Filmzensur im Iran: Da sind Haare unterm Kopftuch

Die Kulturpolitik im Iran hat sich gelockert. Doch die Strukturen der Zensur sind weiterhin undurchsichtig und heimtückisch.

Eine junge Frau mit Kopftuch und ein junger Mann in der Ubahn. Er flüstert ihr etwas zu.

Offene Worte oft nur hinter vorgehaltener Hand: Still aus Rakhshan Bani-Etemads Film „Tales“. Foto: Archiv

Filmpremieren könnten für eine berühmte und beliebte Regisseurin wie Rakhshan Bani-Etemad eigentlich Routine sein. Das Schicksal von "Tales“, ihrem jüngstem Werk, illustriert allerdings alle Widersprüche eines Landes, in dem die Kultur immer schon ein Kampfplatz politischer Auseinandersetzungen gewesen ist.

Im Februar 2014 feierte „Tales“ (Ghasse-ha) beim wichtigsten iranischen Filmfestival „Fajr“ Premiere. In die Kinosäle allerdings kam er nicht, auch nicht nachdem „Tales“ bei der Biennale in Venedig im September 2014 den Preis für das beste Drehbuch erhalten hatte. Erst Anfang Mai dieses Jahres ist „Tales“ schließlich in den Kinos von Teheran und anderen iranischen Städten erfolgreich angelaufen.

Dabei war der Film durch das iranische Ministerium für Kultur und islamische Führung unzensiert freigegeben worden. Das schien auf die Wahl Hassan Rohanis (2013) zum Präsidenten zurückzuführen sein: Mit ihm sollte es nicht nur in den Außenbeziehungen des Iran, sondern im Land selbst zu einer Öffnung kommen. Dann jedoch, erzählt Bani-Etemad am Abend vor der Premiere in Teheran, „gab es von bestimmten Gruppen Widerstand und der Filmverleih zog sich zurück“. Noch direkt vor dem Filmstart war sie skeptisch. Ein Verbot könne in letzter Minute verhängt werden.

Dennoch strahlt Bani-Etemads Gesicht Ruhe aus, ihr helles Haar fällt unter dem Kopftuch hervor. Seit den 1980er Jahren gehört sie zur iranischen Filmszene, sie ist es gewohnt zu kämpfen. Die Strukturen der Zensur nennt sie heimtückisch: „Das Kultusministerium gibt einen Film frei, aber dann beginnen andere Gruppen Ärger zu machen. Sie sagen, der Film sei beleidigend und so weiter, und das erzeugt eine Atmosphäre, in der sich nichts mehr bewegt. Aber dann, wenn ein wenig Zeit vergangen ist, kommt der Film doch in die Kinos, und man versteht die ganze Aufregung nicht.“ In der Musik und beim Theater laufe die Sache ähnlich ab.

Alles kann zu Attacken führen

Aber wer sind diese „Gruppen“? Zum Beispiel der Kulturausschuss des Parlaments, sagt Bani-Etemad, da in der laufenden Legislaturperiode die Radikalen die Volksvertretung dominierten. Dann einige ultrakonservative Zeitungen, die im Auftrag der politischen Gegner von Präsident Rohani agierten.

Die Regisseurin nennt keine Namen, doch man denkt sofort an die berüchtigten Leitartikel in Keyhan, dem Kampfblatt der Konservativen. Wenn dessen Chefredakteur Hossein Shariatmadari einen Intellektuellen, Journalisten oder Filmemacher angreift, ist das oft das Vorspiel für Zensur und Prozesse. Alles kann diesen Attacken zum Anlass dienen: wie viel Zentimeter Haar unter dem Kopftuch hervorsehen, aber auch soziale oder bürgerrechtliche Forderungen.

Den Angriff auf „Tales“ initiierte Javan, eine Onlinezeitung, die den Revolutionsgarden nahesteht. Am Tag nach der Premiere hieß es dort, „Tales“ sei „ein Abfeiern der Revoluzzer“. Damit meinen die Ultrakonservativen die Protestbewegung vom Juni 2009 gegen die Wiederwahl von Präsident Ahmadinedschad, die von den Sicherheitsbehörden brutal niedergeschlagen wurde. Viele Filmschaffende – unter ihnen auch sehr bekannte und bei „Tales“ mitwirkende – hatten damals die Kandidaturen der Ahmadinedschad-Gegner Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karrubi unterstützt, die noch immer unter Hausarrest stehen.

Ahmadinedschad hatte also vor allem mit den Kinoleuten eine Rechnung offen. In seiner Amtszeit ließ er das Haus des Kinos schließen und verschärfte die Zensur. Bani-Ettemad bekam Berufsverbot, nachdem sie während des Wahlkampfs einen Dokumentarfilm gedreht hatte, in dem sie die Kandidaten zur Rolle der Frau befragte. Nach alldem konnte mit Hassan Rohani nur die Hoffnung auf Besserung verbunden werden.

Mehr Freiheiten

„Ja, das Klima ist anders geworden unter Rohani“, sagt Bani-Ettemad. Künstler, die verstummt waren, schrieben wieder, drehten Filme; auch die sozialen Bewegungen erholten sich langsam von der Repression. Manche NGO mit Schwerpunkt Frauenrechten sei wieder aktiv. Aktivistinnen aus den 1990er Jahren seien in Sozial- und Wohlfahrtsorganisationen in Führungspositionen aufgerückt.

Im Juni 2014 ist die Zeitschrift Zanan-e Emruz (Frauen von heute) an die Kioske zurückgekehrt. Auch das durfte als Zeichen des Wandels gelten. Zanan war unter der Leitung der mutigen Journalisten Shahla Sherkat erstmals 1992 erschienen und hatte viele Tabus gebrochen, mit Berichten über Rechte in der Ehe, über Scheidung, Diskriminierung am Arbeitsplatz und Gewalt gegen Frauen, über ihre Rolle in Kino und Literatur.

2006, im zweiten Jahr der Präsidentschaft von Ahmadinedschad, wurde die Zeitschrift geschlossen. Beim Wiedererscheinen verschob Shahla Sherkat die Gewichtung mehr in Richtung soziale Themen, doch das schützte sie und ihr Projekt nicht vor neuerlicher Zensur. Im April dieses Jahres wurde die Veröffentlichung erneut ausgesetzt, weil Zanan-e Emruz „Propaganda für die sogenannte weiße Ehe“ mache, „ein asoziales und antireligiöses Phänomen“. Im Iran versteht man unter weißer Ehe eine ohne Trauschein. In der Tat hatte sich das Magazin im vergangenen Oktober mit dem Thema beschäftigt.

Häusliche Gewalt, Arbeitslosigkeit, sozialer Wandel

So also ist die Lage: Ein lang unterdrückter Film kommt in die Kinos, ein für die Frauenbewegung entscheidend wichtiges Magazin muss schließen. Nicht umsonst beschuldigt Javan den Kultusminister Ali Dschannati, er sei unfähig, „rote Linien zu ziehen und für Respekt zu sorgen.“

In „Tales“ geht es vor allem um alltägliche Sorgen, häusliche Gewalt, um Arbeitslosigkeit und sozialen Wandel. Bani-Ettemad hat Figuren aus früheren Filmen wiederauftauchen lassen und erzählt durch sie vom sozialen Wandel im Iran. Aber schon dieser nicht explizit politische Ansatz ist zu viel für die Orthodoxie. Die Hoffnung, sagt Bani-Etemad, liege auf den jungen, nach 1979 geborenen Regisseuren: „Sie sind mutig, sie beherrschen die neuen Techniken, sie haben gute Ideen – niemand wird sie stoppen.“

Und beim diesjährigen Fajr International Film Festival, das Anfang Mai zu Ende ging, war mit Abbas Kiarostami derjenige iranische Regisseur vor Ort, der sich noch 2010 wegen der Zensur ostentativ geweigert hatte, weiter im Iran zu drehen. Nun ist er zu einem offiziellen Event geladen, sein Film „Die Liebesfälscher“ aus dem Jahr 2010 wird erstmals offiziell im Iran gezeigt: Es fehlen nur ein paar Kussszenen – und das Dekolleté von Juliette Binoche bleibt unscharf.

Aus dem Italienischen von Ambros Waibel

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