Flüchtlingspolitik: Wenn Verwaltung ans Sparen denkt

Das für Flüchtlinge zuständige Amt ist überfordert – auch mit der Ausgabe von Krankenscheinen. Vereinfachungen scheut man: Angeblich sind die Kosten zu hoch.

Amtliches Chaos: Flüchtlinge warten oft stundenlang in Regen und Kälte beim LaGeSo in Moabit - oft vergeblich Bild: Susane Memarnia

Still und ergeben stehen die Menschen in der Kälte. Männer und Frauen, Kinder und Babys: Hunderte Asylbewerber warten beim Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in der Moabiter Turmstraße. Einer von ihnen ist Sakai Fare*: Seit zwei Wochen versucht der afghanische Flüchtling, einen Krankenschein für seine epilepsiekranke Tochter zu besorgen. Dreimal sei er hier gewesen, erzählt er, habe den ganzen Tag gewartet: „Irgendwann kam jemand und sagte, wer keinen Termin hat, muss wieder gehen.“ Heute schafft er es nach fünf Stunden Schlangestehen in den Container. Hier heißt es weiter warten.

Dass das Lageso und der zuständige Sozialsenator Mario Czaja (CDU) überfordert sind mit dem steigenden Zustrom von Flüchtlingen ist offenkundig. Bei der Unterbringung hangelt man sich von einem Provisorium zum nächsten. Und in der Zentrale in der Turmstraße müssen Asylbewerber mitunter wochenlang auf lebenswichtige Leistungen wie Bargeld, Krankenscheine, Kleidung warten – obwohl sie darauf einen Rechtsanspruch haben. Zeitweise, berichten übereinstimmend der Flüchtlingsrat und die grüne Abgeordnete Canan Bayram, bekommen Flüchtlinge beim Lageso nicht einmal eine Notunterkunft und können auch keinen Asylantrag stellen.

In dieser Krisensituation wirft der Flüchtlingsrat eine alte Forderung in den Ring: die Krankenversicherungskarte für alle Asylbewerber. „Das würde die Lageso-Mitarbeiter wirksam entlasten“, erklärt Georg Classen. Die Flüchtlinge müssten nicht mehr alle drei Monate in die Turmstraße, um einen Krankenschein zu holen – und auch nicht mehr zum Amtsarzt, um sich Leistungen, die nicht vom Krankenschein gedeckt sind, etwa stationäre Behandlungen oder eine Physiotherapie, genehmigen zu lassen. In Bremen geht das seit 2006, Hamburg folgte 2012.

Die Opposition findet das gut, die Piraten wollen bald einen Antrag dazu ins Parlament einbringen, sagt der Abgeordnete Fabio Reinhardt. Der Bezirksbürgermeister von Mitte, Christian Hanke (SPD), sagte Anfang voriger Woche: Angesichts von rund 15.000 Flüchtlingen, die dieses Jahr nach Berlin kommen sollen, sei durch Chipkarten „mit erheblichen Einsparungen für die öffentliche Hand zu rechnen“.

Sogar Sozialsenator Czaja erklärte kürzlich im Abgeordnetenhaus, Chipkarten für Flüchtlinge seien denkbar – aber nur, wenn die bisherigen Verwaltungskosten von 5 Prozent nicht überschritten würden. Unter dieser Bedingung, ergänzt die Sprecherin des Lageso, sei man für eine bundeseinheitliche Regelung offen.

Dieses Argument ist für den Flüchtlingsrat nicht überzeugend. Zwar seien die Verwaltungskostenpauschale der AOK in Hamburg und Bremen geringfügig höher, gibt Classen zu, „aber durch den eingesparten Personalaufwand beim Sozialamt rechnet sich das“. In Hamburg habe man sogar das Dreifache eingespart. Auch gebe es keinen Grund, auf eine bundeseinheitliche Regelung zu warten: „Berlin könnte als Stadtstaat sofort das Hamburger Modell übernehmen.“

Aber will man das überhaupt? Sakai Fare, der wegen seiner kranken Tochter alle drei Monate zum Amt muss, glaubt: „Die haben keinen Plan. Die wollen auch keinen, weil sie uns abschrecken wollen.“ Immerhin: Diesmal hat er Glück. Nach sechs Stunden Warten bekommt er den Krankenschein.

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