Flüchtlinge aus dem Balkan: Rot-Grün: „kein Bedarf“ für Abschiebestopp

Wegen „humanitärer Härten“ schieben Schleswig-Holstein und Bremen im Winter niemanden nach Südosteuropa ab - anders als Niedersachsen und Hamburg.

Unmenschliche Bedingungen schon im Sommer: In Serbien leben viele der Roma in selbstgebauten Hütten. Bild: dpa

HAMBURG/BREMEN/HANNOVER taz | Elvana Krasniqi lebt seit 23 Jahren in Deutschland. Bis heute sind sie und ihr zweijähriger Sohn im niedersächsischen Neu-Wulmstorf nur „geduldet“ und von Abschiebung bedroht. Krasniqis Eltern wurden vor zwei Jahren in das Kosovo abgeschoben und berichten Schlimmes: Sie haben kaum etwas zu essen, es wird sehr kalt. Holz für den Herd zu finden sei schwer. Arbeit bekommen sie nicht: „Die Albaner sagen ’Ihr seid Roma, wir wollen Euch nicht‘“, so Krasniqi.

Sie kennt viele Roma aus dem Balkan, die sich aus Angst vor Abschiebung bei Freunden verstecken. Unterlägen sie nicht der „Residenzpflicht“ und dürften sie etwa in Bremen wohnen, so wären sie bis Ende März vor einer Abschiebung sicher. Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) kündigte vergangene Woche einen Winter-Abschiebestopp für die Balkan-Länder an. Auch Schleswig-Holstein schiebt seit Freitag nicht mehr nach Serbien, Mazedonien, Montenegro, Bosnien-Herzegovina, Albanien oder ins Kosovo ab.

Humanitäre Härten

Der strenge Winter in diesen Ländern brächte „Versorgungsengpässe und gesundheitliche Risiken“ mit sich, „Rückführungen in Würde und Sicherheit sind daher nicht in jedem Fall gewährleistet“, erklärte Schleswig-Holsteins Innenminister Andreas Breitner (SPD). Auch Bremen will „besondere humanitäre Härten“ vermeiden.

Was das bedeutet, sahen Journalisten der taz im Juni in Serbien: Roma werden dort stark diskriminiert. Viele Abgeschobene, ganze Familien, wohnen an den Stadträndern in Sperrmüll-Hütten, ohne Strom und Wasser. Sie leben von dem, was andere wegwerfen – ein Überlebenskampf, schon im Sommer.

Selbst im CDU-geführten Innenministerium Mecklenburg-Vorpommerns wird daher derzeit ein offizieller Winter-Abschiebestopp nach Südosteuropa geprüft. Das SPD-regierte Hamburg und das rot-grüne Niedersachsen jedoch werden nicht nachziehen.

Hamburg lässt das kalt

„Es gibt keine neuen Argumente, von unserer bisherigen Linie abzuweichen“, verteidigt Innenbehörden-Sprecher Frank Reschreiter den Hamburger Kurs. Der lautet: „Wir machen Einzelfallprüfungen, aber kein winterliches Abschiebemoratorium“, so Reschreiter. Ein Abschiebestopp in die Balkanstaaten würde die Gruppe der Roma gegenüber anderen Flüchtlingen bevorzugen, schließlich gebe es ja „noch mehr Länder, in denen es im Winter kalt wird“.

Auch Niedersachsens rot-grüne Landesregierung plant keine offizielle Regelung für den Winter. Zu Oppositionszeiten hatten SPD und Grüne noch stets einen Winter-Abschiebestopp für die Balkanstaaten gefordert. Im Frühjahr 2012 waren Abgeordnete des Landtags-Innenausschusses auf Drängen der damaligen rot-rot-grünen Opposition sogar persönlich ins Kosovo gereist. „Wer sich ein Bild vor Ort gemacht hat, für den verbieten sich weitere Abschiebungen“, hieß es danach von der SPD. Wie „fatal“ die Folgen von Abschiebungen insbesondere für Minderheiten wie Roma seien, habe die Delegationsreise einmal mehr gezeigt, war auch das Fazit der Grünen.

Niedersachsen sieht „keinen Bedarf“

Im ersten Winter nach der Regierungsübernahme mag man sich jetzt dennoch nicht zu einem verbindlichen Wintermoratorium durchringen. Das Innenministerium sieht schlicht „keinen Bedarf“, so eine Sprecherin. Schon jetzt würden Einzelfälle stärker nach „humanitären Maßstäben“ geprüft. Die „schlechte soziale und wirtschaftliche Situation“ in den Balkanstaaten werde dabei insbesondere im Winter berücksichtigt. Schwarz auf weiß als Anweisung an die Behörden will man das aber nicht festschreiben. „Die Ausländerbehörden schauen bereits sehr genau hin und sind sensibilisiert“, versichert man im Haus von Innenminister Boris Pistorius (SPD). Und verweist auf die Reform der Härtefallkommission sowie den für 2014 geplanten Rückführungserlass, der die Ausländerbehörden verpflichten soll, Abschiebungen für die Betroffenen möglichst wenig belastend durchzuführen.

Auch der grüne Koalitionspartner hält einen Wintererlass nicht für notwendig. Das könne zwar ein „zusätzliches Instrument mit Signalwirkung“ sein, sagt die Abgeordnete Filiz Polat, die Grünen setzten aber auf „individuelle Einzelprüfungen, unabhängig von Herbst, Sommer oder Winter und der Frage, ob eine Person einer ethnischen Minderheit angehört“. Ziel bleibe, Abschiebungen nach Südosteuropa „möglichst zu verhindern“.

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