Finanzen: Die Erotik des Bezirkshaushalts

Überrascht vom Babyboom: Zum ersten Mal streiten sich Bezirks- und Senatspolitiker öffentlich über das System der kalkulatorischen Kosten bei Immobilien

Sofort verkaufen! Dies beschloss vor rund drei Jahren der Bezirk Pankow und bot die leer stehende Schule in der Kastanienallee 82 auf dem Markt an. Rund 2 Millionen Euro zahlte die private GLS-Sprachschule dafür. Drei Jahre später sucht der Bezirk verzweifelt Schulräume, weil für alle überraschend die Kinder des Babybooms rund um den Kollwitzplatz ins schulpflichtige Alter gekommen sind.

Wie es dazu kommen konnte und wie sich der Bezirk auf den künftigen Babyboom vorbereiten kann, war Thema einer Podiumsdiskussion am Dienstagabend in der Aula der E.-O.-Plauen-Schule. Tatsächlich ist das Problem einigermaßen vertrackt: Gezwungen zum Verkauf des Schulkomplexes wurde der Bezirk durch die sogenannten kalkulatorischen Zinsen und Abschreibungen. Diese Kosten zieht das Land den Bezirken aus dem zugewiesenen Globalbudget für Immobilien für das ungenutzte Schulgebäude ab. Damit haben die Bezirke finanztechnisch keine Möglichkeit, einen gewissen Vorrat an Gebäuden bereitzuhalten. "Leider ist dies kein so erotisches Thema", begrüßte am Dienstagabend Franz Schulz (Grüne), Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, rund 50 Zuhörer zur Diskussion. Den ganzen Abend suchte Schulz den "gesunden Menschenverstand" und nach Lösungen, wie sein Bezirk zurzeit nicht ausgelastete Schulen für den neuen Babyboom rund um den Boxhagener Platz offenhalten kann.

Torsten Puhst, Referatsleiter beim Finanzsenator und dort zuständig für Zuweisung der Gelder an die Bezirke, erinnerte: "Früher kriegte, wer viel Gebäude oder Personal hatte, auch viel Geld." Dies habe zu "merkwürdigen Finanzierungsschwerpunkten geführt, die mit den sozialen Realitäten nicht mehr übereinstimmten". Die kalkulatorischen Kosten seien dazu da, gerechte Kostenvergleiche zwischen den Bezirken zu ermöglichen. "Endlich werden für die Bezirke die Kosten für ihre Gebäude sicht- und spürbar, und sie beginnen nun, mit ihnen wirtschaftlich umzugehen."

Diesem Anliegen widersprach keiner der Anwesenden, doch fragten sie sich, ob das System der kalkulatorischen Kosten nicht eine falsche Antwort auf richtige Fragen sei. "Zurzeit ist es für den Bezirk billiger, ein Gebäude zu mieten, als ein eigenes zu nutzen" sagte Schulz. Und Daniel Zöllinger, Volkswirt und Mitglied der Initiative Zukunft Bethanien (IZB), führte per Diaprojektion die schönsten absurden Beispiele aus der Stadt vor. So ist das Rathaus Charlottenburg in den Büchern des Bezirks fast so viel "wert" wie das Debis-Gebäude am Potsdamer Platz.

Ihn unterstützte auch Richard Stehle von der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität. Er beklagte den fehlenden Umgang in Deutschland mit der Unterhaltung von öffentlichem Eigentum. "Eine Schule kostet die laufenden Instandhaltungsmaßnahmen, alle 20 Jahre eine Generalsanierung und alle 50 Jahre ein neues Dach, dies lässt sich ohne Probleme in ein jährliches Budget umrechnen." Daran anknüpfend fragte Bezirksbürgermeister Schulz am Ende der sehr sachlich geführten Debatte, "was würde es dem Land ausmachen, die kalkulatorischen Kosten zu streichen und einfach die realen Bewirtschaftungskosten zur Grundlage zu machen?" Dann könnten die Bezirke handeln und innovativ sein und in einen Wettbewerb um die wirtschaftlichste Gebäudeverwaltung einsteigen.

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