Flughafen: "Wir sind keine Konkurrenten"

In 31 Tagen startet Schönefeld und Tegel schließt. Die Bürgermeister von Reinickendorf und Schönefeld, Frank Balzer und Udo Haase, über ökonomisches Brummen & Stille

Fairer Ausgleich: Tegel bekommt die Natur, Schönefeld die Motoren. Bild: Thomas K. / photocase.com

taz: Herr Balzer, Sie haben Ihr ganzes Leben in Reinickendorf verbracht. Gab es, als Tegel in Betrieb ging, ähnliche Proteste wie heute?

Frank Balzer: Ich war noch nicht geboren. Aber solche Proteste gab es definitiv nicht. Die Menschen waren sich einig, dass der Flughafen gebraucht wird. Deutschland befand sich in einer Aufbruchstimmung, auch in der Berliner Insellage wollte man überall schnell hinkommen. Und die Streitkultur war eine andere: Es war nicht die Zeit, in der man aktiv protestierte. Obwohl die Flugzeuge wesentlich lauter waren. Wenn ich als Kind auf dem Kurt-Schumacher-Platz stand und so eine Maschine donnerte drüber – da musste ich mir die Ohren zuhalten!

Was sind die größten Unterschiede zwischen damals und heute?

Udo Haase: Der erste Tegeler Flughafen wurde während der Berlin-Blockade innerhalb von sechs Monaten aus dem Boden gestampft. Das wäre heute undenkbar. Da braucht es ein Planfeststellungsverfahren, eine Umweltverträglichkeitsprüfung, es gibt unzählige Bauvorschriften … Damals wollten die Menschen den Flughafen, heute will jeder seine Ruhe. Wobei ich manchmal denke, man müsste einfach die Bevölkerung austauschen: Dass in Tegel viele für den Erhalt des Flughafens kämpfen, sehe ich sehr neidvoll, die hätte ich gern bei mir! (beide lachen)

Frank Balzer

47, ist gebürtiger Reinickendorfer und seit 27 Jahren Mitglied der CDU. Der Diplom-Verwaltungswirt ist seit 1998 als Stadtrat und seit 2009 als Bürgermeister für den Bezirk tätig.

Udo Haase

60, parteilos, arbeitete als Dolmetscher in der Mongolei. Vor über zehn Jahren zog er von Berlin nach Schönefeld. 1991 begann er als Bürgermeister in Waßmannsdorf, heute Teil von Schönefeld.

Balzer: Wir haben ja keine Strömung, die sich aktiv dafür eingesetzt hat, dass Tegel bleiben soll. Aber es schlagen schon zwei Herzen in meiner Brust: Ein Flughafen ist eben ein Standortfaktor.

Was verändert sich ab dem 3. Juni in Ihrem Bezirk?

Balzer: Die größte Veränderung ist klar: Der Lärm ist weg. Wir sehen schon, dass die Immobilienpreise steigen. Wo Grundstücke lange brachlagen, gibt es Anfragen für Neubauten, Hausbesitzer stellen Anträge für Dachausbauten oder Terrassen. Gleichzeitig fallen mit dem Flughafen rund 7.000 Arbeitsplätze weg.

Haase: Worüber Reinickendorf sich freut, das werden wir leidvoll erfahren, ganz klar. Dafür kommen bei uns 40.000 bis 70.000 Arbeitsplätze dazu.

Moment – der eine verliert 7.000 Arbeitsplätze, der andere gewinnt 70.000?

Haase: Bis zu 70.000. Man rechnet pro Million Passagiere 1.000 Arbeitsplätze, und wir gehen zunächst mit rund 25 Millionen Passagieren an den Start.

Balzer: Die 7.000 Arbeitsplätze sind Schätzungen.

Wie wirkt sich das finanziell auf Ihre Gemeinden aus?

Balzer: Bei uns gar nicht. Der Bezirk hat keine eigene Finanzhoheit, wir bekommen einen festen Etat vom Land zugewiesen. Der ändert sich nicht mit der Schließung von Tegel. Das dürfte in Schönefeld anders sein.

Haase: In der Theorie. Das Land passt schon auf, dass es seine Abgaben bekommt, und der Landkreis schlägt auch voll zu (beide lachen). Wir profitieren vom Flughafen nur indirekt und aus anderen Gründen: Wir haben die niedrigste Gewerbesteuer in Deutschland. Da ist die Entscheidung für viele Firmen recht einfach, wenn sie sich überlegen: Schönefeld oder Berlin?

Seit wann beschäftigen Sie sich mit dem Flughafenumzug, Herr Balzer?

Balzer: Die Planungen für die Nachnutzung von Tegel laufen seit zwei Jahren. Für uns war wichtig, dass Tegel keine Freifläche bleibt. Ideen für einen Solar- oder Windpark konnten wir zum Glück schnell versenken. Es stand bald fest, dass wir zumindest auf einem Teil der Fläche Industrie und Gewerbe ansiedeln.

Und Sie, Herr Haase?

Haase: Seit 1991.

Damals stand ja noch nicht fest, wohin der Flughafen kommt.

Haase: Wir haben als Gemeinde von Anfang an die Idee verfolgt, Schönefeld auszubauen, und über Jahre auf den Ausbau hingearbeitet. Wir haben Flughäfen besucht, München, Paris, Amsterdam, um von den Erfahrungen anderer Gemeinden zu lernen. Wir haben ein neues Rathaus gebaut, Schulen, Kindergärten, um uns auf den erwarteten Zuzug einzustellen. Es war klar: Wenn der Beschluss durch ist – das war dann 2006 –, ist dafür keine Zeit mehr.

Und wenn der neue Flughafen nicht gekommen wäre?

Haase: Dann wäre die Entwicklung ähnlich verlaufen, nur viel langsamer. Schönefeld wächst seit Jahren: Nach der Wende hatten wir 5.500 Einwohner, jetzt haben wir 14.000, in 15 Jahren wollen wir auf 30.000 kommen. Der Flughafen beschleunigt das natürlich enorm.

Ist der Flughafen für Sie so etwas wie eine Lebensaufgabe?

Haase: Das kann man so sagen. Wenn am 3. Juni das Band durchgeschnitten wird, ist das für mich ein ganz besonderer Erfolg. Da geht ein Lebensabschnitt in Erfüllung.

Wie steht die Schönefelder Bevölkerung zum Ausbau?

Haase: Schönefeld war immer für den Flughafen. Und ich als Person war immer für den Flughafen. Ich fliege selbst als Segelflieger, reise viel, habe lange in der Mongolei gelebt. Ich bin gewählt worden von Bürgern, die wussten, dass ich für den Ausbau war.

Und die Schönefelder haben nicht dagegen demonstriert?

Haase: Nur die Kiekebuscher, und zu Recht. Die wurden über den Tisch gezogen. Zuvor hieß es: Über Kiekebusch wird nicht geflogen. Wir als Kommune haben Leute genau dorthin umgesiedelt und ihnen gesagt, hier ist es ruhig. Und jetzt ist dort plötzlich eine Hauptabflugroute! Das ist ein Trauma für die Leute. Sie haben keinen Anspruch auf Entschädigung, und ihre neu gebauten Häuser sind weniger wert. Die Gemeinde hat Klage eingereicht gegen den Bund. So geht man mit Menschen nicht um.

Sie können die Kritik am Ablauf des Verfahrens nachvollziehen?

Haase: Zumindest an dieser Route. Der Rest war in Ordnung. Viele, die jetzt jammern, wussten, dass der Flughafen kommt.

Balzer: Aus Reinickendorfer Sicht ruft dieser Aspekt Schmunzeln hervor. Wenn man weiß, dass ein internationales Drehkreuz kommt– und es ist seit 1996 klar –, dann weiß man auch, dass das Auswirkungen haben wird. Man musste nur das Lineal hinlegen und konnte davon ausgehen: Diese Orte werden betroffen sein. Fünf, sechs Jahre war aber gar kein Protest zu hören.

Hätten sich die Menschen früher informieren müssen?

Balzer: Ja, klar! Sicher wusste man nicht, wie genau die Routen abknicken. Aber welche Regionen betroffen sind, das schon.

Haase: Da muss ich widersprechen. Zeuthen oder Eichwalde haben auch das Lineal angelegt und sich genau informiert – und das Lineal war immer gerade. Vor einem Jahr hieß es plötzlich: Es wird um 15 Grad abgeknickt. Das heißt, es wird über ganz andere Grundstücke geflogen. Da ist der Protest berechtigt.

Herr Haase, wie sieht Schönefeld in 15 Jahren aus?

Haase: Rund um den Flughafen werden sich Firmen angesiedelt haben, es wird eine Vielzahl neuer Bauten geben, neue Straßen, Eisenbahnstrecken, vielleicht schon die Verlängerung der U 7.

Und Tegel, Herr Balzer?

Balzer: Es hat sich sicher völlig verändert. Die Terminals bleiben aus Denkmalschutzgründen erhalten, aber auf dem Areal wird sich sicher viel entwickelt haben. In Adlershof hat das zehn, fünfzehn Jahre gedauert. Ich hoffe, dass es bei uns schneller geht.

Haben Sie keine Angst, dass der Norden abgehängt wird?

Balzer: Das halte ich für eine totale Fehleinschätzung. Selbst nach Schönefeld braucht man von Tegel ja nur 30 bis 35 Minuten – was sollen da die Menschen in München sagen? Und Reinickendorf wird durch den Wegfall des Fluglärms deutlich attraktiver. Wir haben ein riesiges, stadtnahes Areal, das wir entwickeln können …

Haase: … in der spannendsten Stadt der Welt! Berlin ist weltweit ein Renner, alle wollen hierher. Ich war gerade in Südostasien, in Kambodscha, Vietnam. Überall hört man: Berlin, da müssen wir hin. Nein, wir stehen nicht in Konkurrenz zueinander.

Was ist die größte Herausforderung, vor der Sie stehen?

Balzer: Dass wir in Tegel vom Planungsstadium in die Umsetzung kommen – und möglichst bald die Erschließung beginnt. Das ist die Voraussetzung, dass sich in zwei, drei Jahren die ersten Firmen ansiedeln können. Aber der Bezirk ist nur für die kleinteilige Genehmigungspraxis zuständig, da sind wir flott. Jetzt muss das Land Geld für die Bewerbung und die Erschließung zur Verfügung stellen.

Haase: Bei uns ist der Schwerpunkt ein anderer: Wir müssen darauf achten, dass unsere Bürger zufrieden sind. Dadurch, dass der Lärmschutz konsequent und schnell umgesetzt wird. Da gab es bisher Probleme. Und wir müssen Härtefälle lösen – Einzelne wohnen immer noch so dicht am neuen Flughafen, dass klar ist, die müssen umgesiedelt werden. Die Ansiedlung von Unternehmen läuft bei uns ganz automatisch. Wir haben derzeit über hundert Bebauungspläne auf dem Tisch liegen, das ist mehr als bei manchem Landkreis.

Und wann fliegen Sie das erste Mal vom neuen Flughafen?

Balzer: Das weiß ich noch nicht.

Haase: Ich schon: Am 10. Juni. Nach Ulan-Bator.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.