Flüchtlings-Hilfe in Nord-Deutschland: Kiel will es für Hamburg schaffen

Schleswig-Holstein hat fast 8.000 freie Plätze in der Erstaufnahme – und prüft, ob dort Flüchtlinge aus Hamburg wohnen können.

Mehr Platz gibt es in Schleswig-Holstein: In Hamburg schlafen über 6.000 Menschen noch in Gewerbehallen Foto: Christian Charisius (dpa)

HAMBURG taz | In Hamburg wohnen über 6.000 Flüchtlinge immer noch in ehemaligen Baumärkten und Gewerbehalle, mehrere Hundert sogar in Zelten. Deutlich entspannter ist die Lage in Schleswig-Holstein. Dort sind von rund 14.900 Plätzen in den Erstaufnahmen fast 8.000 nicht belegt.

Man prüfe nun, ob Flüchtlinge aus Hamburg vorübergehend dort wohnen können, erklärt Innenministeriums-Sprecher Patrick Tiede. „Es ist der politische Wille, Hamburg zu helfen“, sagt er. Von dieser Idee hatte vergangene Woche Grünen-Fraktionschefin Eka von Kalben im taz-Interview gesprochen. Nun scheint es konkrete Gespräche zu geben.

Die 13 Erstunterkünfte in Schleswig-Holstein sind in festen Gebäuden. Wie das Abendblatt berichtet, bietet zum Beispiel die ehemalige Rantzau-Kaserne im Kreis Bad Segeberg rund 2.000 Betten, die zur Hälfte leer sind. Auch die kleinste Erstunterkunft, ein früheres Internat bei Wentdorf hat von 300 Betten nicht mal die Hälfte belegt.

„Es gibt freie Plätze und wir sind darüber froh“, sagt Martin Link vom Schleswig-Holsteinischen Flüchtlingsrat. Dies sei das Ergebnis konsequenter Politik. Zum einen sind die meisten der rund 35.000 Flüchtlinge, die 2015 kamen, inzwischen von den Kommunen aufgenommen worden, wo die Integration beginnen kann, die Sprachkurse beginnen und Kinder in Kita und Schule gehen. Zum anderen hat das Land geklotzt. Gab es vor einem Jahr nur 900 Plätze in Neumünster, so sind es inzwischen besagte 14.900. Ziel sind laut „Flüchtlingspakt“ sogar 25.000 Plätze.

In Hamburg kamen 2015 rund 61.000 Schutzsuchende an. Davon wurden etwa 22.000 dauerhaft zugewiesen.

In Schleswig-Holstein kamen im Jahr 2015 52.000 Flüchtlinge an. Gut 35.000 wurden zugewiesen.

Die Verteilung erfolgt nach dem Königsteiner Schlüssel. Bei der Rechnung fließen zu Zweidritteln die Steuereinnahmen und zu einem Drittel die Bevölkerungszahl ein.

Hamburg nimmt 2,5 Prozent aller Flüchtlinge auf, Schleswig-Holstein, 3,4 Prozent. Weil die Fläche keine Rolle spielt, finden einige Politiker das ungerecht.

Es sei „aus humanitärer Sicht richtig“, wenn Schleswig-Holstein Flüchtlinge aus Hamburger Zelten und Hallen aufnimmt, sagt Link. Kiel müsste sich aber zusichern lassen, dass dies befristet ist und Hamburg selber neue Plätze schafft. Da man nach dem Winter wieder mit steigenden Flüchtlingszahlen rechnen müsse, ginge dies sonst zu Lasten der Bedingungen in Schleswig-Holstein.

Sogar die Kieler CDU wäre einverstanden, wenn Hamburg Plätze nutzt. „Einen fairen Kostenausgleich vorausgesetzt“, sagt CDU-Politikerin Astrid Damerow.

Hamburg würde sich über ein Angebot von Erstaufnahmeplätzen „sehr freuen“, erklärt Frank Reschreiter, Sprecher der Hamburger Innenbehörde. Bereits seit Jahren belegt die Stadt 200 Plätze im mecklenburg-vorpommerschen Horst und bezahlt dafür. Eine solche Vereinbarung wäre auch mit Schleswig-Holstein denkbar. Spätestens nach sechs Monaten kämen die Flüchtlinge zurück.

Die Hamburger CDU-Politikerin Karin Prien fordert, die Stadt müsse mit seinem Nachbarn auch über Folgeunterkünfte verhandeln. Der frühere Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) hatte im Sommer einen ähnlichen Vorstoß gewagt und bei den Nachbarländern angefragt, ob sie Flüchtlinge in leer stehenden Wohnungen aufnehmen. Hamburg würde auch dafür zahlen. Flüchtlingsfamilien könnten sich stabilisierend auf bevölkerungsarme Gegenden auswirken, so die Hoffnung. Damals erhielt Scheele eine Abfuhr. Doch der für ländliche Räume zuständige Kieler Umweltminister Robert Habeck (Grüne) stößt jetzt ins gleiche Horn.

Flüchtlinge könnten dazu beitragen, Kitas und Grundschulen zu erhalten oder Sportvereine zu stärken. „Einige Gemeinden machen das schon praktisch vor.“

Doch hier will die Nord-CDU nicht mitmachen. Hamburg müsse seine Flüchtlinge zurücknehmen. „Jedes Bundesland muss seinen Beitrag zur Integration der Flüchtlinge leisten“, sagt Astrid Damerow. Am „Königssteiner Schlüssel“ möchte sie nicht rütteln.

Zudem macht die CDU jetzt Druck, den erst im November 2014 geschlossenen Abschiebeknast in Rendsburg wieder zu öffnen. Dort saßen Flüchtlinge oft monatelang. Doch der Europäische Gerichtshof hat Gefängnisse für Asylbewerber untersagt. „Rendsburg wird definitiv nicht wieder in Betrieb genommen“, sagt die SPD-Politikerin Serpil Midyatli.

Auch hier bahnt sich eine Kooperation an. Hamburg plant auf dem Flughafen Fuhlsbüttel ein Gewahrsam, in welchem Menschen ein bis vier Tage vor ihrer Abschiebung gebracht werden sollen. Das plane Hamburg „erst mal nur für sich“, so ein Sprecher. Doch wie das Kieler Innenministerium erklärt, hat man Interesse an einer Mitnutzung.

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