Flüchtlinge in Berlin: Wohin, wenn es kalt wird?

Noch immer fehlen Unterbringungen für Flüchtlinge. Die konkurrieren jetzt unfreiwillig mit Obdachlosen um die wenigen Notschlafplätze in der Stadt.

Flüchtlinge warten in Decken gehüllt vor dem Lageso

In Decken gehüllt trotzen sie Kälte und Verwaltung. Foto: dpa

Die Temparaturen sinken – und es sind besonders Menschen ohne Obdach, die der Kälte schutzlos ausgesetzt sind. Zum Beispiel unregistrierte Flüchtlinge: Täglich warten Tausende vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso).

Jürgen Hölzinger vom Menschenrechtsausschuss der Berliner Ärztekammer hält die Situation dort inzwischen für politisch gewollt, um abschreckende Bilder zu erzeugen: „So dumm kann man gar nicht sein, in München klappt es schließlich auch“, sagte der Arzt der taz. Erfrieren würde bei den derzeitigen Temperaturen keiner. „Aber viele sind durch die Flucht geschwächt. Wer den ganzen Tag friert, kann leicht Erkältungen, eine Lungenentzündung oder Infekte bekommen.“

Der Caritasverband forderte den Senat am Dienstag zu sofortigen Schutzmaßnahmen für die Wartenden am Lageso auf. „Wir können nicht mehr ausschließen, dass Menschen sterben“, sagte Caritas-Direktorin Ulrike Kostka. Das Verfahren müsse so geändert werden, dass Flüchtlinge künftig in ihrer Unterkunft auf die Registrierung warten können.

Am Lageso stehen inzwischen zwei Wartezelte. Sie sollen Platz für 300 Personen bieten, doch laut der Hilfsorganisation Moabit hilft sind sie geschlossen. Moabit hilft gibt inzwischen wieder warme Kleider aus. Nachts vermittelt Kaja Grabowski mit anderen Helfern vor dem Lageso noch private Schlafplätze, wenn die Busse zu den offiziellen Notunterkünften längst abgefahren sind.

Ulrike Kostka, Caritas

„Wir können nicht ausschließen, dass Menschen sterben“

83 Notübernachtungsplätze für Wonungslose gibt es in der Stadt: 73 für Männer in der Franklinstraße (Charlottenburg), 10 für Frauen in der Tieckstraße (Mitte). Am 20. Oktober eröffnet der Verein Mob e.V. eine neue Einrichtung in der Storkower Straße (Lichtenberg) mit 20 Plätzen. Dazu kommt ab 1. November das saisonale Angebot der Kältehilfe mit senatsfinanzierten Schlafplätzen. Noch steht nicht fest, welche Einrichtungen dieses Jahr dabei sind, aber es wird mit rund 2000 Plätzen gerechnet. Doch die reichen bei weitem nicht aus: Organisationen der Wohnungslosenhilfe gehen von einem tatsächlichen Bedarf von 6.000 bis 7.000 Notschlafplätzen aus. Etwa ein Drittel der Menschen, die nachts nicht wissen wohin, sind Migranten: Wanderarbeiter, mittellose Familien vom Balkan und noch unregistrierte Geflüchtete, die nicht in reguläre Flüchtlingsunterkünfte können.

Dem Draußenschlafen am nächsten kommen Schlafplätze in Zelten, in denen derzeit 250 Geflüchtete Obdach finden.

Wärmen in der Warteschlange

„Als wir gestern um 2 Uhr nach Hause gegangen sind, waren noch 178 Menschen dort“, berichtet sie. Viele hätten um 9 Uhr einen Termin am Lageso und wollten rechtzeitig anstehen. „Gestern haben sich die Menschen zum ersten Mal schon um 1 Uhr in die Warteschlange gepresst, weil keiner es aushält, bei der Kälte zu schlafen“, sagt Grabowski.

Auch wenn das Thermometer am Dienstag nur sechs Grad anzeigt, scheint vielen Flüchtlingen die Kälte in der Zeltstadt in Spandau nichts auszumachen: Die Zelte sind beheizt, einzelne Männer tragen sogar nur kurze Hosen. „Mir ist nicht kalt“, sagt Saleh, ein junger Syrer in Flipflops, der seit drei Wochen mit neun anderen Flüchtlingen in einem der 71 Zelte wohnt.

In den Zelten schlafen nur junge Männer, Familien mit Kindern und Kranke sind in der benachbarten Kaserne untergebracht. „Die Zelte sind zwar warm, aber für den Winter nicht warm genug“, sagt Kai-Uwe Lindloff von der Betreibergesellschaft Prisod. Bei Minusgraden reichten die Ölradiatoren nicht mehr aus.

„Seit Wochen erbitten wir eine Stellungnahme von der Senatsverwaltung, wie lange noch Flüchtlinge in Zelten untergebracht werden müssen“, sagt Prisod-Sprecherin Susan Hermenau. Sie würden die Zelte gern bald auflösen.

Konkurrenz um Schlafplätze

Wer nicht in regulären Unterkünften oder privat unterkommt, muss auf eine der Notunterbringungen für Wohnungslose ausweichen. Eigentlich ist für Flüchtlinge das Land zuständig, für Wohnungslose die Bezirke. Doch durch die Überforderung des Landes bei der Flüchtlingsunterbringung entsteht Konkurrenz zwischen beiden Gruppen.

Die Organisation „Frostschutzengel“ kümmert sich eigentlich um obdachlose Menschen aus EU-Staaten. Doch die Not der Flüchtlinge erreicht auch sie. Eine russischsprachige Mitarbeiterin erzählt, dass sie öfter von hilfsbedürftigen ukrainischen Familien mit Kindern angesprochen werde. „Ich kann die dann nur in die Franklinstraße schicken. Obwohl sie da nicht hingehören.“ Familien würden sogar von der Polizei vor der Unterkunft in der Franklinstraße abgesetzt - wo sie dann mit deutschen Obdachlosen Schlange stehen.

„Die Konkurrenz um Plätze, Duschen und Essen ist enorm“, beobachtet die Sozialarbeiterin. Auch Dieter Puhl, Leiter der Bahnhofsmission am Zoo spürt diese Stimmung. „Wir müssen manchen Spendern versprechen, dass ihre Kleidung nicht in die Hände von Flüchtlingen gelangt.“

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