Flüchtlinge in Frankreich: Wieder auf dem Sprung

Nach dem Gerichtsurteil über eine Teilräumung des Camps „Dschungel“ in Calais herrscht unter den Bewohnern mehr Unsicherheit denn je.

eiderausgabe im südlichen Teil des Dchungel.

Kleiderausgabe im südlichen Teil des „Dschungel“. Foto: reuters

CALAIS taz | Am Tag nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Lille wirkt der „Dschungel“ zunächst wie immer. Generatoren dröhnen, Sondereinsatzkräfte der Polizei (CRS) haben ihre Busse am Eingang geparkt, Menschen wärmen sich an Feuern auf.

Daran, dass Donnerstag ein entscheidender Tag für die Zukunft des inoffiziellen Flüchtlingscamps bei Calais war, erinnern eigentlich nur die internationalen Kamerateams, die auf dem Erdhügel vor den ersten Hütten Frontalaufnahmen machen. Die Kombination von „Dschungel” und Räumung””, das weiß man spätestens seit dem Abbruch des ersten Camps 2009, generiert Aufmerksamkeit.

Genau in diesem Licht ist wohl auch das Urteil zu sehen, wonach der südliche Teil des Gebiets wie von der Präfektur angeordnet geräumt werden darf. Allerdings soll das im Laufe von mehreren Wochen geschehen. Orte mit sozialer oder religiöser Bedeutung wie Schule, Kirche und Moschee sind von der Räumung ausgenommen. Die Präfektur spricht hinsichtlich der extremen Lebensbedingungen auch von einer „humanitären Räumung”, bei der keine Bulldozer eingesetzt werden sollen.

Auffallend ist, dass die Unsicherheit unter den Dschungel- Bewohnern keineswegs verschwunden ist. Am Vorabend, als die Mehrdeutigkeit des Urteils zu allerlei Spekulationen Anlass gab, konnte man allenthalben die Frage „Jungle finished?“ hören.

Von Belgien aus auf dem Sprung

Am nächsten Morgen sind sich vier junge Afghanen in der Nähe des Eingangs, die im betroffenen südlichen Teil leben, noch immer nicht sicher, ob sie nun bleiben können oder nicht. Ein älterer sagt, dass manche Flüchtlinge überlegten, von Belgien aus den Sprung nach England zu probieren.

Dass die belgische Grenze zu Frankreich seit Wochenbeginn kontrolliert wird, hat sich allerdings auch hier herumgesprochen. Die Standard- Antwort auf die Frage, was sie denn nun machen, lautet daher meist „UK”.

Es gibt aber auch Flüchtlinge, die dem Druck der französischen Behörden nachgeben. Seit Monaten bereits bieten diese einen Transport in Auffanglager in anderen Teilen Frankreichs an, um dort über einen möglichen Asylantrag in Frankreich nach zu denken. 15 Personen, die sich dafür entschieden hätten, seien an diesem Morgen in Bussen aus dem Camp gebracht worden, so Maya Konforti von der Hilfsorganisation Auberge des Migrants.

Diese Option ist eine der beiden Alternativen, die die Behörden den Jungle-Bewohnern nahelegen. Die andere ist ein im Januar eröffnetes Container-Camp, das 1.500 Menschen Platz bietet. Der Komplex liegt abgetrennt am Rand des Jungle. Arbeiter sind an diesem Morgen damit beschäftigt, ein Drehkreuz anzubringen.

Container-Camp nachts geschlossen

Zwei Männer checken an diesem Morgen mit ihrem Gepäck dort ein. Zum ersten Mal legen sie ihre Hand auf den Scanner, der dem Drehkreuz vorgeschaltet ist. Die Angst, damit ihre Fingerabdrücke abzugeben, ist einer der Gründe dafür, dass noch mehrere Hundert Container-Plätze frei sind. Der andere ist, dass dieses nachts geschlossen ist.

Die Präfektur setzt unterdessen ihre Werbe-Offensive fort. Vier Mitarbeiter sind am Tag nach dem Urteil im Camp unterwegs, um die Bewohner davon zu überzeugen, dass ein freiwilliger Umzug zu ihrem eigenen Vorteil ist.

Montags baden Frauen, zum FKK-Schwimmen kommen Schwule und abends duschen Flüchtlinge. Im Stadtbad Berlin-Neukölln hat jede Gruppe ihre eigene Zeit. Wie sollen wir zusammen leben, wenn wir nicht zusammen planschen können? Dieser Frage gehen wir nach in der taz.am wochenende vom 27./28. Februar 2016. Außerdem: Die Feministin Laurie Penny im Gespräch über die Macht von Science-Fiction und die Schwierigkeit, ein Vorbild zu sein. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Marianne Humbersot, Mitglied des Anwalts-Kollektivs Appel de Calais, stimmt dieser Auffassung nicht zu. Sie betont, dass der Jungle in all seiner Unzulänglichkeit noch immer bessere Bedingungen böte, als das Container-Zentrum.

Aus diesem Grund habe Appel de Calais gemeinsam mit den anderen Hilfsorganisationen noch in der Nacht nach dem Urteil wieder Berufung eingereicht – diesmal beim höchsten Verwaltungsgericht in Paris. Seitens der meisten Freiwilligen ist der Tenor denn auch: Diese Sache ist noch nicht verloren. „Wir machen einfach unsere Arbeit weiter”, sagt eine englische Helferin an einer Schlange zur Kleiderausgabe.

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