Filmemacherin Angelovska über eine „Männin“: „Sie ist schon ein echter Mann“

Für ihren Dokumentarfilm „Hakie-Haki. Ein Leben als Mann.“ hat Anabela Angelovska eine 71-Jährige begleitet, die das Leben eines Mannes führt.

Weiblichkeit und Sexualität für immer abgeschworen: Hakie. Bild: Hakie-Haki

taz: Frau Angelovska, eine Frau lebt wie ein Mann, in Albanien und obendrein einer abgeschiedenen Gebirgsregion – und wird in dieser Rolle auch anerkannt. Auf welcher Grundlage geschieht das?

Anabela Angelovska: Festgeschrieben ist es im Kanun, dem albanischen Gewohnheitsrecht. Das gründet darauf, dass dort eine sehr patriarchisch organisierte Gesellschaftsform herrschte. Nur ein Mann konnte beispielsweise erben und Frauen wurden in den Dorfversammlungen nicht akzeptiert. Nun herrschte dort oft aus verschiedenen Gründen Männermangel, der dadurch kompensiert wurde, dass ein Mädchen oder eine Frau für die Rolle des Mannes auserwählt wurde. Das albanische Wort dafür ist „Burrnesha“ und bedeutet „Männin“.

Wie wurde aus einer Frau eine „Männin“?

Sie mussten ihre Jungfräulichkeit schwören und für immer auf ihre Weiblichkeit und ihre Sexualität verzichten. Wenn die „geschworenen Jungfrauen“ sich innerhalb dieser Konvention bewegten, genossen sie höchsten Respekt. Brachen sie aber diesen Schwur und gingen jemals eine Beziehung ein, egal zu welchem Geschlecht, waren sie sofort vogelfrei.

Ist es nicht so, dass all das überhaupt nichts mit dem zu tun hat, was wir unter Transsexualität verstehen?

Genau! Es ist auch so, dass Sexualität im Leben meines Protagonisten Hakie überhaupt keine Rolle spielt.

Wenn Sie über Hakie sprechen, sagen Sie selbst mal „er“, mal „sie“.

Ich finde es toll, dass sogar ich immer wieder auf dieser Zweigeschlechtlichkeit ausrutsche. Sprachlich gibt es ja nur „er“ oder „sie“, aber Hakie können wir damit nicht fassen. So entsteht eine Sprachverwirrung, durch die die Kategorien weiblich und männlich aufgebrochen werden.

40, die Regisseurin studierte in Hamburg Film und arbeitet u. a. als Kuratorin im Hamburger Kunstraum "hinterconti".

Wie sind Sie darauf gekommen, über dieses Thema Ihre Dokumentation „Hakie-Haki“ zu drehen?

Ich habe vor einigen Jahren eine fünf Minuten lange Dokumentation über Stana Ceric gesehen, das ist eine „geschworene Jungfrau“, die in Monte Negro lebt. Die alte Frau wurde in dem Film ein wenig vorgeführt und das hat mich geärgert. Doch es wurde deutlich, dass diese Frau ein Leben als Mann geführt hat und als solcher auch akzeptiert wurde. Nach ersten Recherchen fand ich heraus, dass es sich bei den „geschworenen Jungfrauen“ um eine institutionalisierte Form des Geschlechterwandels handelt, die die Grundannahme von der biologischen Unterlegenheit der Frauen ad absurdum führt.

Wie meinen Sie das?

Wenn du als Frau wie ein Mann leben kannst und darfst, worin begründet sich dann noch diese Hierarchie? Das hat in mir ein Interesse geweckt, verstehen zu wollen, wie diese Frauen leben und warum sie sich so entschieden haben. Zuerst scheint das Thema weit weg zu sein, aber wenn man genauer hinsieht, findet man Aspekte, die uns hier berühren. Ich wollte wissen, ob man aus dem Speziellen auch etwas Allgemeines ableiten kann. Das Exotische hat mich am wenigsten interessiert.

Sie hatten also kein ethnografisches Interesse?

Es geht mir nicht so sehr um das Phänomen der „geschworenen Jungfrauen“, sondern um den einen Menschen Hakie und darum, was ihre Beweggründe sind, so zu leben. Es scheint ja auf den ersten Blick progressiv zu sein, dass eine Frau als ein Mann leben kann und akzeptiert wird. Aber der Preis ist sehr hoch. In der Jugend hat man viel Freiheiten und genießt diese auch, aber im Alter wird es schwierig, denn ohne Nachkommen in dieser albanischen Region alleine zu leben, ist prekär.

Hakie reagiert ja doch sehr stoisch auf seine prekäre Lage. War es Ihnen wichtig, genau das zu zeigen?

Natürlich! Sie ist schon ein echter Mann. Auch im Auftreten mir gegenüber. Aber es ist seltsam. Hakie sagt von sich, sie habe als Ökonomistin gearbeitet, sie sagt: „Ich heiße Hakie“, und das ist weiblich. Ich glaube, er oder sie legt sich da selbst nicht fest. Andererseits lebt Hakie sehr konsequent und ruht in sich. Ihre Stärke hat mich sehr beeindruckt und ich finde, dies kann man auch auf andere Bedingungen übertragen.

Inwiefern?

Auch wenn dieser Geschlechterwechsel heute seine negativen Seiten zeigt, ist Hakie total standfest. Sie bereut nichts und will diesen Weg auch bis zum Ende gehen. Diese Unbeirrbarkeit ist bei Hakie zwar auf das Gender-Thema bezogen, aber man kann es auch entkoppeln und etwa darauf beziehen, sich selbst treu zu bleiben und nicht käuflich zu sein.

In Albanien macht niemand viel Aufhebens um Hakies Lebensweise, während Journalisten aus Korea, England oder Deutschland seit Jahren Bücher oder Dokumentarfilme über sie machen. Wieso lassen Sie Hakie in Ihrem Film die Arbeiten der anderen kommentieren?

Dadurch, dass ich offenlege, wie oft Hakie schon beschrieben, fotografiert und aufgenommen wurde, erkennt man, wie Hakie sich selbst inszeniert. Diese Distanzierung ist für mich sehr wichtig. Denn dadurch wird deutlich, dass Rollenbilder an sich sehr performativ und wandelbar sind.

Sie zeigen Hakie nur dabei, wie er auf seinem Hof seiner täglichen, meist typisch männlichen Arbeit nachgeht und lassen ihn seine Lebensgeschichte in die Kamera erzählen. War das beim Drehen von Anfang an so konzipiert?

Wir waren schon auch viel mit der Kamera in der Region unterwegs. Wir waren in der nächsten Stadt und im benachbarten Tal und haben all die hübschen Bilder aufgenommen, die es in den anderen Dokumentationen über Hakie auch immer zu sehen gibt. Die Landschaft dort ist unheimlich pittoresk. Aber dann haben wir uns gegen die Landschaftsaufnahmen entschieden und den Film lieber als eine Art Kammerspiel geschnitten. Interessant ist noch, dass auf der Berlinale im Wettbewerb mit „Sworn Virgin“ von Laura Bispuri ein Spielfilm zum gleichen Thema läuft.

„Hakie-Haki. Ein Leben als Mann.“ läuft erstmals auf der Berlinale: 11. Februar, 19.30 Uhr, Cinemaxx 3, Potsdamer Straße 5
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