Finale in der Champions League: Kampf der Identitäten

Ganz viel Geschichte schwingt mit, wenn der FC Liverpool auf Real Madrid trifft. Der Trainerklub aus England spielt gegen den spanischen Heldenverein.

Carlo Ancelotti Karim Benzema. Mo salah und Jürgern Klopp in Schwarzweiß als Graffito

Finales Kunstwerk: Streetartkünstler mit ihren Beitrag zum Endspiel am Stade de France Foto: Michael Knief/ap

BARCELONA taz | Wenn zwei Klubs so alt und so groß sind, dann gibt es immer eine offene Rechnung, dann spielen immer auch die alten Schlachten mit. Gerade vier Jahre ist es außerdem erst her, dass Real Madrids damaliger Kapitän Sergio Ramos dem Liverpooler Starstürmer Mohamed Salah bei einer – geplanten? unglücklichen? – Wrestlingeinlage die Schulter auskugelte und dann bei einem Zusammenstoß den Torwart Loris Karius derart hypnotisiert haben soll, dass er danach zwei der drei Gegentore bei der 1:3-Niederlage seiner Elf verschuldete

Ja, Ärzte des Massachusetts General Hospital in Boston, Heimatort der Klubeigentümer Liverpools, wiesen Tage später tatsächlich eine Gehirnerschütterung nach. Nun also die Rache? Von dem Konzept halte er nichts, so Trainer Jürgen Klopp, aber: „Im Leben sieht man sich immer zweimal.“

Carlo Ancelotti, sein Gegenüber von Real Madrid, ist noch etwas älter, 62, und als er auf das Revanchethema angesprochen wurde, landete er deshalb im Jahr 1981. Damals unterlag Real im Finale gegen Liverpool mit 0:1. Es war das letzte europäi­sche Endspiel, dass die Madrilenen überhaupt verloren haben.

Madrid gegen Liverpool also – in Paris. Die historisch erfolgreichsten Vereine der historisch erfolgreichsten Nationen in der Stadt, in der im Dezember 1954 der Europapokal ins Leben gerufen wurde. 13 Titel des Rekordsiegers gegen sechs des Dritten im Ranking. Zwei Vereine, die zwar auch über das Geld kommen. Aber doch genauso über ihre Geschichte und ihren Anhang. Die das Flirren des Flutlichts in europäischen Nächten versinnbildlichen mit einem emotionalen, heroischen Spielstil und bisweilen fast irrationalen Siegen.

Meister des Spekatkels

Paris St. Germain, Chelsea, Manchester City, die neureichen Petrodollarklubs – alle drei hat Madrid diese Saison aus dem Estadio Santiago Bernabéu spektakulär nach Hause geschickt, weil sie der mentalen Kraft ­Reals nicht standhielten. Jetzt trifft man freilich auf einen Klub, der sich genauso an sich selbst berauschen kann. Liverpool ist kein Verein, der bei Widerstand in sich zusammenbricht.

Liverpool führt selbst solche Aufholjagden durch. Unter Klopp etwa das 4:0 nach 0:3 in Barcelona auf dem Weg zum Titel 2019. Die berühmteste aber im Finale 2005 gegen den AC Mailand nach 0:3 zur Halbzeit. Trainer der Italiener damals: Ancelotti – der mit einem Triumph als erster Coach zum vierten Mal den wichtigsten Europapokal gewänne. Bisher teilt er sich die Ehre bei je drei Titeln mit Bob Paisley und Zinédine Zidane. Der eine von Liverpool, der andere von Real. Geschichte, wohin man nur blickt.

Und doch gibt es immense Unterschiede in den Identitäten beider Vereine. Sie betreffen nicht nur die Soziologie: Hier die noblen Königlichen, althergebrachte Lieblinge der spanischen Eliten – dort die von irischen Einwandern und sozialistischen Ideen geprägten „Reds“ aus einer Industriestadt, die sich gegen das englische Establishment definierte. Sie betreffen vor allem den Weg zur Größe.

Das weiße Ballett

Real Madrids Urknall war die Ankunft des argentinischen Stürmer-Regisseurs Alfrédo Di Stefano im Jahr 1953. Um ihn formte sich mit Spielern wie Fe­renc Puskas oder Francisco Gen­to das „weiße Ballett“. Wer noch weiß, wie die Trainer dieser Titel hießen – es waren drei verschiedene –, kann jedes Nerd-Quiz gewinnen. Sie spielen in der Erinnerung keine Rolle. Madrid wurde zum Verein der Stars, der Helden aus aller Welt, der Galaktischen. Ambitionierte Konzepttrainer stieß er instinktiv ab. Hier muss einer die Spieler verstehen – und machen lassen. Ancelotti kann das ziemlich gut.

Liverpools Geschichte teilt in Vorher und Nachher das Jahr 1959, als der schottische Trainer Bill Shankly beim damaligen Zweitligisten anheuerte. Er krempelte alles um, dozierte „passing game“ und integrierte die Massen zur gemeinsamen Kommunion an der Anfield Road. Shankly blieb 15 Jahre, ehe Paisley und weitere Assistenten aus dem „Boot room“ übernahmen, einem Schuhkabuff neben den Umkleiden, in dem bei Whiskey und Zigarettenqualm alles Wesentliche besprochen wurde.

Erst als die Linie abriss, begann der Abstieg. Wenn Klopp nach seinem phänomenalen Wiederaufbau heute mit Shankly verglichen wird, ist das die höchste aller Auszeichnungen. Seine Überfigur ist wie gemacht für einen Trainerklub par excellence.

Nun treffen Madrid und Liverpool auf neutralem Terrain, ohne Bernabéu, ohne Anfield aufeinander. Ihre Legenden spielen trotzdem mit. Mythos gegen Mythos: Nur einer kann gewinnen.

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