Flughafen-Untersuchungsausschuss: Die unendliche Geschichte

Vor einem Jahr tagte der Ausschuss zum ersten Mal. Die Dimensionen seines Auftrags sind riesig, die vielen Fragen längst nicht beantwortet.

Immerhin die Piktogramme heben im BER schon ab Bild: dpa

Ein Mikro, ein Glas und ganze sechs Flaschen Wasser stehen vor dem Zeugen Werner Ruhnke. Dabei wird seine Vernehmung keine drei Stunden dauern und damit eine der kürzeren des Gremiums sein. Doch Ruhnke – bis 2008 16 Jahre lang als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft, zehn davon als stellvertretender Vorsitzender – braucht zu Beginn dieser Sitzung des BER-Untersuchungsausschusses Anfang September erst einmal nur das Mikro. Diese ganzen Probleme mit dem Flughafen, die kenne er nur aus der Presse, sagt Ruhnke zu den Abgeordneten, die an den Tischen um ihn sitzen. „Das sagt etwas aus über meine begrenzten Möglichkeiten, Ihnen bei Ihrer Aufklärung zu helfen.“

Was Ruhnke meint: Er weiß nicht so recht, warum er hier ist. Die abgesagten Eröffnungen des Flughafens, die Brandschutzprobleme, die explodierenden Kosten – das alles ist doch erst in den letzten Jahren passiert. Was sollte er also dazu sagen können?

So haben sie oft begonnen, diese Freitage im weitläufigen Raum 113 des Abgeordnetenhauses. 15-mal ist der neunköpfige Ausschuss hier bisher zusammengekommen, am heutigen Freitag trifft er sich wieder. Ob Berlins ehemaliger Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU), der den Aufsichtsrat leitete, oder Hans-Olaf Henkel, der Selbiges als Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie getan hat, vor den Ausschuss trat: Zwar erzählten sie davon, dass die Bürger zu wenig einbezogen wurden (Diepgen) und der Aufsichtsrat schon in den 90ern „eine Schlangengrube, ein Hühnerhaufen“ war (Henkel). Doch zugleich brachten sie ihre Verwunderung zum Ausdruck, dass dieser Ausschuss sich für ihre lang zurückliegenden Geschichten interessiert.

Der BER-Untersuchungsausschuss tagte erstmals am 19. Oktober 2012. Der Vorsitzende des Gremiums, der Pirat Martin Delius, schlug damals vor, die neun Mitglieder sollten von Sitzung zu Sitzung die Sitzplätze tauschen, um eine Blockbildung nach Fraktionen zu verhindern. Die drei Abgeordnetenhausmitglieder der SPD, zwei der CDU, zwei der Grünen und eines der Linken lehnten das ab.

Tatsächlich arbeiten im Ausschuss nur die Regierungsfraktionen SPD und CDU eng und harmonisch zusammen - vor allem, wenn es darum geht, den Regierenden Bürgermeister und Flughafen-Aufsichtsrat Klaus Wowereit (SPD) schadlos zu halten.

Ziel des Ausschusses: "Aufklärung der Ursachen, Konsequenzen und Verantwortung für die Kosten- und Terminüberschreitungen des im Bau befindlichen Flughafens." In 16 Befragungen wurden bislang 15 Zeugen gehört. Am heutigen Freitag sagt Bundesstaatssekretär und Aufsichtsrat Rainer Bomba vor dem Gremium aus. (sepu)

Er tut es. So sieht es der von der Opposition ausgearbeitete und von allen Fraktionen verabschiedete Fragenkatalog vor – auch wenn die rot-schwarze Koalition schon im September 2012, ganz zu Anfang, über dessen Umfang murrte. Auf zehn Seiten werden fünf Untersuchungskomplexe aufgelistet, von der Standortentscheidung über die Aufsichtsratsarbeit bis zur Kostenentwicklung. Die Zahl der Fragezeichen in diesem Dokument: 224.

Ist das zu viel des Guten? Ja, meint SPD-Ausschussmitglied Ole Kreins. Erst bei 20 Prozent der Aufarbeitung stehe der Ausschuss nach etwas mehr als einem Jahr, schätzt er, Fragen nach der Standortentscheidung und dem Planfeststellungsbeschluss hätten „Monate erkenntnisfreien Stocherns in der Ursuppe des Flughafenprojektes“ bedeutet.

Auch Werner Ruhnke muss zurückgehen in diese Ursuppe, in das jahrzehntealte Innenleben der Flughafengesellschaft. Denn Ruhnke hat mit seinen ArbeitnehmerkollegInnen einst erbittert gegen die Berufung von Rainer Schwarz als Geschäftsführer gekämpft, 2006 war das. Nachdem dieser Kampf gegen die Mehrheit der Anteilseigner Berlin, Brandenburg und Bund verloren war, sah er seine Bedenken bestätigt: Mangelhafte soziale Kompetenz, schwieriger Umgang mit Kollegen, Beratungsresistenz – dieses Bild von Schwarz zeichnet Ruhnke nun.

Das eröffnet Interpretationsmöglichkeiten für die Beantwortung der Gretchenfrage unter den 224 Fragezeichen: Wer trägt die letztliche Verantwortung für das Desaster mit dem BER – Geschäftsführung oder Aufsichtsrat?

Zunächst passen Ruhnkes Worte gut zum Bild, das auch CDU-Ausschussmitglied Stefan Evers malt: „Die Ursachen der Probleme und die Versäumnisse in Zusammenhang mit den Terminverschiebungen sind ganz offenkundig im Bereich der operativen Geschäftsführung zu vermuten.“

Der Aufsichtsrat habe sich nach den bisherigen Erkenntnissen ausreichend kritisch mit der Arbeit der Geschäftsführung beschäftigt, meint Evers. Das zeige nicht zuletzt die Aussage des Hoteliers Michael Zehden, der für Berlin im Aufsichtsrat sitzt und dabei war, als dort im Dezember 2011 erstmals zur Sprache kam, was wenige Monate später die Eröffnung platzen ließ: die Brandschutzproblematik. „Zehden hat ausdrücklich den Vorwurf erhoben, die Geschäftsführung habe den Aufsichtsrat bewusst im Unklaren über die Risiken hinsichtlich des Eröffnungstermins gelassen“, sagt Evers.

Wowereit, Matthias Platzeck, Peter Ramsauer und Co. – Opfer des nach unten beratungsresistenten und nach oben lügenden Flughafenchefs Schwarz? Das ist die Erzählung, mit der alle drei Flughafen-Oberaufseher bisher erfolgreich durchgekommen sind – erfolgreich zumindest insofern, als sie ihre Regierungsämter nicht des Flughafens wegen aufgeben mussten. Wowereit überstand ein Misstrauensvotum und zwei Sitzungen des Untersuchungsausschusses, bei einer weiteren beschwor sein in der Senatskanzlei zuständiger Verwaltungsbeamter gar die Version der Geschichte, der Regierende sei im Aufsichtsrat stets Vorkämpfer eines besonders engen Kontrollverständnisses gewesen.

Nötig wäre ein solches Verständnis allemal gewesen – bei einem Mammutprojekt wie dem BER und einem dafür hauptverantwortlichen Geschäftsführer, wie ihn Ruhnke beschreibt. Doch wie um alles in der Welt sollten sich Wowereit und die anderen dann derart getäuscht haben lassen? So, dass ihnen erst einen knappen Monat vor der geplanten Eröffnung im Juni 2012 klar gewesen sein soll, dass aus dieser nichts wird?

Zumal sich in den bisher etwa 1.500 Aktenordnern des Untersuchungsausschusses Gutachten von Beratern finden, die schon 2008 warnten, die Eröffnungs- und Kostenpläne für den BER seien illusorisch. Wieso durfte Schwarz gar bis Januar 2013 im Amt bleiben – während der Aufsichtsrat bereits im Mai 2012 alle wichtigen Techniker und Planer rauswarf?

Der Aufsichtsrat konnte seinen Kontrollpflichten gar nicht in der nötigen Qualität nachkommen, meint die Linke Jutta Matuschek, ebenfalls Mitglied im Ausschuss. „Es fehlte eine kompetente und stringente Vorbereitung der Mitglieder durch ein fachkundiges Team“, sagt sie. Dagegen ist für den Grünen Andreas Otto einer klar der Hauptschuldige: „Klaus Wowereit hat ganz klar die Pflichten eines Aufsichtsratsvorsitzenden verletzt: Bescheid zu wissen und einzugreifen.“ Der Regierende habe den Job im Aufsichtsrat als eine Art Schirmherrschaft betrachtet und weder einen Stab von Fachleuten in der Senatskanzlei gehabt noch die Expertise der Bauverwaltung genutzt. „Wenn oben niemand verantwortlich ist, dann ist am Ende der Lehrling einer Elektrofirma an allem schuld“, sagt Otto.

Elektrofirmen sollen sich dieser Tage wieder ans Werk machen und die Brandschutzanlage sanieren, ein entsprechender Vertrag mit Siemens ist unterschrieben – das ist eine der aktuellsten Entwicklungen in der unendlichen Geschichte BER.

Auf aktuelles Geschehen hat der Ausschuss keinerlei Einfluss. Ob sich das Wort vom Untersuchungsausschuss als schärfstes Schwert des Parlaments irgendwann einmal bewahrheitet, wird vor allem vom Schlussbericht abhängen. Derzeit jedoch schwebt eher die Gefahr über dem Gremium, sich in den Weiten jener Geschichte zu verlaufen.

Ausschussvorsitzender Martin Delius ist dennoch überzeugt, dass sich das Stochern in der Ursuppe lohnt. Ob er recht hat, wird sich erst am Ende zeigen – wenn die Fraktionen versuchen, ihre bisher sehr gegenteiligen Lesarten zu einem gemeinsamen Ergebnis zusammenzuführen. Gut möglich, dass es damit noch bis weit ins Jahr 2015 hinein dauert. Aber das lässt sich vom BER selbst ja ebenso behaupten.

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