Finanzmärkte und Klimawandel: Perestroika in Kapitalistan

Um den Klimawandel aufzuhalten, will die EU den Finanzmärkten Moral und Ethik beibringen. Kritiker fordern, dass auch die EZB mitmachen muss.

Kohleberg vor der EZB

Die EZB (hinten) könnte Wertpapiere von Kohleunternehmen (vorne) unattraktiver machen Foto: dpa

BERLIN taz | Das Schöne am Kapitalismus ist, dass alles ein Preisschild bekommt. Zum Beispiel die Frage, was es die EU kosten würde, ihren Beitrag zur Rettung der Welt zu leisten: 180 bis 270 Milliarden Euro. Jährlich.

Das schreibt die EU-Kommission in einem Aktionsplan, mit dem sie etwas Utopisches versucht: Zumindest ein Teil der Finanzmärkte und deren Renditesucht soll aufhören, zum Klimakollaps beizutragen. Stattdessen sollen die Geldströme so umgelenkt werden, dass sie Unternehmen finanzieren, die den Planeten besser machen. Soziale Verantwortung und ökologisches Wirtschaften sollen ein Wettbewerbsvorteil werden.

Der EU-Plan fußt auf Empfehlungen einer Expertengruppe, in der Vertreter großer Versicherungskonzerne, Banken und Börsen Hand in Hand mit Nichtregierungsorganisationen wie dem Umweltverband WWF oder der 2° Investment Initiative arbeiteten. Als die Kommission den Plan Ende März präsentierte, waren Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und der milliardenschwere Medienunternehmer Michael Bloomberg dabei. Das Thema nachhaltige Finanzmärkte ist Chefsache.

Die oben genannten Milliardeninvestitionen müssen bis 2030 in grüne Energien, effiziente Technik und eine neue Mobilität fließen, damit Europa seine Klimaziele bis dahin einhält. Es geht dabei längst nicht mehr nur um Ökologie, sondern um Ökonomie. Schwindende Ressourcen und Klimarisiken können mächtige Konzerne in die Knie zwingen, Stürme bedrohen ganze Städte, soziale Ungleichheit die politische Stabilität. All das predigt die EU-Kommission längst.

Die Rettung der Welt, das sind keine „Kosten“

Sie träumt von grünem Wachstum, nach dieser neuen Doktrin enthält der Einstieg zu diesem Text – vielleicht ist es Ihnen ja aufgefallen – einen Fehler. Die Rettung der Welt, das sind keine „Kosten“, sondern Investitionen, ein Billionen-Euro-Geschäft. Die Idee geht auf den Weltklimavertrag von Paris zurück.

Brüssel drückt auf die Tube. Noch im Mai will die Kommission erste Punkte aus ihrem Plan umsetzen: Eine neue Verordnung soll Banken verpflichten, Kleinanleger in Beratungen auch über nachhaltige Geldanlagen aufzuklären. Die Bundesregierung spielt in dem ganzen Prozess bisher kaum eine Rolle, aus dem Finanzministerium heißt es, man finde die Initiative wichtig.

Auch das mediale Interesse an der Arbeit der Kommission tendierte bisher gegen null. Wohl, weil die Vorschläge teilweise so tief in das Räderwerk des Kapitalismus eingreifen, dass sie sehr kompliziert sind. Am griffigsten ist wohl die Idee, EU-weit zu ­definieren, was „nachhaltige Geldanlagen“ überhaupt sind, und dafür bis 2020 Standards und ein Label zu schaffen.

Was das bringt? Nur ein Beispiel: Unternehmen müssen regelmäßig Geschäftsberichte vorlegen, doch bisher geht aus denen kaum hervor, wie stark die Geschäfte von Kohle, Öl oder Gas abhängen. Hätten Investoren hier klarere Zahlen, könnten sie leichter ihr Geld weniger klimafeindlich anlegen – am Ende sogar klimafreundlich.

Das kann ethische Gründe haben oder ökonomische: Wenn Elek­troautos das neue große Ding werden und die EU das Ziel ausgibt, bis 2030 den CO2-Ausstoß im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu senken – wer will da noch Firmen Geld geben, die an Ölförderung beteiligt sind?

Brüssel ignoriert die Rolle der EZB

Oder, anderes Beispiel: Nur 5 Prozent der Pensionsfonds in der EU haben bedacht, dass sie wegen des Klimawandels ihre Investmentstrategien überarbeiten müssen. Es wäre ein Leichtes, ebendies vorzuschreiben. Denn würden Sie Ihr Geld jemandem anvertrauen, der in 30 Jahren Ihre Rente zahlen soll, aber ignoriert, dass bis dahin der CO2-Ausstoß um mindestens 80 Prozent gesenkt werden soll? Eben.

Der einfachste Ansatz: Man kauft keine Aktien oder Anleihen bestimmter Unternehmen – etwa alle, die etwas mit Atomkraft und Waffen am Hut haben. Damit werden aber weder Chemieunternehmen noch Autokonzerne ökologischer. Hier hilft der „Best-in-class“-Ansatz. Konzerne müssen bereits heute über ihre ökologisch-soziale Bilanz berichten. Etwa, wie viel CO2 sie ausstoßen, wie

viel Müll sie produzieren oder ob sie bei ihren Zulieferern auf die Einhaltung von internationalen Arbeitsnormen pochen. Diese Berichtspflichten könnte die EU deutlich verschärfen.

Schon heute entwickeln ökologische Ratingagenturen aus solchen Informa­tionen nämlich Punktesysteme und sprechen Anlageempfehlungen aus. Zunehmend achten auch die, die auf den großen Geldtöpfen sitzen, auf öko-soziale Kriterien bei ihren Investmententscheidungen: Staats- und Pensionsfonds oder Versicherer etwa. Untersuchungen zeigen, dass faire und ökologischere Unternehmen auch langfristig ökonomisch besser abschneiden.

Die Maßnahmen der EU-Kommission richten sich an alle, die auf den Finanzmärkten etwas zu sagen haben: Aufsichtsbehörden, Investoren, Börsen, Vorstände, Aufsichtsräte, Banken, Versicherer, Fonds, Politiker. Was Brüssel allerdings komplett ignoriert, ist die Rolle der Europäischen Zentralbank. Wohl aus Respekt vor der Unabhängigkeit der EZB, aber die Ausrede lässt Harald Bolsinger nicht gelten.

Der Wirtschaftsethiker ist Dekan an der Fakultät Wirtschaftswissenschaften der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt und verlangt, dass die EZB ethische und ökologische Kriterien in das aufnimmt, was man „notenbankfähige Sicherheiten“ nennt. Die Sache ist leider ebenfalls sehr kompliziert, was vielleicht einer der Gründe ist, warum eine von ihm initiierte Petition im Internet bisher nur 50 Unterstützer*innen hat.

Die EU habe eine Grundrechts­charta – Würde des Menschen, Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Bürgerrechte –, und die gelte für all ihre Institutionen, auch für die Zentralbank, so Bolsinger. „Allerdings beteiligt sich die EZB permanent an Verstößen gegen die Charta“, sagt er.

Vorschlag für ökologischeres Wirtschaften

Momentan ist es so: Will eine Geschäftsbank in der Eurozone einen Kredit von einer der nationalen Notenbanken, dann muss die ­Geschäftsbank dafür Sicherheiten hinterlegen. Derzeit summiert sich der Wert dieser Sicherheiten an Wertpapieren in der Eurozone auf rund 14 Billionen Euro. Hauptsächlich sind das Anleihen von Konzernen oder Staaten: Eine Geschäftsbank kauft Wertpapiere von VW, der Deutschen Bank, HSBC, Iberdrola, Hochtief, Statoil, HeidelbergCement, Anheuser-Busch, British American Tobacco oder der ungarischen oder rumänischen Regierung. Dafür stellt die Bundesbank dann der Geschäftsbank sogenanntes Zentralbankgeld zur Verfügung. Dieses Zentralbankgeld spielt im Finanzsystem eine besondere Rolle, weil jede Geschäftsbank verpflichtet ist, eine Mindestreserve davon vorzuhalten. Hat sie zu wenig davon, kann sie schwerer Kredite vergeben.

Bund Katholischer Unternehmer

„Gott, lass nicht zu, dass die EZB weiterhin in Anlagen investiert, die gegen Menschenrechte verstoßen. Amen“

Bolsingers Vorschlag könnte langfristig Konzerne dazu zwingen, ökologischer zu wirtschaften: Die Kriterien dafür, was die Zentralbanken als Sicherheit akzeptieren und wie sie diese bewertet, sind ein ganzes Buch dick. Was die Kriterien nicht enthalten, sind ethische, soziale und ökologische Aspekte. „Die EZB regelt und reguliert alles, nur die Frage, wie wir leben wollen, spielt für sie keine Rolle“, sagt Bolsinger.

Die Großbank Wells Fargo hat einen Korruptionsskandal an der Backe? Egal, die EZB akzeptiert Anleihen der Bank als Sicherheit. VW manipuliert die Abgaswerte seiner Diesel? Egal, solange die Bonität des Unternehmens stimmt. „Die EZB wäre die erste Zentralbank, die ethische Kriterien in ihre notenbankfähigen Sicherheiten aufnimmt. Dann müssten andere auch nachziehen. Sie könnte so die ganze Welt verändern“, glaubt Bolsinger. Angenommen, VW würde die CO2-Grenzwerte der EU reißen, weshalb die EZB sagte: Anleihen von VW sind keine notenbankfähige Sicherheit mehr. Der Effekt wäre dramatisch, das Unternehmen müsste deutlich höhere Zinsen zahlen – und würde so für den Bau von Spritschluckern abgestraft werden.

Bolsingers Idee wäre allerdings nur langfristig umsetzbar: Laut einer Analyse der Ratingagentur Oekom Research verstößt ein Großteil der Sicherheiten, die die EZB akzeptiert, gegen ökologisch-soziale Kriterien. Momentan würde es überhaupt nicht genug ethisch korrekte Anleihen geben, um die schlechteren zu ersetzen. Die Finanzmärkte sind eben auch ein Gradmesser für den Zustand von Wirtschaft und Politik im Allgemeinen. Bolsinger schlägt deshalb vor, die neuen, ethischen Kriterien allmählich einzuführen.

Die EZB lehnt ab

Die EZB allerdings lehnt den Vorschlag ab: „Wir glauben nicht, dass es Aufgabe der EZB ist, Kriterien für nachhaltige Geldanlagen zu definieren, das muss die Politik tun“, schreibt ein Sprecher. Die Bundesbank sieht im Klimawandel zwar auch deutliche Gefahren, hält aber Geldpolitik für das falsche Instrument, um gegenzusteuern.

Bolsinger ist nicht der Einzige, dem die Vorschläge der Kommission nicht weit genug gehen. Die Organisation Finance Watch schreibt, die Kommission gehe das Grundproblem nicht an: In den letzten drei Dekaden sei zu viel Kapital vom öffentlichen in den privaten Sektor gewandert. „Wir müssen wieder demokratische Souveränität über die Kapitalmärkte bekommen“, fordert die Organisation.

Aber wie geht das? Nun, vielleicht, zumindest in Sachen EZB, mithilfe von ganz oben. Bolsinger hat mittlerweile Unterstützung vom Bund Katholischer Unternehmer. Der ruft, kein Witz, zu folgendem Gebet auf: „Gott, täglich wird Geld in Milliardenhöhe angelegt. Lass nicht zu, dass die EZB weiterhin in Anlagen investiert, die gegen Menschenrechte verstoßen. Amen.“

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