Flugzeugabschuss in der Ukraine: „Terrorakt“ aus Russland

Für die Menschen in Kiew ist es eindeutig, wer an dem Flugzeugabschuss schuld ist: Russland. In der Ostukraine heißt es, Kiew sei schuld.

„Mörder Putin“: Blumen und eine Frau mit Schild vor der niederländischen Botschaft in Kiew. Bild: dpa

KIEW taz | Wer am Freitag zur niederländischen Botschaft am Kontraktovaplatz in Kiew wollte, musste über die Stufen einen engen Weg nehmen. Die Treppen waren völlig übersät von Blumen, Kinderspielzeug und Kerzen. Weinend, wortlos, oft mit einer Kerze in der Hand harrten den ganzen Tag über Dutzende vor der Botschaft aus. Plakate neben den Blumen machten deutlich, wem man die Schuld an dem Abschuss gibt. „Putin, verrecke und mit dir die ganze Volksrepublik Donezk!“ und „Putin = Terrorist“ lautete die eindeutige Botschaft.

Bereits kurz nach Bekanntwerden der Katastrophe hatten sich mehrere Hundert Bewohner Kiews am Donnerstagabend vor den Botschaften von Malaysia und den Niederlanden versammelt. Ein paar hundert Meter von der niederländischen Botschaft entfernt, am Andreassteig, traditionell ein Anziehungspunkt für Touristen, geht es weniger besinnlich zu. „Zehntausend Meter, über zehntausend Meter“ ist immer wieder von den Souvenirständen zu hören. Aufgeregt diskutiert man über die Ereignisse um den Flugzeugabschuss.

„Bei dieser Höhe muss man davon ausgehen, dass ein Staat die Verantwortung für den Abschuss trägt. Die Aufständischen sind dazu nicht in der Lage“, doziert ein älterer Herr. „Dieser Staat heißt Russland“, schallt es ihm entgegen. Immer wieder wird eine Meldung der russischen Nachrichtenagentur ITAR-TASS vom 29. Juni zitiert, worin diese von der Erbeutung von BUK-Abwehrraketen durch die Aufständischen berichtet hatte. Diese Raketen können ein Flugzeug in über zehntausend Meter Flughöhe treffen.

Mit dieser Meldung aus Russland, so ein Passant, werde der Regierungschef der selbst ernannten „Volksrepublik Donezk“, Alexander Borodaj, der Lüge überführt. Dieser hatte sofort nach Bekanntwerden der Katastrophe jegliche Mitschuld der Aufständischen an dem Abschuss bestritten. Schließlich hätten die Aufständischen ja gar nicht die entsprechenden Waffen, um ein Flugzeug in zehntausend Meter Höhe abschießen zu können.

Für die meisten Kiewer Bürger sind die Schuldigen eindeutig: Russland war an der Ausführung dieses „Terroraktes“ federführend beteiligt. „Die von der Volksrepublik Donezk haben ein Passagierflugzeug abgeschossen. Und der Terrorist Girkin hat sogar noch in den sozialen Netzwerken damit geprahlt und geschrieben, man hätte ja auch nicht gerade über unser Gebiet fliegen müssen. Dieser Girkin, der selbst ernannte Verteidigungsminister, träumt von einem russischen Imperium.

„Hartgesottene Gangster in Kiew“

„Die Ukraine wird natürlich allein weiterkämpfen. Aber ihr solltet allmählich begreifen, dass das Ganze nun auch euch betrifft“, meinte die Fotografin Olga Zakarevksa. „Das ist ja schrecklich mit dem Abschuss. Aber jetzt sind die Sanktionen verabschiedet worden, und dann bekommen die Russen mal wirklich eins auf die Mütze“, kommentiert die Touristikfachfrau Inga beim Aufschlagen der Zeitung die Nachricht.

Während die Bevölkerung in Kiew weitgehend Russland für den Abschuss verantwortlich macht, kommen aus ostukrainischen Städten auch andere Stimmen. „Glauben Sie der Kiewer Junta kein Wort“, schimpft die Verkäuferin Marina aus einem Donezker Vorort am Telefon. „Die Regierung lügt, sie hat dieses schreckliche Unglück selbst zu verantworten und will es nun uns in die Schuhe schieben.

Unsere Männer von der Volksrepublik waren die vergangenen Tage sehr erfolgreich, haben fünf Dörfer zurückerobert, den Flughafen von Donezk in die Zange genommen. Schade nur, dass wir einfach zu weich sind, um uns gegen die hartgesottenen Gangster in Kiew durchzusetzen. Anstatt zu kämpfen, kommen viele unserer Männer nicht von ihren Sofas. Nun ja, Kiew hat die Wehrpflicht wiedereingeführt, die Volksrepublik setzt da leider ganz auf Freiwilligkeit.“

Wjatscheslaw Asarow, Sprecher der in Odessa ansässigen „Antikriegsbewegung der Ukraine“, glaubt eher an die Schuld von Kiew. „Drei Monate nach Einsetzen der Maidan-Proteste waren hundert Maidan-Aktivisten erschossen worden. Bis heute ist nicht klar, wer die hundert Toten des Maidan auf dem Gewissen hat. Gewisse Anhaltspunkte deuten darauf hin, dass es die eigenen Leute waren, die mit einer schrecklichen Tragödie das Janukowitsch-Regime demoralisieren und den Weg zu einem bewaffneten Umsturz frei machen wollten.

Nun haben wir schon drei Monate die Antiterroroperationen, und auf einmal geschieht die unglaubliche Tragödie mit dem malaysischen Flugzeug. Ich glaube nicht an Zufälle, sehr viel mehr sehe ich hier eine erkennbare Handschrift. Mögen all die verflucht sein, die so um ihre Macht kämpfen.“

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