Filmemacher über Rechtsextremismus: "Sonst fliegt der Laden auseinander"

Über Nazis zu reden, hat wenig Sinn, wenn man die Gesellschaft als Ganzes aus dem Blick verliert. Ein Gespräch mit dem Berliner Filmemacher Thomas Heise.

Man muss nicht über rechts, sondern über die Gesellschaft als Ganzes reden, so Thomas Heise. Bild: dpa

taz: Herr Heise, bevor wir uns zu diesem Gespräch verabredet haben, hatten Sie Zweifel, ob Sie der Richtige sind, um über das Thema Rechtsextremismus zu sprechen.

Thomas Heise: 1992 - und das ist ja wirklich schon eine ganze Weile her - gab es Bambule um meinen Film "Stau - Jetzt gehts los". "Stau" wurde damals unabhängig vom Fernsehen produziert, es gab keine Abnahme, die Einfluss nahm. Es gab dann ein von jungen Linken überfallenes Kino, Flugblätter, den Rückzieher des Berliner Ensembles mit seinem neuen Fünfergremium, in dem der Film Premiere haben sollte, tägliche Diskussionen bei Vorstellungen im Babylon und anderswo. Damals avancierte ich schnell zum Experten für die rechte Szene. Aber das bin ich nicht. Ich kenn die paar Gestalten, die im Film vorkommen, Leute aus einem bestimmten Milieu, und aus diesem Milieu erwächst letzten Endes auch das, was man rechte Szene nennt. Mehr weiß ich nicht, das heißt: nicht viel mehr als jeder andere Bürger auch.

Aber Sie haben die Protagonisten immer wieder in Halle-Neustadt aufgesucht und insgesamt drei Filme mit ihnen gedreht.

Alle sieben Jahre war ich da, dazwischen nicht, ich hab keine Ahnung, was dazwischen passiert ist. Und das habe ich ganz bewusst gemacht, um meine Distanz zu halten. Außerdem ging es auch gar nicht so sehr darum, etwas über Nazis zu machen, sondern über Leute, die in einer bestimmten Situation sind und sich dann eben so oder anders verhalten.

Thomas Heise, geb. 1955 in Ost-Berlin. Druckerlehre, Studium an der HFF Potsdam-Babelsberg. Beobachtung durch die Stasi. Wegen politischen Drucks führte er das Studium nicht zu Ende. Die frühen Filme - etwa "Wozu denn über diese Leute einen Film?" - konnten bis 1989 nicht öffentlich aufgeführt werden; Heise arbeitete in dieser Zeit viel fürs Theater. 1992 drehte er "Stau - Jetzt gehts los", den ersten Film, in dem er sich mit rechten Subkulturen beschäftigte. 1999/2000 folgte "Neustadt (Stau - Der Stand der Dinge)" und 2007 "Kinder. Wie die Zeit vergeht".

Das war ja das Bemerkenswerte. 1992 waren die Neonazis die Anderen, die, von denen man sich scharf abgrenzte, und Ihre Filme machten das nicht.

Wenn ich Filme über Leute mache, überlege ich nicht, wie ich sie verändern kann, sondern ich versuche, zu verstehen, zu beschreiben, mir ein Bild zu machen. Das ist sicher auch kein vollständiges Bild, aber eines, das ein bisschen länger wirkt, als wenn ich es im Vorübergehen gemacht hätte. Wir haben damals versucht, auf einen der Protagonisten von "Stau" und "Neustadt" einzuwirken, auf Ronny aus der Großfamilie. Bei dem haben wir gedacht: Der ist doch nicht doof, den müsste man doch auf die Reihe kriegen, und mein Rat an ihn war, Halle zu verlassen, aus der gewohnten Umgebung rauszugehen. Aber das hat er nicht hinbekommen. In Halle war er ja wer, zwar nur eine kleine Größe, aber eine Größe, ein Frauenheld, und das wäre er in Berlin oder Leipzig nicht mehr gewesen.

Was folgt denn daraus, dass man die Abspaltung nicht so ohne Weiteres vornehmen kann?

Dass man nicht über rechts reden muss, sondern über die Gesellschaft als Ganzes. Das ist der Punkt. Ich kann mir nicht eine Beule raussuchen, die ich dann wie ein Furunkel bekämpfe. Denn es geht nicht weg, es bricht immer wieder auf. Es ist halt meins, und ich muss damit umgehen, dass es dazugehört.

Neulich habe ich ein Foto von einer Demonstration gegen rechts gesehen; auf einem Transparent stand "Nazis essen". Vernichten und einverleiben.

Ich würde das nicht allzu wörtlich nehmen. Was soll man denn da auch als Losung hinschreiben? Das haben sie vielleicht von Jonathan Swift aus seiner Satire "Bescheidener Vorschlag zur Verminderung der Armut in Irland", darin schreibt er, dass die Armen mehr Kinder bekommen sollten, denn die Mütter könnten die Kinder dann als Lebensmittel verkaufen. Und er beschreibt, wie eine Hinterhand eine Suppe für eine vierköpfige Familie ergibt, das hat er ordentlich durchgerechnet.

In dem dritten Film der Halle-Neustadt-Trilogie, "Kinder. Wie die Zeit vergeht" aus dem Jahr 2008, erklärt ein Jugendlicher, warum er die nationalsozialistische Ideologie gut findet. Das klingt sehr unbeholfen.

Ist es. Na ja, es geht ja auch nicht um den Nationalsozialismus. Er will mit seinem Vater reden. Das ist die Geschichte. Es gibt mit dem Vater, einem freundlichen Althippie, keine gemeinsame Sprache mehr. Eigentlich will er bloß ernst und angenommen werden, und das wird er nicht.

Auf mich wirkt es, als gäbe es einen riesigen Unterschied zwischen jemandem, der so unbeholfen redet, und jemandem, der ein gefestigtes ideologisches Programm hat.

Das Programm braucht man erst mal gar nicht. Manchmal ist das Ideologische ja nur der Vorwand und die Rechtfertigung für das Ausleben von Gewalt, die man ja auch ideologiefrei auf dem U-Bahnhof erleben kann. Ich glaube gar nicht, dass es eine Entwicklung vom ungefestigten zum gefestigten rechten Weltbild gibt. Bei diesem Jungen geht es doch eigentlich darum, dass er nicht allein sein will, und dann wird er sich natürlich mit denjenigen verbinden, die sich ähnlich fühlen und verhalten.

Irgendwann findet der Dialog nur noch in dieser kleinen Gruppe statt, es gibt keine Interaktion mehr mit der Außenwelt, die ist Feindesland. Und was innerhalb der Gruppe geschieht, das entzieht sich anderen. Wenn überhaupt, dann hat man nur die Möglichkeit zu schauen, dass dieses Abdriften in die rechte Gruppe erst gar nicht passiert. Das heißt: Man muss mit den Leuten im Dialog bleiben, und zwar ganz unabhängig davon, was sie treiben. Es ist kein fremder Makel, es ist der eigene, für den man mitverantwortlich ist. Und man muss immer wieder an den Rändern arbeiten, sonst fliegt der Laden auseinander.

Wie schafft man es denn, Kontakt zu halten und zugleich den eigenen Prämissen treu zu bleiben?

Da weiß ich keine Regel, das kann man nur im Einzelfall entscheiden. Wenn man sich in einem Milieu befindet, das sich von der Gehaltsklasse bis zur Wohnungseinrichtung auf dem selben Level bewegt, dann hat man das Problem scheinbar gar nicht. Und deswegen fällt es den Leuten auch so schwer, weil sie es gar nicht eingeübt haben. Wenn die Beziehungen so gering sind, dann wird es schwierig, den Kontakt wieder aufzunehmen. Der Abgrund wird immer tiefer.

Der Kitt, der das alles mal zusammengehalten hat …

… der ist in Auflösung, und das spüren die Leute. Zwischen 1987 und 1994 - dem Ende der Treuhand - hatten wir eine Umbruchsituation, nicht nur in Deutschland, das war zwar anfänglich noch furchtbar depressiv, kippte dann aber in Euphorie, es war eine Unsicherheit mit Aussicht auf eine andere Gesellschaft. Trotz der Entlassungen gab es Bewegung und Potenzial. Momentan gibt es ein ähnliches Grundgefühl wie in den späten 80ern, weil die ökonomischen Verhältnisse so unsicher sind, aber die Bewegungsmöglichkeiten sind jetzt nicht mehr da. Man kann gar nichts mehr machen. Im Wechsel von DDR zu Bundesrepublik konnte man eine Firma aufmachen und sein Leben ändern, und jetzt kann man nur noch wie ein Karnickel auf die Schlange starren und warten, was passiert - ich meine jetzt, was Europa angeht. Zumindest verhalten sich die Leute so.

Führt denn die gegenwärtige Eurokrise dazu, dass sich Leute verstärkt der rechten Szene zuwenden?

Nein, aber wenn es als Möglichkeit gesehen wird, den eigenen Status quo zu halten, kann das anders werden. Als ich Ernst von Salomons "Die Geächteten" gelesen habe, habe ich etwas begriffen. Von Salomon war Kadett im Ersten Weltkrieg, und er hat, noch nicht volljährig, die Novemberrevolution erlebt, war dann bei der Schwarzen Reichswehr und am Mord an Rathenau beteiligt. Dafür hat er Festungshaft bekommen, in der Haft hat er "Die Geächteten" geschrieben, Memoiren mit Anfang 20, hochgebildet, sprachlich gut, stockreaktionär. Und das Hochspannende ist auch, wie er beschreibt, wie in den Schlesien-Kriegen "alle wussten", wo sie hinzufahren hatten, ohne dass es dafür einen Befehl gab. Die Leute haben sich mit ihren Gewehren nach Schlesien aufgemacht, zur Verteidigung des Deutschen Reichs - das ist in "Die Geächteten" beschrieben. Was die rechte Szene angeht, ist es ähnlich: Da findet sich einfach was.

Wie meinen Sie das?

In den östlichen Bundesländern hatte es viel damit zu tun, in welcher Clique man als Jugendlicher war. Ich hab immer wieder gesehen, wie schnell da Wechsel stattfanden: von den Fußballfans in eine rechte Gruppierung, dann nach links, dann wieder raus. Das heißt, das hat anfänglich auch viel mit Subkultur zu tun. Wenn diese Subkulturen den Kontakt nach außen verlieren und das Außen ihnen kein Interesse entgegenbringt, dann entstehen eigene Regeln, und was für uns etwas Furchtbares ist, ist für sie etwas Tolles. Die Mechanismen dafür sind in Harald Welzers Buch "Täter" beschrieben.

Nehmen Sie Unterschiede zwischen der rechten Szene in Ostdeutschland und der in Westdeutschland wahr?

Ja. Vor 20 Jahren gab es bei der NPD und bei anderen rechten Gruppen ein starkes Bedürfnis, im Osten zu rekrutieren. Aber die Jugendlichen im Osten, mit denen ich habe reden können, wollten gar nicht von alten Nazis organisiert werden, die wollten selber etwas machen. Sie hatten das gleiche Okkupationsgefühl wie ihre Genossen Eltern. Ronny sagt in "Stau": "Das Sieg Heil von damals ist nicht das Sieg Heil von heute." Sie waren so zwischen 15 und 18, 19, das heißt, um die Wende herum waren sie sehr jung. Sie lebten alle noch bei den Eltern, und die meisten von ihnen haben ihre Eltern scheitern sehen. Was ihnen in dieser Situation am meisten Sicherheit versprach, war die Besinnung aufs Nationale - und das ist eine Sache, die aus dem Bauch kommt, das kann man schon bei Ernst von Salomon sehen. Es geht um die Gedärme, in "Die Geächteten" gibt es eine Seite, der Satz fängt links oben an und geht bis rechts unten, es geht nur um Gefühl, Gefühl, Gefühl, und das letzte Wort ist Deutschland.

Das NSU-Trio war ja um die Wende herum im selben Alter wie die Protagonisten von "Stau", und wahrscheinlich waren sie nicht viel anders als die Jugendlichen im Film. Und bei denen hatte ich das Gefühl, dass sie mit der Zeit in etwas hineingeraten könnten, aus dem sie dann nicht mehr herausfinden.

Aber Sie hatten immer den Eindruck, dass Ihre Protagonisten vor dieser Schwelle standen?

Ja. Aber was genau heißt "vor dieser Schwelle"? Wo ist die? Sie waren brutal, sie waren an Schlägereien beteiligt und an Überfällen, die ideologisch aufgeladen wurden zur Rechtfertigung ihrer Kriminalität. Aber das hatte damals auch oft mit Cliquengeschichten zu tun, mit Revierkämpfen, und wenn ein Vietnamese verhauen wurde und ihm die illegalen Zigaretten abgenommen wurden, war das dem ordentlichen Bürger egal. Es sei denn, der Nachschub blieb aus. Die Frage ist, wo geht es los.

Wenn Politiker gegen rechts vorgehen wollen, fällt ihnen das NPD-Verbot ein. Was halten Sie davon?

Ich bin gegen Verbote von überhaupt irgendetwas. Klar, ich kann der NPD vorwerfen, dass sie Kinderfeste in Mecklenburg veranstaltet und die Kinder an sich gewöhnt, nur: Wenn ich selbst keine veranstalte, dann wird sie dieses Terrain besetzen. Wenn in einer Berliner Grundschule wie in Müggelheim damit geworben wird, dass "die Sozialstruktur sehr homogen" ist und nur "wenige Kinder einen ausländischen Pass" haben, kommt man dem Problem näher.

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