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Fiona Sironics nominiertes RomandebütEs gibt ein Leben nach dem Aussterben

„Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft“ von Fiona Sironic ist Coming-of-Age-Roman und Climate Fiction zugleich.

Lässt ihre Figuren in den 2050ern über die Datenautobahn cruisen: Autorin Fiona Sironic Foto: Marcus Brandt/dpa

„Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft“ – ein Satz zum Verlieben, so lakonisch klingt er. Die Autorin Fiona Sironic wiederholt ihn immer mal wieder im Verlauf ihres vielversprechenden Debüts, das Climate Fiction und Coming-of-Age-Roman zugleich ist, als wäre ihre Erzählerin ihm selbst ein bisschen verfallen. Obendrein hat sie ihn zum Titel gekürt: ein bisschen kokett in seiner epischen Breite und durchaus verheißungsvoll im Kontrast von Niedlichkeit und Zerstörung.

Tatsächlich schildert der Satz einen konkreten Vorgang, den die 16-jährige Ich-Erzählerin Era analog im Wald beobachtet statt wie sonst nur digital im Stream. Denn die gleichaltrige Maja und ihre kleine Schwester Merle zeigen ihr bizarres Zündel-Hobby, das einst mit dem Aufschäumen von Cola und Mentos begann, auf ihrem eigenen „Kanal“. Da sind sie ganz Töchter ihrer Eltern, der Promis Alice&Elisa, die als „Mumfluencerinnen“ ihren und den Alltag ihrer Kinder von klein auf dokumentiert haben und damit reich geworden sind. Ein Missbrauch, findet jetzt die ältere Maja: Was liegt da näher, als die Backup-Festplatten der Mütter zu verbrennen?

Auch Era, der Maja schon in der Schule aufgefallen ist, wächst nur bei Frauen auf. Mutter und Tante leben prekär oder in alternativen Strukturen: Während die Tante in einem Gewächshaus-Wohnprojekt „Bienendienst“ leistet aka Pflanzen bestäubt, wertet die Mutter Influencerstreams wie die von Alice&Elise im Rahmen eines Forschungsprojekts zum „Early Internet“ wissenschaftlich aus. Die digitale Arbeit hat bereits ihre Wirbelsäule, Aufmerksamkeitsspanne und Mütterlichkeit in Mitleidenschaft gezogen. Era wiederum leistet auf Rat eines Therapeuten Trauerarbeit, indem sie Steckbriefe gerade ausgestorbener Vogelarten erstellt, vom neuseeländischen Kakapo bis zur europäischen Elster, oder über gefiederte Dinosaurier und Pokémons philosophiert.

Denn Fiona Sironics Roman spielt in einer nicht allzu fernen und leider nicht ganz unplausiblen Zukunft, mutmaßlich in den 2050er Jahren. Die Erderwärmung ist bereits fortgeschritten, das sechste Massenaussterben in vollem Gang, die Datenmassen fressen jede Menge Energie. Apropos, die nicht so Reichen ernähren sich nur noch von in heißes Wasser gerührtem Pulver. Die Familien von Era und Maja verkörpern in dieser Welt der ständigen Verluste zwei konträre Pole: Während die eine zu retten versucht, was zu retten ist, ihre Erinnerungen in feuerfeste Safes verschließt und bescheiden wirtschaftet, zählt im privilegierten Lifestyle der Influencerinnen nur die Gegenwart – selbst bei ihren rebellischen Kindern. Trotzdem erleben Era und Maja ihren ersten richtigen Crush miteinander, in aller Awkwardness und Glückseligkeit.

Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2025

Fiona Sironic: „Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft“. Ecco Verlag, Hamburg 2025, 208 Seiten, 23 Euro.

Herrndorfs „Tschick“ kommt einem in dem Sinn

Die Stimme, die die 1995 geborene Fiona Sironic für Era erfindet, knüpft nahtlos an den Titel an – die sensible Era erzählt genauso nerdig, cool und mutig, auch wenn sie letztlich auf der Seite der Bewahrerinnen steht. Wolfgang Herrndorfs „Tschick“ kommt einem in den Sinn, wenn die Mädchen die jeweilige Enge ihrer Elternhäuser hinter sich lassen, weil sie von den Erwachsenen nichts mehr erwarten. Doch statt im Roadmovie übers Land cruisen Maja und Era doch meistens über die Datenautobahn, denn wenn sie es ins Freie schaffen, schlägt die Hitze zu „wie eine Wand“. Es bleibt aber auch Weißraum in Sironics Dystopie: Politik und Staatlichkeit kommen nur am Rande vor, etwa wenn die Schule nur noch online stattfindet oder Era der „porösen Staatsgewalt“ misstraut. Doch anders als „Tschick“ lässt sich das Buch mit dem langen Titel nicht ganz locker weglesen. Alles ist strikt aus Eras unmittelbarer, mitunter sprunghafter Perspektive erzählt, weshalb sich Welt und Plot für die Leserin erst nach und nach zusammenpuzzeln.

Dem widerspricht in gewisser Weise, dass die Ich-Erzählerin nach drei Vierteln des Textes behauptet, ihr Schreiben sei „der Versuch, aus all dem eins zu machen, mit einem Faden“. Auch Era muss sich auf vieles erst einen Reim machen. Etwa, wenn sie Maja zu Hause besucht und die Kulisse der Influencerinnen-Villa registriert, die Natürlichkeit und Privatheit vorgibt. Wenn sie zwischen die Fronten von Maja, Merle und ihren Müttern gerät. Oder als der Wald brennt und mit ihm das Tiny House und Maja plötzlich verschwindet.

Sironic, die in Hildesheim und Wien Kreatives Schreiben und Sprachkunst studiert hat, begann 2020 mit der Arbeit an ihrem Roman. Damals war gerade Andreas Malms Manifest „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt“ erschienen, in dem der schwedische Humanökologe recht unverhohlen zur materiellen Zerstörung der Dinge aufrief, „die unseren Planeten ruinieren“. „Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft“ geht noch einen Schritt weiter. „Ich glaube, man muss sich einfach auf den Moment konzentrieren“, sagt Maja, deren Netzwerk längst Mega-Datenfarmen ins Visier nimmt, und Era übersetzt: „Was sie damit meint, ist natürlich die komplette Auslöschung der Vergangenheit.“ Dass damit aber auch die Hoffnung sterben würde, beweisen ausgerechnet die Dinos: Dank ihnen wissen wir schließlich, dass es ein Leben nach dem Aussterben gibt.

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