Flüchtlinge am Ärmelkanal: Der Tod am Tunnel

Der Ansturm auf den Eurotunnel von Calais nach Dover fordert immer wieder Todesopfer. Zumeist bleiben sie namenlos. Kein Ende des Elends in Sicht.

Gefährlicher Tunnel: Täglich versuchen Flüchtlinge auf die Züge nach Großbritannien zu kommen. Foto: reuters

PARIS taz | In der Nacht auf Mittwoch haben 1.500 Menschen versucht, auf das Gelände des Eurotunnels unter dem Ärmelkanal vorzudringen und auf einen Zug in Richtung Dover auf der britischen Seite aufzuspringen. Um ihre Chancen zu erhöhen, gehen sie seit wenigen Wochen in größeren Gruppen vor, manchmal sollen es bis zu 2.000 sein. Nur wenigen gelingt es aber, unentdeckt als blinde Passagiere ins „Gelobte Land“ Großbritannien zu gelangen.

Alle aber nehmen bei ihren nächtlichen Versuchen enorme Risiken auf sich. Seit Anfang Juni sind zehn Menschen ums Leben gekommen. 2014 waren es 14 Todesopfer. Die meisten von ihnen haben keine Identität, oft steht nicht einmal ihr Herkunftsland mit Sicherheit fest. Kürzlich hat die Libération versucht, den Toten der letzten Wochen wenigstens einen Namen zu geben. Zumeist vergeblich.

Auch in der letzten Nacht fand die Polizei nach einer stundenlangen Jagd auf die „Eindringlinge“ im Eurotunnel-Areal den leblosen Körper eines 25- bis 30-jährigen Manns, der vermutlich aus dem Sudan stammte. Nach Angaben der Polizei wurde er von einem LKW gerammt, der gerade einen Shuttle-Zug verließ. Ein tragisches Einzelschicksal von vielen.

Die erst 17-jährige Ababa aus Eritrea hat in der nordfranzösischen Lokalzeitung Voix du Nord geschildert, wie auch sie seit zwei Wochen jede Nacht unter Lebensgefahr ihr „Glück“ im Frachttunnel versucht. Bisher aber ohne Erfolg. „Zuerst schlüpfe ich durch ein kleines Loch im Zaun. Dann warte ich in der Nähe der Geleise, wenn die LKWs auf die Shuttle-Züge aufgeladen werden. Erst wenn der Zug anfährt, versuchst du aufzuspringen.“

„Erst wenn der Zug anfährt, versuchst du aufzuspringen“ Ababa (17) aus Eritrea

Nur eine Minderheit hat Geld, um die Schlepper zu bezahlen, die wie Geier um das Hütten- und Zeltlager außerhalb von Calais kreisen, wo derzeit mit Duldung der französischen Behörden rund 3.000 Menschen hausen. Angeblich kostet ein Platz in einem LKW bei den Schlepperbanden um die 1.500 Euro – ohne Erfolgsgarantie.

Die große Mehrheit der Durchreisenden aber hat nach einem langen und beschwerlichen Weg durch mehrere Länder sowie einer meist riskanten und kostspieligen Überquerung des Mittelmeers kein Geld mehr für diese skrupellosen Schlepper. Sie sind bereit, jedes Risiko auf sich zu nehmen.

Schon beim Versuch, unbemerkt in der Finsternis die Autobahn zu überqueren, werden viele angefahren und verletzt. Auch gehen Polizisten oder LKW-Fahrer, die eine hohe Geldstrafe riskieren, wenn sie mit blinden Passagieren erwischt werden, manchmal sehr brutal gegen die Migranten vor.

Die Gesellschaft Eurotunnel vermeldet, sie habe seit Jahresbeginn 37.000 Migranten mit ihren eigenen Mitteln und Beschäftigten gestoppt und verlangt dafür von Großbritannien und Frankreich eine finanzielle Entschädigung. Nach einem Treffen der beiden Innenminister hat Großbritannien weitere zehn Millionen Euro für den Ausbau der Schutzzäune in Calais versprochen.

Am Grundproblem ändert dies alles gar nichts, und auch nicht an der Lage der Migranten, die vorwiegend aus Syrien, Afghanistan, Eritrea, Somalia und Sudan stammen, die um jeden Preis nach Großbritannien wollen, wo sie viel leichter Arbeit finden und untertauchen können. Einfach ausweisen kann Frankreich diese Menschen nicht, weil sie meistens aus Konfliktzonen kommen. Doch in Frankreich dauert ihnen die Asylprozedur viel zu lange. Seit Jahren ist darum Calais am Ärmelkanal ein Engpass im Strom von Flüchtlingen und Migranten. Und ein Ende dieser Tragödie ist nicht abzusehen.

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