Finale Bayreuth: Die Dönerdämmerung

Frank Castorfs letzter Teil des Rings: Er möchte gerne die Wall Street abfackeln. Aber er lässt sie dann doch stehen. Das Publikum rast.

Drei Nornen wandern durch das Dickicht der Zitate im Vorspiel der Götterdämmerung. Bild: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

Am Ende kam Frank Castorf dann doch vor den Vorhang. Die Maschinengewehrsalven, mit denen Siegfried am Montag Fafner, den Drogenhändler vom Alex, niedergemäht hatte, waren harmlose Knallerbsen verglichen mit dem Lärm der Empörung nach der „Götterdämmerung“.

Vor „Siegfried“ hatte die Festspielleitung versichert, dass nach den ihr vorliegenden Schallmessungen kein körperlicher Schaden zu befürchten sei. Jetzt aber steigerte sich die Festspielgemeinde in dem stickigen, schlecht belüfteten Saal in eine Orgie des Schreiens und Pfeifens hinein, die sehr wohl körperliche Schäden befürchten ließ.

Und es nahm kein Ende. Stoisch blieb Castorf stehen, den Kopf geneigt, eine Hand am Kinn, funkelnde Brille. Ein Standbild des lesenden Arbeiters im Weinberg des Geistes, regungslos und ungerührt die ja tatsächlich erstaunliche Szene gutbürgerlicher Empörung betrachtend. Schon möglich, dass sie demnächst in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz aufgeführt wird, und dann von Schauspielern, mit denen Castorf nun mal besser arbeiten kann als mit Leuten, die immer nur ihre Noten im Kopf haben, statt sich hineinzuschmeißen in das Radikaltheater, in dem er seine Wut über die Welt hinauszuschreien pflegt.

Ein Sympathisant der Wütenden

Die Wut der Wagnerianer muss ihm prinzipiell sympathisch gewesen sein, und ohnehin hatten es Berliner mit diesem neuen Bayreuther „Ring des Nibelungen“ etwas leichter als andere. Für sie war es einfach die Kombination der Volksbühne mit der Komischen Oper. Natürlich konnte daraus nichts für die goldenen Annalen des Festspielhauses werden, das übrigens typisch berlinerisch wegen gefährlicher Baumängel eingerüstet ist. Was da zusammenkommt, ist vielmehr das garantiert katastrophale Chaos auf der Basis eines durch nichts zu erschütternden, bodenständigen Handwerks.

Oben durfte sich Castorf austoben, weil unten Kirill Petrenko zusammenhielt, was in seinen monomanischen Obsessionen gar nicht zusammenzubringen ist. Petrenko begann seine Laufbahn an der ziemlich zerschlissenen Komischen Oper in Berlin und hinterließ dort ein Orchester, das noch heute mit dem absurdesten Blödsinn auf der Bühne fertig wird. So auch in Bayreuth, und das leicht zu enttäuschende Stammpublikum feierte ihn dafür auch am Ende mit einhelligem Applaus.

Ob er damit zu den großen Wagner-Dirigenten aufgestiegen ist, muss dennoch bezweifelt werden. Ausgerechnet die „Götterdämmerung“, der musikalisch reifste und reichste Teil des Rings, zerfiel ihm in lauter pedantisch korrekte Einzelteile, die sich nie zu weiträumigen Spannungsbögen zusammenfügten.

Der Schauplatz als Deutungsangebot

Berliner Hausmannskost also, und kein großer Wurf der Welterklärung. Aber zu seinem Geburtstag geschenkt bekommen hat Wagner etwas, das seinem Werk viel gerechter wird als all die gläubigen Nachbetungen seiner Mythen. Castorf lässt vier Stücke spielen, die lose an dem sehr dünnen Faden des historisch-materialistischen Märchens vom Ölkrieg hängen.

In Wirklichkeit haben sie damit so wenig zu tun wie Wagners Texte mit der Nibelungensage. Es sind Spielvorlagen für Typen aus einer geschlossenen Subkultur. Sie reden (und singen) in Wagners Stabreimen daher wie in einem szenetypischen Idiolekt. Castorf will daran überhaupt nichts interpretieren. Er versucht nur, semantisch dekodierbare Schauplätze zu erfinden, in denen diese allesamt ziemlich irren Figuren heute agieren könnten.

Für die „Götterdämmerung“ steht die New Yorker Börse von Christo verpackt auf der Bühne. Dazu die Buna-Werke mit „Plaste und Elaste aus Schkopau“, eine Straße in Harlem, ein Wohnwagen, ein Goggomobil, ein Laden für Voodoo-Zauber. Fehlt was? Das Wichtigste: die Döner-Bude, die Hagen, der schlimme Sohn des Alberich, aufgemacht hat.

Symbole und Zitate

Das ist eine wahre Streubombe von Symbolen und Zitaten, die dann doch nicht richtig zündet. Zwar vergießt Brünnhilde einen ganzen Kanister Benzin vor der Börse, aber sie lässt kein Streichholz fallen. Sie geht bloß nochmal zurück zur Döner-Bude, schenkt den Ring den Rheintöchtern, die vorher den Kellner aus dem „Golden Motel“ des Anfangs totgefahren haben. Ende, Vorhang.

Die Explosion des Publikums danach war das eigentliche Finale. Es wäre ganz falsch, darin nur die Ablehnung einer Regie zu sehen, die in der Tat sehr oft nicht überzeugt hat. Castorf hat entweder die Sängerinnen und Sänger überfordert, die nicht so intensiv Theater spielen dürfen, wie er das verlangt. Oder er hat sie schlicht im Stich gelassen. Dann standen sie halt herum und sangen Wagner. Nicht immer so überwältigend gut wie Catherine Foster als Brünnhilde, aber auch nicht immer so schlecht wie Lance Ryan als Siegfried.

Modern in der Konzeption

All diese offensichtlichen Mängel können jedoch die elementare Wucht dieses Aufschreis nicht erklären, in der sehr wohl auch Zustimmung steckte. Es war die geradezu physische Reaktion auf die Anspannung dieser vier langen Abende, in der Wagners Genie zu seiner Überlebensgröße heranwuchs. Er war ja kein wirklich großer Musiker, und als Textdichter eine Katastrophe. Aber aus beidem entstand eine Form der multimedialen Performance, die noch immer überaus modern ist – nicht im Klang oder im Text, aber in ihrer Konzeption.

Sie ist in diesem Jahr in Bayreuth Gestalt geworden, nicht als abgeschlossenes Werk, sondern als skandalöses Fragment. Und das Bayreuther Publikum hat mitgespielt in einer Art und Weise, die ihrerseits Bewunderung verdient. Noch nie habe ich in einer Opernpause Gespräche gehört, in der mit so viel Sachkunde Argumente ausgetauscht worden sind, auch Argumente für Frank Castorf.

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