Flüchtlingsrats-Chef über Flüchtlingshilfe: „Freie Träger weitgehend außen vor“

Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen kritisiert die Verteilung staatlicher Fördergelder im Bereich der Flüchtlingshilfe.

Zwei Frauen sitzen vor einem vollen Kleiderregal und legen Kleidung zusammen.

Sind oft enttäuscht, dass Behörden ihre Arbeit nicht würdigen: Flüchtlingshelfer*innen Foto: dpa

taz: Herr Weber, wer hat vom Anstieg der Flüchtlingszahlen profitiert?

Kai Weber: Im Jahr 2016 hat die halbe Welt ihr Herz für Flüchtlinge entdeckt. Da gab es eine Fülle von halbgaren Angeboten. Die Kommunen waren in der Zeit in vielerlei Hinsicht Opfer struktureller Engpässe und deshalb teilweise gezwungen, auf diese halbgaren Angebote einzugehen.

Ihre Kollegen vom Flüchtlingsrat Bremen habe die absurdesten Angebote in einer Ausstellung zusammengestellt, von Pferdeboxen-Herstellern, die Flüchtlingsunterbringung feilboten, bis zum Stuhl für Massenunterkünfte mit der Produktbezeichnung „Angela M.“…

Es gibt einige Krisengewinner, die ihr Geschäft mit staatlichen Instanzen gemacht haben. Das bezieht sich für mich aber auch auf einen Teil der freien Wohlfahrtspflege und der sozialen Arbeit.

Inwiefern?

Manche Wohlfahrtsverbände sind schnell auf den Zug der Flüchtlingshilfe aufgesprungen und haben den Markt aber genauso schnell wieder verlassen, als die Gelder versiegt sind.

Kai Weber, 1961 geboren, ist Geschäftsführer des Niedersächsischen Flüchtlingsrats, der sich als kritische Interessenvertretung von Flüchtlingen versteht. Im Mai 2016 zog der Flüchtlingsrat von Hildesheim nach Hannover um, weil der Platz in der bisherigen Geschäftsstelle nicht mehr ausreichte.

An wen denken Sie?

Ich will niemanden bloßstellen aber kann als positives Gegenbeispiel die Caritas nennen, die seit Jahren auch mit Eigenmitteln eine Flüchtlingsberatung in Niedersachsen gewährleistet.

Eine aktuelle Studie des Berliner Instituts für empirische Inte­grations- und Migrationsforschung besagt, dass viele Fördergelder in der Flüchtlingshilfe an die großen Player gingen, aber nicht bei den kleinen Initiativen.

In der Tat hat auch Niedersachsen die Förderung den kommunalen Spitzenverbänden und den großen Wohlfahrtsorganisationen überlassen. Freie Träger sind weitgehend außen vor geblieben. Das gilt auch für das Bündnis „Niedersachsen packt an“, in dem Gewerkschaften, Arbeitgeber-Verbände und kommunale Spitzenverbände den Ton angeben. Wir beklagen, dass es keine Einbeziehung der freien Szene gibt.

Angeblich scheitern kleine Initiativen oft an der Bürokratie. Teilen Sie die Einschätzung?

Eigentlich ist der bürokratische Aufwand nicht sonderlich groß. Die kommunalen Spitzenverbände und die Wohlfahrtsverbände haben jeweils eine Million Euro vom Land für unbürokratische Hilfen bekommen. Das Problem ist, dass kleine Initiativen oft nicht wissen, dass sie dort auch unkompliziert Gelder abrufen könnten. Die Verbände informieren vor allem die ihnen angeschlossenen Strukturen. Es fehlt an Transparenz und öffentlich zugänglichen Informationen. Aber wir müssen auch sehen, dass nicht alle Initiativen darauf aus sind, Fördergelder zu bekommen.

Sondern?

Das Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung hat im Auftrag der Bertelsmann Stiftung eine Studie über „Fördermittel in der Flüchtlingshilfe“ durchgeführt – unter anderem in Niedersachsen.

Öffentliche Mittel kommen demnach vor allem bei den etablierten Trägern an. Kleine Willkommensinitiativen finanzieren sich zu 57 Prozent durch private Spenden.

Die Förderkriterien werden teilweise nicht erfüllt, etwa weil die Gruppen nicht als Vereine eingetragen sind.

Knapp 38 Prozent gaben an, unabhängig bleiben zu wollen. 70 Prozent war der Aufwand zu groß, 48 Prozent fehlten Informationen.

Viele Initiativen beklagen eher das Ausbleiben einer politischen Unterstützung ihrer Arbeit. Sie sehen, dass die Schutzquoten sinken, der Familiennachzug ausgehebelt wird, und die 2015 noch allerorten zu spürende Solidarität mit Geflüchteten und Verfolgten zunehmend einer restriktiven, auf Abwehr und Ausgrenzung orientierten Politik weicht.

Die Studie ergab, dass manche Initiativen das staatliche Geld gar nicht wollen – weil sie um ihre Unabhängigkeit fürchten. Eine berechtigte Angst?

Ja und nein. Grundsätzlich glaube ich nicht, dass die Versuche einer Vereinnahmung über den Zuschuss beim Deutschkurs stattfinden und es eine solche staatliche Strategie der Vereinnahmung gibt. Aber wenn nach einjähriger intensiver Sprachförderung und Unterstützung ein Flüchtling nachts ohne Vorankündigung abgeschoben wird, verbittert das die Unterstützer*innen, die sich von den Behörden in ihrer Arbeit hintergangen fühlen.

Spätestens im Bereich der sogenannten „Rückkehrberatung“ ist eine staatliche Förderung aber doch sehr wohl an inhaltliche Vorgaben geknüpft.

Rückkehrberatung ist ein schillernder Begriff und oft ein Euphemismus dafür, dass Betroffene unter Druck gesetzt werden, das Land zu verlassen. Dabei unterscheiden sich aber zivilgesellschaftliche Initiativen und seriöse Beratungsstellen, die das Interesse der Betroffenen im Blick haben, von Ansätzen, die im staatlichen Auftrag Abschiebekosten sparen sollen.

Manchen Initiativen haben staatliche Förderung abgelehnt, weil sie nicht „offiziell“ zum Lückenfüller für staatliche Aufgaben werden wollten.

Tatsache ist, dass 2015 viele Initiativen spontan Hilfe geleistet und Lücken gefüllt haben, weil staatliche Strukturen zunächst nicht in der Lage waren, eine unmittelbare Versorgung von Flüchtlingen mit Essen, Trinken oder Decken zu gewährleisten. Anders als etwa Berlin hat Niedersachsen sich dann aber nicht auf ehrenamtliches Engagement verlassen, sondern schnell die staatliche Hilfe organisiert.

Viele kleine Initiativen decken ihre Kosten größtenteils durch Spenden. Wird das zum Problem, wenn die Spendenbereitschaft abnimmt?

Ja. Ich denke aber, dass manche Initiativen erhalten bleiben, etwa der Unterstützerkreis, der sich in Hannover um die Flüchtlingsunterkünfte entwickelt hat, weil er Strukturen aufbaut und sich menschenrechtlich reorganisiert. Auch der Flüchtlingsrat ist ja in den 1980er Jahren aus Menschenrechts-, Unterstützergruppen und kommunalen Netzwerken entstanden.

Auch der Flüchtlingsrat ist gewachsen?

Seit 2015 gibt es neue Aktivist*innen, neue Spenden, neue Mitglieder. Derzeit haben wir 18 Mitarbeiter*innen, davon arbeiten viele in Teilzeit und befristet. Wir werden stark durch ehrenamtliche Kräfte unterstützt. Auch wir merken schmerzhaft, dass das Spendenaufkommen seit dem letzten Jahr deutlich zurückgegangen ist.

Wird es ernst?

Ja. Wir haben im Laufe der Jahre Techniken entwickelt, uns aus unterschiedlichen Quellen zu finanzieren, nicht nur nur über Spenden. Wir erhalten Fördermittel der EU, Zuschüsse von Stiftungen, vom Land und von Pro Asyl. Im Zweifel wird die Existenz des Flüchtlingsrats aber nicht von den Zuschüssen abhängig sein, sondern von der ideellen und materiellen Unterstützung von Menschen, denen Solidarität mit Geflüchteten ein Herzensanliegen ist.

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