Flüchtlinge aus Somalia: Der Neubeginn im Staub

450.000 Somalier leben in Dadaab, dem größten Flüchtlingslager der Welt. Und täglich kommen 1.200 neue dazu. Sie bauen sich hier ein neues Leben auf.

Holz sammeln für das größte Flüchtlingslager der Welt: Dadaab. Bild: reuters

DADAAB taz | Der Vater von sieben Kindern ist erschöpft. Einen Monat lang marschierte er mit seiner Familie von seinem Dorf bei Dinsor im Süden von Somalia nach Dadaab im Nordosten von Kenia. Dort befindet sich das größte Flüchtlingslager der Welt, voller Hunger- und Kriegsflüchtlinge aus Somalia. "Ich gehe nie mehr zurück!" Abdirahman Abow spricht jedes Wort ruhig aber betont aus. "Es wird nie Frieden geben in meinem Land. Das gelang uns nicht in den letzten zwanzig Jahren. Warum soll das in Zukunft möglich sein?"

Jetzt sitzt Abow mit Frau und Kindern auf dem Sandboden im Schatten von einem beinahe blattlosen Baum. Sie warten auf ihre Registrierung als Flüchtlinge. Die beiden beschlossen, ihre Heimat zu verlassen, als nach drei Jahren Dürre auf ihren Äckern in dem sonst fruchtbaren Flusstal des Juba im Süden Somalias kein Mais und keine Bohnen mehr wuchsen.

Eine weitere Belastung stellten die radikal-islamistische Miliz al-Shabaab dar, die von Südsomalia aus gegen die somalische Übergangsregierung in der Hauptstadt Mogadischu kämpft. Abow gibt den Extremisten die Schuld an der Hungersnot: "Das Leben wurde wirklich unmöglich, als Shabaab-Kämpfer immer wieder Beiträge forderten, selbst als wir kein Essen und Geld hatten."

Die Flucht war riskant. Die Shabaab-Milizen versuchen mit Gewalt zu verhindern, dass die Bevölkerung weggeht. "Wir mussten unterwegs unseren Esel und unseren Karren verkaufen, weil wir nicht genügend Nahrung hatten. Selbst mit dem Geld dafür konnten wir nur einmal in zwei Tagen essen."

In Somalia besitzt jeder eine Waffe. Bezahlte Arbeit hingegen hat kaum jemand. Am ehesten kommen junge Männer zu einem kleinen Einkommen, wenn sie sich einer der zahlreichen Milizen anschließen. Das hat die Gesellschaft verändert, sagt Abow: "Als ich jung war, hörten wir auf die Clanältesten. Wir trauten ihrer Weisheit. Aber das System ist kaputt. Junge Männer mit Waffen fühlen sich stärker und mächtiger als die Ältesten."

Unterkunft aus Ästen und Plastik

Abow wird aufgerufen, um sich bei der Zuteilung zu melden. Dort bekommt er Matratzen, Decken, Kochtöpfe und Nahrung. Seine Unterkunft muss er sich erst mal selbst bauen - aus Ästen und Plastik. Später soll er ein Zelt bekommen. Und dann? Abow hat keine Idee, wie sein Leben im Lager weitergehen soll. Flüchtlinge dürfen nicht arbeiten.

450.000 somalische Flüchtlinge leben inzwischen in Dadaab. Es sind keineswegs alles Flüchtlinge vor der aktuellen Hungersnot, viele leben schon seit vielen Jahren hier. Sie schwören, nie wieder zurückzugehen in ihre Heimat. Auch Muno Ali will überall hin, außer zurück nach Somalia. Ihre zwei Kinder, Sadiyo und Hawo sind ermüdet auf ihrem Schoß eingeschlafen. Seit sie in Dadaab angekommen sind, weinen die beiden Mädchen. Zu viele neue Eindrücke und die Strapazen der langen Wanderung durch tiefen Sand haben sie überfordert.

Achtzehn Tage waren sie unterwegs. "Es war schwer mit einen Baby auf dem Rücken", erzählt die 25-Jährige. "Sadiyo ist erst zwei, aber sie musste den größten Teil laufen. Und das alles nur mit einer Mahlzeit pro Tag. Das Einzige, was mich auf den Beinen hielt, war der Wille, meinen Kindern eine bessere Zukunft zu bieten."

Muno Ali kam ohne ihren Mann. Er blieb daheim in Somalia, um für seinen kranken Vater zu sorgen, der die Flucht nicht mehr schaffte. Auch ihre eigenen Eltern sind zu alt für den Marsch. Die Frau hat keine Ahnung, ob sie jemals ihren Gatten wiedersehen wird. "Das Einzige, was mir jetzt wichtig ist, sind meine Kinder. Ich werde dafür sorgen, dass sie in die Schule gehen und nicht wie ich einen Bauern heiraten. Sie sollen Ärztin oder Lehrerin werden."

Auch für Abow ist am wichtigsten, dass seine Kinder in die Schule gehen. Überall im Lager Dadaab stehen Schulen. Nicht nur Grundschulen, sondern auch Oberschulen. "Mit Bildung können sie später überall auf der Welt Arbeit bekommen. So gesehen, ist für uns das Lager wirklich der Himmel auf Erden." Weitere Bildungsmöglichkeiten gibt es für die somalischen Flüchtlinge in Kenia allerdings nicht. Abdul Rashid, der sich nützlich macht im Lager mit Übersetzungen für Helfer und Journalisten, ist Flüchtling in der zweiten Generation: Der 18-Jährige wurde im Lager geboren. Er ist jetzt frustriert. "Keiner hat mir gesagt, dass ich nach dem Abitur nicht weiterlernen kann. Geld für ein Studium haben wir nicht, und die kenianischen Universitäten geben Flüchtlingen kein Stipendium."

Übersetzen bringt ein bisschen Geld

Er gibt zu, einer der wenigen zu sein, der jetzt froh ist über die Masse von Neuankömmlingen. Nicht nur hat er Arbeit, er kann mit Übersetzungen auch ein wenig Geld verdienen. "Vielleicht mache ich meine Arbeit so gut, dass ich einen Job bekomme bei einer ausländischen Organisation, die mir ein gutes Gehalt zahlt. Ich kann dann sparen und irgendwo studieren und Ökonom werden!", malt er sich seine Zukunft aus.

Das bessere Leben sehen die Flüchtlinge in Dadaab täglich. Jeden Tag rasen die Geländewagen der Hilfsorganisationen durch die Dörfer Dadaab, Dagahaley und Hagadera am Rande des Lagers, um Mitarbeiter zum Einsatz zu bringen. Die kenianischen Einwohner der einst schläfrigen Dörfer kämpfen ebenfalls gegen die Dürre und den Hunger, so wie die Bewohner des Lagers. Sie sind ebenfalls ethnische Somalis. Aber anders als die Flüchtlinge werden sie nicht vom Ausland versorgt. Sie beklagen, dass sie von den Hilfsorganisationen nur den Staub abbekommen, den deren Autos aufwirbeln.

Aden Rashid von der lokalen Entwicklungsorganisation RRDO (Reconstruction Rehabilitation Development Organisation) im Dorf Dadaab findet, dass Flüchtlinge es besser haben als die lokalen Einwohner. Ja, die Dorfbewohner hätten einen Brunnen bekommen und Material für das kleine Krankhaus und die örtliche Schule. Aber: "Wir leiden genauso unter der Dürre wie die Flüchtlinge. Von der Regierung haben wir wenig zu erwarten."

Der Nordosten von Kenia sieht ähnlich aus wie Somalia. Viel Sand und Staub, winzige Bäume, meistens ohne Blätter. Gras wächst nur, wenn es regnet, und das ist selten. Das Einzige, wofür diese Landschaft gut ist, ist die Viehzucht der umherziehenden Hirten. Aber die meisten Tiere der örtlichen Nomaden haben die Dürre nicht überlebt.

Die Nomaden haben sich mittellos in den Dörfern niedergelassen, wodurch diese stark gewachsen sind - parallel zu den Flüchtlingslagern nebenan. "Hirten hoffen, hier im Dorf Hilfe zu bekommen", sagt Aden Rashid. "Aber auch hier ist das Leben schwer.

Es mangelt schon an Brennholz, um Essen zu kochen. Händler müssen 70 Kilometer laufen, um es zu finden. Die halbe Million Flüchtlinge haben einen riesigen Bedarf an Brennholz. Ich fürchte, dass es irgendwann mal Schwierigkeiten geben wird zwischen der Bevölkerung und den Flüchtlingen."

Täglich kommen ausländische Delegationen

Eine Kolonne von Geländewagen, darunter ein Polizeiauto, fährt vorbei und verursacht eine riesige Staubwolke. Aden Rashid schaut auf seine Uhr. "Das ist bestimmt wieder eine Delegation, die sehen will, wie elend das Leben im Lager ist." Jeden Tag kommen ausländische Delegationen für ein paar Stunden, um sich die Lage in Dadaab anzuschauen. Piloten fliegen eine Extrarunde, so dass die Passagiere aus der Luft das immense Lager sehen können.

"Ich war doch in Kenia und dachte, es sei gut, es mir mal anzuschauen", erklärt eine Mitarbeiterin des US-Kongresses ihre Safari zu den Flüchtlingen. Sie hat viel gesehen, sagt sie beim Abflug mittags. Dann fällt ihr ein, dass sie leider vergaß, mit einem Flüchtling zu sprechen.

Die Helfer finden die ständigen Besucher anstrengend. "Es ist gut, dass Menschen es sich anschauen, aber es wird zu viel", sagt eine UN-Mitarbeiterin. "Wir sind die ganze Zeit damit beschäftigt, die Besucher zu begleiten." Mit prominenten Politikern und Berühmtheiten wie Schauspielern und Musikern hat sie da noch am wenigsten Probleme. "Die kommen mit Horden von Journalisten und sorgen in den Medien für Interesse, das Spenden bringen kann."

In der letzten Woche ist die Zahl der Neuankömmlinge gesunken. Es sind nur noch 1.200 am Tag, nicht mehr 1.500. Im Lager entwickelt sich eine Art von Normalität. Ein Mann mit Handkarre bietet sich den Neuen als Transporteur an, um ihre Sachen in ihr Zelt zu bringen. Ein anderer mit Handy lässt Menschen zu Hause anrufen.

Der somalische Unternehmergeist, der das Land seit dem Verschwinden des Staates vor zwanzig Jahren am Laufen hält, ist auch in Dadaab sichtbar. Gegenüber einem Registrierungszentrum sitzt Halimo Aden. Sie hat ein Teehaus improvisiert, mit Thermoskannen und weißen Brötchen. Ihre Kunden sind Mitarbeiter der Hilfswerke und Flüchtlinge mit etwas Geld.

Halimo Aden kam vor drei Monaten im Lager von Dadaab an und eröffnete ihren Laden vor zwei Wochen. "Vielleicht kann ich bald ein Restaurant aufmachen", hofft sie.

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