Strukturen verwoben sind, dass sie kaum Interesse an Aufklärung haben.

Der Journalist Chaussy spricht mit Zeugen, die Köhler beim Anschlag mit weiteren Männern gesehen haben. Diese Spur wird nicht weiterverfolgt. In den Akten taucht eine Hand auf, die keinem Opfer zuzuordnen ist. Gehört sie einem Mittäter? Das Beweisstück verschwindet aus der Asservatenkammer der Bundesanwaltschaft. Aus Platzgründen, erfährt der Reporter.

Spuren, die weiter verfolgt werden können

Und noch eine Spur bleibt unverfolgt: Wenige Wochen vor dem Attentat in München explodiert auf dem Bahnhof von Bologna eine Bombe. 85 Menschen sterben. Auch dieser Anschlag findet vor Wahlen statt, auch in Italien werden zunächst Linksradikale der Tat bezichtigt.

Später werden Neonazis und Geheimdienstler verurteilt. Der Anschlag ist Teil der „Strategie der Spannung“, die Italiens Linke diskreditieren und den Ruf nach einem starken Staat provozieren soll. Waren die Attentate gemeinsam geplant worden?

„Ich wollte einen Denkanstoß geben und Spuren legen, die weiter verfolgt werden“, erklärt Regisseur Harrich. Mit Erfolg: Nach einer Vorabaufführung hat der reale Chaussy die Zusage bekommen, dass Anwalt Dietrich bislang geheim gehaltene Ermittlungsakten einsehen kann. Diese bestätigen: Hoffmann und die italienischen Faschisten trainierten gemeinsam in PLO-Lagern im Libanon.

Auch ein Informant des Verfassungsschutzes war dabei. Inzwischen kämpft sich Dietrich durch die Aktenberge. Auch das Drehbuch bleibt nicht in der Vergangenheit stecken. Fürmann spielt den jungen Linken Chaussy, der von bewaffneten Polizisten festgenommen wird, ebenso überzeugend wie den alten Journalisten, der im Jahr 2006 erneut die Spur aufgreift.

„Der blinde Fleck“ endet 2011, an dem Tag, an dem sich Beate Zschäpe der Polizei stellt. Wären nach dem Anschlag 1980 die rechten Netzwerke genauer beobachtet worden, resümiert Chaussy, hätte es nicht zur NSU-Mordserie kommen müssen.

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