Flüchtlingsbiografie: Ein Leben auf Europas Straßen

Der Sudanese Ashraf Y. soll von Niedersachsen nach Ungarn abgeschoben werden - obwohl dort menschenunwürdige Umstände herrschen.

Ashraf Y. droht die Abschiebung nach Ungarn. Bild: Miguel Ferraz

HEIDERUH taz | Der 34-jährige Ashraf Y. soll am Mittwoch nach Ungarn abgeschoben werden. Für ihn ist der Gedanke schrecklich: „Hier in Deutschland habe ich mich zum ersten Mal wie ein Mensch behandelt gefühlt.“ Seit 2008 lebt der Sudanese nun auf den Straßen Europas. Er war schon vor Jahren aus dem Sudan geflohen.

Seit Anfang der 2000er Jahre gibt es in Kassala, im Osten des Sudan, Kämpfe zwischen der arabisch dominierten Regierungsarmee und der mit der innerarabischen Opposition National Democratic Alliance (NDA) verbündeten südsudanesischen Volksbefreiungsbewegung (SPLA). Ashraf gehörte zur Opposition, hat sich für Menschenrechte stark gemacht.

Daraufhin wurde er von der Regierungsarmee verfolgt. Über die ägyptische Grenze floh er als Schafhirte verkleidet. In einem Fischerboot kam er über das Mittelmeer nach Griechenland. Ashraf wollte nach Deutschland, er wollte in seinem Beruf Tischler eine Anstellung finden. Im November 2013 kam er an.

In Heideruh will man ihm helfen. Heideruh ist ein Wohn und Ferienheim in Buchholz. Seit Dezember ist Heideruh als Flüchtlingsaufnahmelager anerkannt. Statt in ein Erstaufnahmelager zu müssen, können Flüchtlinge auch hier untergebracht werden, acht leben nun dort. Das Land Niedersachsen zahlt die Miete, mehr nicht.

Post von der Behörde

Erst seit April kommt ein Mitarbeiter der Diakonie im Auftrag des Landkreises zur Sozialberatung – einmal pro Woche für zwei Stunden. Hier, mitten in der Nordheide im Landkreis Harburg warten die acht Sudanesen auf Post von der Behörde. Ashraf ist der erste, der abgeschoben werden soll. Bei den anderen stehen die Entscheidungen noch aus. Manche haben ihren Asylantrag in Italien gestellt, andere gleich in Deutschland.

Über Albanien, Serbien, Bosnien und Montenegro kam Ashraf nach Ungarn. Zur Begrüßung kam er ins Gefängnis, das ist in Ungarn nichts Ungewöhnliches. Prinzipiell werden Flüchtlinge inhaftiert, Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl prangern das seit Jahren an.

Nach sechs Stunden kam ein Dolmetscher. „Ich sollte entweder einen Asylantrag stellen oder 600 Dollar zahlen – die Kosten für meine eigene Abschiebung“, sagt Ashraf. Entweder nach Serbien, über das er Ungarn betreten hat, oder zurück in den Sudan.

Erzwungener Antrag

Nachdem er den erzwungenen Asylantrag mit einem Fingerabdruck unterzeichnet hatte, kam er in ein Erstaufnahmelager in Debrecen. Von dort an ist der Fall für die Behörden erledigt. Nach zwei bis sechs Monaten soll man das Lager verlassen, wohin ist oft egal. Zwar gibt es die Möglichkeit, Geld für eine Wohnung zu beantragen. Die Chancen, es auch bewilligt zu bekommen, sind aber gering. Selbst wenn man eine bekommen hat, sind die Mietverträge befristet.

Vom Staat gibt es in Ungarn circa 92 Euro monatlich zur Versorgung. 192 Euro bräuchte man – laut dem deutschen statistischen Bundesamt – um dort leben zu können.

Hinzu kommt das Problem, dass die Leistungen nur jeweils innerhalb eines bestimmten Zeitraums beantragt werden können, nachdem das sogenannte „Pre-Integration Camp“ verlassen wurde. Da Ashraf über einen längeren Zeitraum nicht in Ungarn war, kann es sein, dass die Fristen abgelaufen sind. Dann hat er keinen Anspruch auf Leistungen mehr.

Gewalttätige Wachleute

In diesem Lager zu bleiben, ist aber auch keine Option. 19 Personen teilten sich einen Raum, dauerhaft. Sanitäranlagen gibt es dort kaum, alles ist in einem verwahrlosten Zustand.

Das Wachpersonal soll gewalttätig sein, in dem neusten Bericht des ungarischen Helsinki Komitees, einem ungarischen Pendant zu Pro Asyl, wurde das Lager angeprangert. „Als ich das Lager betrat, bekam ich mit einem Schlagstock einen Schlag in den Magen“, berichtet Ashraf. Nach drei Tagen ist er aus dem Lager geflohen und hat sich für 150 Dollar mit dem LKW nach Deutschland bringen lassen. Das Geld dafür hatte er in Griechenland gespart. Manchmal konnte er dort arbeiten.

In Deutschland hat er einen Asylantrag gestellt und kam durch die Flüchtlingsverteilung nach Niedersachsen. Der Landkreis Harburg will ihn abschieben, bisher haben das Verwaltungs und Oberverwaltungsgericht Lüneburg diese Entscheidung bestätigt.

Dabei ist das nicht die Regel, andere Gerichte befinden die Umstände in Ungarn als so menschenunwürdig, dass sie Flüchtlinge nicht mehr dorthin zurück schicken. Das Verwaltungsgericht München, kam am 10. Januar zu dem Schluss, dass eine Abschiebung nach Ungarn wegen der dortigen systemischen Mängel nicht möglich ist.

Niedersachsen ist nicht Herr des Verfahrens

Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen kennt das Problem: „Aus den selben Gründen wird nicht mehr nach Griechenland zurück abgeschoben.“ Die EU hat sich drauf geeinigt, die Dublin-Abschieberegelung, nach der Deutschland das Recht hat, Flüchtlinge in das Erstaufnahmeland zurückzuweisen, bei Griechenland auszusetzen.

Das Gericht Lüneburg sieht das anders, der Rückflug von Frankfurt am Main nach Budapest ist schon gebucht. Ashrafs Anwalt, Dieter Priem, ist trotzdem optimistisch. Er will versuchen, die Härtefallkommission einzuschalten. Das Problem dabei ist, dass das Land Niedersachsen nur im Auftrag des Bundesaußenamtes handelt. Also müsste der Bundespetitionsausschuss angerufen werden. Ob das klappt, ist fraglich.

Einen Plan für Ungarn hat Ashraf nicht. „Ich würde versuchen, zurück in den Sudan zu kommen. Dann sollen die mich lieber da erschießen. Tot sein, ist mir lieber, als in Ungarn zu sein.“

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