Flüchtlingspolitik in Frankreich: Koloniales Erbe und Abschottung

Frankreich ist ein altes Einwanderungsland, das sich jedoch zunehmend gegen ZUwanderung sperrt. Das Land verhandelt aktiv mit den Herkunftsländern.

Der „Dschungel“ in Calais während der Räumung Foto: reuters

Frankreich ist, im Vergleich zu den europäischen Nachbarländern, ein altes Einwanderungsland. Achtzehn Millionen Franzosen, also fast ein Drittel der Staatsangehörigen, sollen mindestens einen ausländischen Großelternteil besitzen.

Seit den 1980er und frühen 1990er Jahren hatten konservativ-wirtschaftsliberale Rechtsregierungen sich den Slogan einer „Nullzuwanderung“ zu eigen gemacht. Theoretisch sollte es darum gehen, jegliche neue, zusätzliche Einwanderung zu verhindern. In der Praxis erwies sich dies schnell als absolut unhaltbar, da sich bestimmte rechtliche Mindestgarantien – Familienzusammenführung, Nachzug von Ehegatten französischer Staatsangehöriger – neben nationalen auch aus internationalen Verpflichtungen ergeben.

Während die politische Linke und ein Teil der Zivilgesellschaft aus politisch-sozialen Prinzipien heraus gegen diesen offiziellen Kurs protestierten, gerieten die damaligen Regierungen zugleich von rechts unter Druck. Der Front National hatte dabei leichtes Spiel, die Versprechen gegen die Praxis der Regierenden einzuklagen und deren Inkonsequenz anzuprangern.

Infolge des Regierungswechsels im Juni 1997 versuchten Protagonisten und Experten der neuen sozialdemokratischen Regierung, den Druck aus der innenpolitischen Polemik herauszunehmen und zu einem (aus ihrer Sicht) „Kompromiss der Vernünftigen“ mit Teilen des konservativen Lagers zu kommen. In einem damals viel zitierten Expertenbericht, den der Hochschullehrer Patrick Weil der Regierung unter Lionel Jospin am 31. Juli 1997 vorlegte, wurde im Kern eine utilitaristische, also mit Nützlichkeitskriterien operierende Politik propagiert.

Ungeschminkte Ansagen

Trotz eines erheblich restriktiveren Diskurses zum Thema Einwanderung hat auch der aus dem rechten Lager kommende Präsident Nikolas Sarkozy diese utilitaristische Linie im Kern beibehalten. Die hauptsächliche Veränderung unter seiner Präsidentschaft bestand darin, dass wirtschaftliche Beziehungen zu früheren Kolonien und zu Drittländern auf sehr ungeschminkte und explizite Weise damit verknüpft wurden, dass deren Staatsführungen bei der Migrationskontrolle mitspielten.

In diesen Zeitraum fällt die Aushandlung einer Reihe von „Rücknahmeabkommen“ für unerwünschte Migranten mit einer Reihe von Herkunftsländern. Diese Abkommen wurden im Zeitraum 2008/09 zum Kernbestandteil einer neuen Generation von bilateralen Vereinbarungen zur Migration, die jedoch formal umfassender ausgestaltet waren.

Bis dahin hatte Frankreich eine Reihe reiner Rücknahmeabkommen für unerwünschte oder straffällige ausländische Staatsangehörige geschlossen, vor allem mit europäischen Staaten wie den Benelux-Ländern (seit dem 16. Mai 1964), Kroatien (am 27. Januar 1995) oder Bulgarien (am 29. Mai 1996) oder auch der Schweiz und Liechtenstein (28. Oktober 1998). Hinzu kamen solche mit südamerikanischen Ländern wie etwa Argentinien (1. Februar 1995), Brasilien (28. Mai 1996), Venezuela (25. Januar 1999). Diese Abkommen betrafen jedoch bis dahin nicht Länder des afrikanischen Kontinents noch sonstige Haupt-Herkunftsstaaten von Migranten.

Ab Mitte der 2000er Jahren wurden einige neue Rücknahmeabkommen aufgelegt, die Länder mit stärkerer Migration in Richtung Frankreich betrafen (Abkommen mit dem damaligen Staatenverbund Serbien und Montenegro vom 25. April 2006, und mit dem Kosovo vom 02. Dezember 2009). Als afrikanisches Land kam die Insel Mauritius hinzu, mit einem Rücknahmeabkommen vom 15. November 2007.

Bilaterale Abkommen mit afrikanischen Staaten

Im selben Zeitraum wurden jedoch allgemeiner gefasste Migrationsabkommen einer neuen Generation ausgehandelt, die Regeln zur „konzertierten (abgestimmten) Verwaltung der Migrationsflüsse“ enthalten. Dabei geht es in der Regel darum, dass die Herkunftsländer sich – im Austausch gegen Visa für Studierende und einige qualifizierte Fachkräfte – dazu verpflichten, die Ausreise ihrer Staatsbürger besser zu kontrollieren, und vor allem von Frankreich abgewiesene Staatsangehörige aufnehmen. Letztere Verpflichtung gilt auch für Drittstaatenangehörige, die nachweislich über das betreffende Land nach Frankreich einreisten. Solche Abkommen wurden mit den afrikanischen Staaten Senegal (23. September 2006), Gabun (05. Juli 2007), der Republik Kongo (25. Oktober 2007), Benin (28. November 2007), Tunesien (28. April 2008), mit den Kapverdischen Inseln (24. November 2008) sowie mit Burkina Faso (vom 10. Januar 2009) und Kamerun (21. Mai 2009) geschlossen.

Die Nachfolgeregierungen haben diesen institutionellen Rahmen nicht infrage gestellt, sondern die bestehenden bilateralen Vereinbarungen beibehalten. Die derzeit (Ende 2016) amtierende sozialdemokratische Regierung versucht, möglichst wenig Aufmerksamkeit auf das Thema „Immigration“ zu lenken, um innenpolitischer Kontroversen und Konflikte zu vermeiden. Stattdessen soll eine Art technokratischer Konsens zwischen Mitte-Links- und Mitte-Rechts-Parteien gewahrt bleiben.

Am 07. März 2016 trat die bislang letzte Reform des Ausländerrechts in Kraft, die bei den Vereinigungen der Zivilgesellschaft und antirassistischen NGOs Kritik hervorrief, jedoch kaum zum Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzung wurde. Die Reform führt Aufenthaltstitel mit mehrjähriger Gültigkeit – zwischen den bisherigen (befristeten) „Ein-Jahres-Karten“ und den (faktisch unbefristeten) „Zehn-Jahres-Karten“ –für bestimmte Kategorien qualifizierter Personenkreise ein. Dies trifft etwa für Forscher und Wissenschaftler oder für Künstler und Kulturschaffende zu. Gleichzeitig schafft der Text die Möglichkeit, nunmehr einen Aufenthaltstitel auch während seiner Gültigkeitsdauer einzuziehen und für ungültig zu erklären, wenn die Voraussetzungen für seine Erteilung aus behördlicher Sicht nicht mehr gegeben sind. Bislang wurde dies erst bei der Verlängerung des Titels zum Problem.

Steigende Anerkennungsquote

Das französische Asylsystem ist in den vergangenen Jahren durch seine schlechte Funktionsweise aufgefallen, insbesondere durch massive Probleme bei der Unterbringung von Menschen im Asylverfahren. Dabei liegt die Zahl der Asylsuchenden deutlich unterhalb derer, die in Deutschland einen Flüchtlingsstatus beantragten. Im Jahr 2014 wurden insgesamt 68.811 Asylanträge in Frankreich gestellt. Die Anerkennungsquote betrug durch beide Instanzen (Französisches Amt für den Schutz von Flüchtlingen und Staatenlosen, OFPRA und Nationaler Gerichtshof für Asyl, CNDA) hindurch bei 28 Prozent; im Jahr 2014 lag sie noch bei 24,5 Prozent.

Im Jahr 2015 wurden insgesamt 80.075 Asylanträge in Frankreich gestellt. Die Anerkennungsquote stieg nun auf 33,7 Prozent. Dieser Zuwachs ist jedoch quasi ausschließlich auf den wachsenden Anteil von syrischen Asylsuchenden zurückzuführen, denen beinahe automatisch der Flüchtlingsstatus zuerkannt wird. Führende französische Regierungspolitiker, allen voran und lautstark der damalige rechtssozialdemokratische Premierminister Manuel Valls (Interview in der Süddeutschen Zeitung vom 25. November 2015), kritisierten Angela Merkel dafür, dass sie im Sommer 2015 die Grenzen für Geflüchtete zu stark geöffnet habe.

Auf EU-Ebene spielte Frankreich 2015/16 eine Vorreiterrolle bei den Plänen zur „Umverteilung“ von Migranten, die in Griechenland und Italien auf EU-Territorium eingereist waren, über die 28 Mitgliedsländer der Union. Dabei war zunächst von 120.000 umzuverteilenden Geflüchteten innerhalb von zwei Jahren die Rede, dann von 66.000 bis zum Jahresende 2017. Aufgrund der strikten Opposition mehrerer mittelosteuropäischer Staaten – die Slowakei klagte gegen das Vorhaben, und die polnische Regierung startete eine Kampagne dagegen – blieb das Vorhaben weitgehend blockiert. Im August 2016 waren erst 2.845 Migranten aus Griechenland in anderen EU-Staaten aufgenommen worden. In der Folgezeit hielt die französische Regierung sich mit politischen Vorstößen auf EU-Ebenen zurück, innenpolitisch kam das Thema so gut wie nicht mehr vor.

Im Herbst 2016 bildete die Räumung des als „Dschungel“ bezeichneten, informell entstandenen Migrantencamps in der Nähe von Calais zeitweilig ein innenpolitisches Zentralthema. Seit den bilateralen „Vereinbarungen von Touquet“ (2003) garantiert Frankreich dem Vereinigten Königreich, Migranten auf der Südseite des Ärmelkanals zu blockieren und an der illegalen Überfahrt auf die britischen Inseln zu hindern. Doch das auf rund 10.000 Personen angewachsene Camp bildete zunehmend einen innenpolitischen Zankapfel und wurde in vielen Diskursen als „Schandfleck“ dargestellt. Es wurde zwischen dem 24. und dem 26. Oktober 2016 geräumt und zerstört. Ein Teil der bisherigen Bewohner entzog sich dabei den Behörden.

Rund 5.500 Erwachsene und 1.900 unbegleitete Minderjährige wurden mit Bussen in insgesamt 450 vorübergehende Aufnahmeeinrichtungen in anderen Landesteilen Frankreichs gebracht. Die Unterbringung dort wird ihnen jedoch nur für die Dauer von drei Monaten garantiert. Ferner wurden, entgegen ursprünglichen Versprechungen, die Abschiebungen in andere EU-Länder (besonders Italien) nach dem Dublin III-Abkommen alsbald wieder aufgenommen.

Es geht dabei im Kern lediglich um eine Unsichtbarmachung des so genannten Problems. Anfang 2017 werden viele der Betroffenen, sofern sie nicht ins französische Asylverfahren aufgenommen wurden, erneut mit Nichts dastehen – und in vielen Fällen wohl wieder unterwegs sein.

Unterdessen wird das Hafengebiet von Calais weiträumig zur Sperrzone für Migranten, die es als Durchgangsstation benutzen könnten. Mit Wirkung ab dem 1. Dezember 2016 wurde das Gesetz über den (mindestens bis 15.07.2017 geltenden) Ausnahmezustand benutzt, um die Zufahrtsstraße RN216 für Fußgänger zum „besonderen Gefahrengebiet“ zu erklären. Widerrechtliches Betreten – das Verbot betrifft de facto Migranten – kann demnach bis zu sechsmonatigen Haftstrafen geahndet werden.

Neben den bereits bestehenden Sperranlagen und Zäunen rund um das Hafengebiet von Calais wurde zusätzlich am 20. September 2016 mit dem Bau einer vier Meter hohen und einen Kilometer langen Mauer begonnen. Diese wird mit Überwachungskameras und Scheinwerfern ausgestattet sein. Sie soll das Betreten der Zufahrtsstraßen zum Hafengelände verhindern, weil die Migranten sich ebendort an Bord von LKWs oder Fähren zu schmuggeln versuchen. Die Kosten in Höhe von 2,7 Millionen Euro wurden durch die britische Regierung übernommen. Am 12. Dezember 2016 wurde vermeldet, die der Mauerbau sei abgeschlossen.

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