Flüchtlinge am Westbahnhof in Wien: „Das Möglichste reicht nicht mehr“

Tausende Flüchtlinge harren in Wien am Bahnhof aus, bis zu 7.000 weitere werden erwartet. Wann sich die Verhältnisse normalisieren, ist offen.

Menschen warten an einem Gleis, auf dem stehen zwei Polizisten

Polizisten statt Züge: der Wiener Westbahnhof am Donnerstagnachmittag. Foto: reuters

WIEN taz | „Das System ist komplett überlastet“, heißt es auf dem Wiener Westbahnhof. Mehr als Tausend Flüchtlinge haben die Nacht in Zügen verbracht, Dolmetscher sind im Dauereinsatz, die Kommunikation mit den ungarischen Behörden ist schleppend.

Und so haben die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) unter dem nicht nachlassenden Andrang von Flüchtlingen am Donnerstag den Zugsverkehr zwischen Wien und Ungarn in beide Richtungen eingestellt. Nur der Shuttleverkehr zwischen der Grenzstation Nickelsdorf und dem Westbahnhof funktionierte noch einige Zeit. „Letzte Nacht haben 1.200 Menschen auf dem Westbahnhof übernachtet“, sagt ÖBB-Sprecher Michael Braun: „Wir tun unser Möglichstes, aber das Möglichste reicht nicht mehr.“

In ganz Österreich seien es 1.700 gewesen, die in Zügen oder Einrichtungen der ÖBB die Nacht verbracht hätten. Es handle sich um eine Sicherheitsmaßnahme. Flüchtlinge werden inzwischen auch nach Graz, Wels oder Linz geschickt, wo Notquartiere eingerichtet werden.

Etwa eine Hundertschaft Polizisten versucht auf dem Bahnhof, die Weiterreisen zu gewährleisten. Sie bilden ein Spalier, durch das 60 Personen zum Bahnsteig 8 geschleust werden, wo der Zug nach Salzburg abfährt. Kleine Kinder an der Hand ihrer Mütter oder auf dem Arm ihrer Väter blicken verunsichert.

Doch der Einsatz von Sonderzügen ist nicht vorgesehen, sagt Braun: „Seit 14 Tagen ist alles was Räder hat in Bewegung.“ Mehrere Züge seien durch Wartungsarbeiten nicht einsatzfähig. Was die Zusammenarbeit mit der MAV, der ungarischen Staatsbahnengesellschaft, betreffe, so sei „die Informationsqualität nicht auf einem Niveau, das uns bei der Planung hilft“.

Ein rechtsfreier Raum wird geschaffen

Eine Gruppe von Arabisch- und Kurdisch-Dolmetschern der Caritas ist im Dauereinsatz. Hilfsorganisationen rechnen in den kommenden Tagen weiter mit eine große Anzahl von Flüchtlingen. Etwa 4.000 sollen sich an der serbischen Grenze zu Ungarn aufhalten, mehr als 3.700 Flüchtlinge waren in der Nacht auf Donnerstag bereits in Nickelsdorf angekommen.

Tausende Menschen werden versuchen, Ungarn zu durchqueren, bevor am 15. September die Eingesetze in Kraft treten, die den illegalen Grenzübertritt kriminalisieren. Das unabhängige online-Portal index.hu berichtet unter Berufung auf Regierungsquellen, dass ein 60 Meter breiter Grenzstreifen, in dem Ankommende interniert werden sollen, als „nicht als ungarisches Gebiet zu qualifizieren“ sei. So werde ein rechtsfreier Raum geschaffen, der die sofortige Abschiebung ermögliche. Die ungarische Regierung betrachtet Flüchtlinge pauschal als „Wirtschaftsmigranten“.

Auch auf dem Budapester Keleti Bahnhof bleibt die Lage angespannt. Um die 2.000 Flüchtlinge, die dort einen Zug in Richtung Westen besteigen wollten, wurden von der Einstellung des Bahnverkehrs nach Wien überrascht. Polizisten hielten die Flüchtlinge von dem Bahnsteig zurück.

Wann der Zugsverkehr sich wieder normalisiert, kann ÖBB-Sprecher Michael Braun nicht sagen. Am Freitag werde man beraten, wie es weitergeht.

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