Flucht übers Mittelmeer: Viele Tote bei neuem Bootsunglück vor Lampedusa
Vor der italienischen Insel Lampedusa ist ein Boot mit fast 100 Migranten gekentert. Mindestens 27 Menschen sind ertrunken, 60 wurden gerettet.

Ein Helikopter der italienischen Finanzpolizei hatte am Mittwochvormittag das Schiff etwa 14 Seemeilen südlich von Lampedusa entdeckt. Daraufhin wurden mehrere Einheiten der Küstenwache und der Finanzpolizei an die Unglücksstelle beordert. Doch als sie eintrafen, war das Boot schon gekentert, trieben die Flüchtlinge im Wasser und waren viele von ihnen schon ertrunken.
Ersten Angaben zufolge befanden sich ein Säugling und drei Minderjährige unter den Opfern. 56 der 60 Überlebenden waren Männer. Als Herkunftsländer werden der Sudan, Pakistan und Somalia genannt.
Nach ihren Aussagen waren ursprünglich zwei Boote am Dienstag von der libyschen Küste nahe Tripolis in See gestochen. Eines der Boote, so berichteten sie, sei schon kurz nach der Abfahrt gekentert, während das andere am Mittwoch leckschlug und in Seenot geriet.
Ursprünglich 105 Menschen an Bord
Die Geflüchteten berichteten ebenfalls, dass sich insgesamt 105 Menschen an Bord befunden hatten. Deshalb steht zu befürchten, dass die Gesamtzahl der Opfer insgesamt über 40 liegt. 56 der 60 Überlebenden wurden im Hotspot auf Lampedusa untergebracht, während vier zur Beobachtung ins Krankenhaus aufgenommen wurden.
Damit muss Lampedusa eine weitere von mittlerweile ungezählten Flüchtlingstragödien verzeichnen. Die schwerste von ihnen hatte sich am 3. Oktober 2013 zugetragen, als bei Nacht ein Schiff unmittelbar vor einem der Strände der Insel gekentert war und 368 Menschen ertranken.
Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni reagierte am Mittwochabend mit einer Erklärung auf das erneute Unglück, in der sie Trauer und Betroffenheit kundtat, vor allem aber den „unmenschlichen Zynismus“ der Schleuser anklagte. Der Kurs der Regierung, die Abfahrten der Schiffe schon im Ausgangspunkt zu verhindern, sei deshalb der einzig mögliche Weg, um zukünftige Tragödien zu vermeiden, so Meloni.
Im Rahmen dieser Strategie allerdings arbeitet Italien schon seit Jahren eng mit libyschen Behörden zusammen und stellt ihnen Patrouillenschiffe und Geld zur Verfügung. Dabei sind diese Behörden berüchtigt für die systematische Verletzung der Menschenrechte der Flüchtlinge, die in libyschen Lagern eingekerkert, gefoltert, vergewaltigt werden.
Und als im Januar 2025 der libysche General und Gefängniskommandant Osama Almasri, der mit einem Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag wegen Mord und Folter von Flüchtlingen gesucht wurde, auf italienischem Boden verhaftet wurde, beeilte sich die Regierung Meloni, seine Freilassung zu erwirken. Sie flog ihn dann mit einem Jet der Geheimdienste nach Tripolis aus.
Oppositionspolitiker wirft Rechtskoalition Mitschuld vor
Auf der anderen Seite behindert Italiens Rechtskoalition mit zahlreichen Schikanen die Arbeit der auf See tätigen NGOs. So werden immer wieder deren Rettungsschiffe beschlagnahmt oder mit der Zuweisung von weit im Norden des Landes gelegenen Häfen nach Rettungseinsätzen bei ihrer weiteren Arbeit behindert.
Nicola Fratoianni, Chef der Alleanza Verdi-Sinistra (Grün-linke Allianz), klagt deshalb die Regierung als verantwortlich auch für die jetzt geschehene Katastrophe an. „Auch die Toten von heute vor Lampedusa lasten auf eurem Gewissen“, erklärte er.
Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sind in diesem Jahr bereits 675 Menschen bei der gefährlichen Überquerung des zentralen Mittelmeers ums Leben gekommen – der aktuelle Vorfall nicht mitgerechnet.
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