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„Bugonia“ mit Emma StoneVon Bienen, Bossen und der menschlichen Misere

In „Bugonia“ lässt Yorgos Lanthimos Verschwörungswahn und Konzernkultur kollidieren, bis kaum Menschliches mehr bleibt.

Sieht so eine Außerirdische aus? Michelle (Emma Stone) in der Hand von Teddy (Jesse Plemons) und Don (Aidan Delbis) in „Bugonia“ Foto: Focus Features

Ein Spiel mit dem Weltentrückten waren die Werke von Yorgos Lanthimos schon immer. Im Laufe der letzten Dekade wandte sich der griechische Regisseur allerdings vermehrt Stoffen zu, die sich nicht allein mit dem Skurrilen, dem Makabren und dem Grotesken zufriedengeben – sondern den Umweg des Absurden nehmen, um in Areale vorzudringen, in denen sich die Konturen der Wirklichkeit bisweilen umso klarer zeigen.

Mit anderen Worten: Yorgos Lanthimos entwirft in seinem jüngeren Filmen künstlich überhöhte Welten und konstruierte Szenarien, die gerade durch ihre gezielte Zuspitzung tieferliegende Wahrheiten über unser Dasein freilegen: In „The Lobster“ etwa wird die Liebe zur Pflicht und Einsamkeit zum Verbrechen erklärt, um die Mechanismen sozialer Kontrolle hinter unseren romantischen Idealen offenzulegen.

„Poor Things“ wiederum zeigt in einer modernen Frankenstein-Variante, welche Freiheit möglich wäre, wenn wir weder Wissen um gesellschaftliche Erwartungen noch Scham darüber besäßen, sie nicht zu erfüllen. Und „Kinds of Kindness“ entfaltet schließlich ein Triptychon, das die Willkür zwischenmenschlicher Regeln bloßlegt, um unser Streben nach äußerer Bestätigung mit beißender Ironie zu kommentieren.

Wenn man so will, arbeitet sich Yorgos Lanthimos also zunehmend direkter zu den Gegebenheiten unserer Wirklichkeit vor – oder ist es andersherum, und eine immer entrückter wirkende Welt kommt Yorgos Lanthimos entgegen? Es passt jedenfalls bestechend gut ins Bild, dass er sich nun, in seinem neuen Film „Bugonia“, den ganz realen Weltentrückten unserer Zeit widmet, den Verschwörungsgläubigen, den Misstrauensmissionaren im digitalen Endzeitalter.

Der Tag beginnt um 4.30 Uhr, mit Beauty-Treatments und Workout am Pool

Teddy (Jesse Plemons) erklärt seinen leidlich als Theorie getarnten Wahn gleich zu Beginn, in eine volle Imkermontur gekleidet, über einen Bienenstock gebeugt: Von Bienen, die Pollen für die Königin sammelten, ist die Rede. Dass die Bienen aber sterben – und dass „die“ das so geplant hätten, dass es „ihnen“ – Menschen wie Teddy und Don (Aidan Delbis), seinem Cousin und einzigen Zuhörer – ähnlich ergehe.

Wie sich zeigt, meint dieses ominöse „die“ niemand Geringeres als Aliens aus der Andromeda-Galaxie. Und eine solch unheilbringende, aber in eine menschliche Gestalt gehüllte Außerirdische glaubt Teddy in der Geschäftsführerin eines mächtigen Pharmakonzerns ausgemacht zu haben. Er ist fest entschlossen, ihren vermeintlich lange gehegten Plan zur Zerstörung der Erde zu durchkreuzen und beschließt deshalb, sie zu entführen.

Der Film

„Bugonia“. Regie: Yorgos Lanthimos. Mit Emma Stone, Jesse Plemons u. a. USA/Südkorea/Irland 2025, 118 min

Michelle Fuller (Emma Stone) ist – oder wäre? – den beiden Männern aber auch ganz ohne extraterrestrischen Beistand oder intergalaktischen Migrationshintergrund überlegen. Eine klug montierte Sequenz stellt ihre trostlosen Vorbereitungen – Liegestütze im muffig-braunstichigen Wohnzimmer, eine chemische Selbstkastration am Lagerfeuer als grotesker Akt vermeintlicher Hingabe an die „Mission“ – den Szenen von Michelles souveräner „Girl Boss“-Routine gegenüber.

Der Tag beginnt um 4.30 Uhr, mit Beauty-Treatments und einem Workout mit Personal Trainer am Pool. Gestylt und vom eigenen Ehrgeiz geglättet, geht es im schwarzen SUV weiter ins gläserne Prestige-Büro, wo gerahmte Time- und Forbes-Cover ihr Gesicht neben Schlagzeilen wie „Leader of the Year“ zeigen. Dann wird ein PR-Video eingesprochen, in dem das Wort „Diversity“ mit der Beharrlichkeit eines Gebets beschworen wird.

Verinnerlichte Selbstoptimierung

Gegen eine so restlos verinnerlichte Selbstoptimierungslogik, die schon beim Aufstehen in Potenzialen denkt, haben zwei Symbolfiguren des Scheiterns an der Gegenwart eigentlich keine Chance. Nur mit ihren eigenen Mitteln ist Michelle Fuller zu schlagen, in diesem Fall mit einer Spritze voller Beruhigungsmittel.

Was auf ihr Kidnapping folgt, ist ein Martyrium: Die beiden Männer rasieren ihr die Haare ab, damit sie keinen „Kontakt zum Mutterschiff“ aufnehmen kann, und ketten sie an ein Feldbett im Keller von Teddys Elternhaus. Als Michelle Fuller erwacht, fordern ihre Entführer sie auf, ihre wahre Identität zu gestehen – und Teddy samt Cousin während der bevorstehenden Mondfinsternis auf ein Raumschiff zu bringen, um über die Zukunft der Erde zu verhandeln.

Dass in „Bugonia“, der auf dem südkoreanischen Film „Save the Green Planet!“ (2003) basiert und dessen Grundidee der Drehbuchautor Will Tracy („The Menu“) mit zeitgemäßem Spin in eine Gegenwart überträgt, in der die Macht der Konzerne weiter gewachsen und die der Wahrheit noch prekärer geworden ist, ausgerechnet eine CEO für ein Alien gehalten wird, ist angesichts des grassierenden, seltsam-sterilen Corporate-Sprechs die satirisch treffendste Pointe. Man denke nur an Elon Musk und andere Silicon-Valley-Gestalten, die in ihrer Hybris bisweilen tatsächlich den Anschein erwecken, als kämen sie von einem anderen Stern.

Zu viel Brutalität

Da ist es umso bedauernswerter, dass Yorgos Lanthimos dem physischen Spektakel, dem Malträtieren und Foltern mehr Raum gibt, als die Erzählung eigentlich braucht. Mit Stromstößen etwa soll das vermeintliche Alien entlarvt werden – ein Ritual, das die Logik des mittelalterlichen „Hexenbads“ aufgreift. Kameramann Robbie Ryan („Poor Things“) hält sich zwar formal zurück und Emma Stone kann wirklich die gesamte Bandbreite ihres beeindruckenden Talents zeigen, und doch gerät die Brutalität mitunter störend zum Selbstzweck.

Umso erstaunlicher ist es da wiederum, dass darüber ausgerechnet Teddy nicht zum Konzept verkommt, sondern im weiteren Verlauf des Films zunehmend an Tiefe gewinnt. Vielleicht braucht es einen Filmemacher, der die Kunst der Entfremdung so meisterhaft beherrscht, um eine Figur, die den Glauben an geheime Mächte zum Lebenssinn erhebt, nicht allein als Kuriosum, sondern ein Stück weit als Symptom zu begreifen.

Wenngleich „Bugonia“ seine Taten nicht verteidigt, erinnert der Film doch daran, dass hinter dem Wahnwitz oft sehr realer Frust und Verzweiflung stehen: Teddy arbeitet in einem geisttötenden Job als Paket-Scanner in einem Amazon-ähnlichen Logistikzentrum, das zu Michelle Fullers Konzernimperium gehört, und macht die aus Profitinteresse vorschnell auf den Markt gebrachten Medikamente ihres Unternehmens für das Leiden seiner Mutter (Alicia Silverstone) verantwortlich.

Jenseits von Spott und Häme

Yorgos Lanthimos zeichnet damit einen strukturellen Ursprung für ein strukturell gewordenes Problem des Verlusts an Zugehörigkeit: die Enttäuschung über das gebrochene Versprechen von Teilhabe in einem System, das Effizienz predigt, Empathie allzu oft auslagert – und das entgegen aller Aufstiegsversprechen doch immer auf ebenso leicht auszubeutende wie auszutauschende Arbeiterbienchen angewiesen bleibt. So lange, bis Ohnmacht in den verzweifelten Versuch von Selbstermächtigung umschlägt und so, in obskuren Verschwörungsglauben verkehrt, die tatsächlichen Ursachen verdeckt.

Worauf „Bugonia“ letztlich hinauswill, hat also rein gar nichts mehr mit Spott und Häme zu tun. Im Gegenteil: In einem überraschend bewegenden Finale holt Yorgos Lanthimos zu seiner bislang wohl zärtlichsten Pointe aus – einer, die ihn endgültig als einen der Menschheit zugewandten Filmemacher zeigt, so schmerzhaft er sie zuvor auch auf den Umweg von Wahn, Gewalt und Selbsttäuschung schickt. Am Ende steht die leise, fast kindlich einfache Frage, wie wir einander das Leben nur so schwer machen können. „When will they ever learn?“, singt Marlene Dietrich darin – und selten klang Verzweiflung so sehr nach Mitgefühl.

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1 Kommentar

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  • Am Ende steht die leise, fast kindlich einfache Frage, wie wir einander das Leben nur so schwer machen können.

    Das kann man sich momentan am laufenden Band fragen, hört ssich interessant an!!!