Flüchtlingspolitik in Berlin: Die Heimsuchung des Senats

Das Chaos regiert: Unterkünfte ohne Mindeststandards, keine Verträge, keine Vergabe – und umstrittene private Betreiber bekommen viele Aufträge.

Zumindest bunt: Containerdorf für Flüchtlinge in Köpenick. Bild: dpa

BERLIN taz | Das Versagen des Senats bei der Unterbringung von Flüchtlingen wird immer offenkundiger. 22 von 33 der seit Anfang 2014 neu eröffneten Einrichtungen sind Notunterkünfte, für 21 gibt es keinen Vertrag, die Auswahl der Betreiber erfolgt ohne Ausschreibung – und die umstrittenen Firmen Pewobe und Gierso haben acht Mal den Zuschlag bekommen. Das ergibt sich aus der noch nicht veröffentlichten Antwort der Senatssozialverwaltung auf eine schriftliche Anfrage der Linkspartei-Abgeordneten Elke Breitenbach, die der taz vorliegt.

„Der Senat sagt, Notunterkünfte und Freihandvergabe seien Ausnahmen. Aber sie sind die Regel“, kritisiert Breitenbach. Dabei sei die „freihändige Vergabe“ völlig intransparent, niemand könne nachvollziehen, wer warum einen Auftrag bekommt. „Außerdem sind die Standards in Notunterkünften unter aller Kanone, schon weil die Gebäude – häufig Schulen oder Bürogebäude – darauf gar nicht ausgerichtet sind.“

Anfang November war bekannt geworden, dass der Chef des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso), Franz Allert, der Patenonkel des Geschäftsführers von Gierso ist, ein Unternehmen, das in Berlin mehrere Unterkünfte betreibt. Im selben Geschäft tätig ist die Firma Pewobe. Sie gab Mitte November, kurz nach Bekanntwerden der "Patenaffäre", ihre 25 Prozent Anteile an Gierso auf. Gegen beide Firmen wurden wiederholt Vorwürfe laut, dass sie aus Profitinteresse vereinbarte Standards unterlaufen würden. Ob Allert die Firmen bevorteilte, wird derzeit „vertieft“ von der Innenrevision des Lageso untersucht. Eine erste Prüfung hatte ergeben, dass die Akten lückenhaft sind.

Zwei Monate vor Bekanntwerden der „Affäre Allert“ hatte Sozialsenator Mario Czaja (CDU) einen „Paradigmenwechsel“ verkündet: Künftig werde das Land Flüchtlinge vorrangig in landeseigenen Gebäuden unterbringen. So könne man flexibler auf steigende Flüchtlingszahlen reagieren – und sich aus der Abhängigkeit von Anbietern befreien, erklärte Czaja. Bislang sei es in der Regel so, dass die künftigen Betreiber selbst die Immobilien anböten – so dass eine Ausschreibung nicht möglich sei.

Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Wie aus der Antwort der Verwaltung hervorgeht, entstanden 17 neue Heime durch „Beschlagnahme nach ASOG“. Laut dem „Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz“ kann das Land Gebäude requirieren, um Obdachlosigkeit zu vermeiden. Auch hier, wo das Land Zugriff hat, wurde die Pewobe drei Mal bedacht. „Die Pewobe expandiert in Berlin auf nicht nachvollziehbare Weise. Der Paradigmenwechsel findet nicht statt“, sagt Fabio Reinhardt, flüchtlingspolitischer Sprecher der Piratenfraktion.

Auch die Tatsache, dass es vielfach keine Verträge mit den Betreibern gibt, zeigt für Reinhardt, „wie chaotisch und kaputt das Lageso“ unter Czaja sei. „Wenn eine Behörde noch nicht mal in der Lage ist, schriftlich zu fixieren, welche Leistungen sie erwartet, bevor sie bezahlt, ist es kein Wunder, dass immer wieder neue Missstände in den Unterkünften bekannt werden.“

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