piwik no script img

Folgen auf Drohnenangriff über PolenAngst vor einer Eskalation nutzt niemandem

Anastasia Zejneli
Kommentar von Anastasia Zejneli

Europa darf sich keine Illusionen machen: Putins Feind ist die EU. Sie muss Russland stärker sanktionieren und sich von den USA unabhängig machen.

Uniformierte bewachen eine abgestürzte russische Drohen in Zentralpolen am 10. September Foto: Eastnews/imago

D ie gute Nachricht zuerst. Die Luftabwehr an der Nato-Ostflanke funktioniert. Binnen kürzester Zeit, nachdem in der Nacht zu Mittwoch russische Drohnen aus Belarus den polnischen Luftraum verletzt hatten, stiegen polnische und niederländische Kampfjets auf, Patriot-Flugabwehrbatterien wurden aktiviert. Und verhinderten Schlimmeres. Die Anzahl der abgeschossenen Drohnen macht klar: Der russische Präsident Wladimir Putin will provozieren. Denn aus Versehen ist in dieser Nacht nichts passiert. Das stellt die Nato-Partner und ihren Verbündeten, die Ukrai­ne, vor Probleme. Im schlimmsten Fall könnte Putin schneller sein eigenes Kriegsziel umsetzen: so viel wie möglich des ukrainischen Staatsgebiets einzunehmen.

Acht Monate nachdem der US-Vizepräsident J. D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz klarmachte, dass die USA die Ukraine und ihre europäischen Partner in Stich lassen werden, testet Putin erstmals, was es bedeutet, den Luftraum eines Nato-Mitglieds massiv zu verletzen. Auch der Zeitpunkt ist kein Zufall. Die russischen Drohnen stammten aus Polens Nachbarland Belarus, Schauplatz der am Freitag begonnenen russisch-belarussischen Militäroffensive „Zapad 2025“. Die 30.000 Soldaten starke Übung soll die Stärke des Aggressors präsentieren. Das letzte Manöver 2021 sorgte dafür, russische Truppen an die ukrainische Grenze zu versetzen. Dass Putin kurz vor dem Manöver russische Drohnen nach Polen schickt, soll Panik auslösen – und die europäischen Bündnispartner weiter auseinandertreiben.

Die „Koalition der Willigen“ ist mittlerweile nicht mehr als ein PR-Stunt. Ein Mitinitiator, der französische Präsident Emmanuel ­Macron, muss sich zwangsweise mit der Krise im eigenen Land beschäftigen. Erst am vergangenen Montag ist die Regierung von Premierminister François Bayrou in der Nationalversammlung bei einer Vertrauensabstimmung durchgefallen. Frankreich befindet sich nun, nur neun Monate nach der Ernennung ­Bayrous, erneut in einem Schwebezustand, während die Bevölkerung mit Protesten, Streiks und Blockaden Druck macht.

Die Bedrohung durch Russland ist längst nicht mehr nur militärisch, hybride Angriffe nehmen zu

Auch in Polen selbst trifft Putins Aggression auf innenpolitische Konflikte. Während Regierungschef Donald Tusk eine proeuropäische Linie fahren will, setzt der rechtspopulistische Präsident ­Karol ­Nawrocki vor allem auf US-Präsident Donald Trump. Kurz nach dem Drohnenabschuss telefonierte er mit dem US-Präsidenten, dieser hat jedoch bislang nur verhalten reagiert.

Trumps Zögern und die fehlende Entschlossenheit nach dem Vorfall lassen in Polen Zweifel an der Verlässlichkeit der US-Sicherheitsgarantien aufkommen. Angesichts der erheblichen politischen, finanziellen und militärischen Investi­tio­nen, die Polen in den vergangenen Jahren in den Ausbau der US-Präsenz auf polnischem Staatsgebiet getätigt hat, würde ein solches ­Signal Warschau in eine strategisch schwierige Lage bringen.

Das Logo der taz: Weißer Schriftzung t a z und weiße Tatze auf rotem Grund.
taz debatte

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.

Wie könnte es weitergehen? Die Sorge vor Artikel 5 des Nato-Vertrags, dem Bündnisfall, ist groß. Das zeigen allein die zwar zügigen, aber ­verhaltenen Reak­tio­nen auf die Drohnenabschüsse. Nato-Generalsekretär Mark Rutte vermied es, von einem gezielten russischen Angriff zu sprechen. Die Nato berief sich bisher nur einmal in ihrer Geschichte auf Artikel 5: nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 gegen die USA.

Zudem wird ein weiteres Pro­blem sichtbar: Die Bedrohung durch Russland ist längst nicht mehr nur militärisch, hybride Angriffe wie Desinformation und Cyberattacken nehmen zu. Unklar ist, was davon unter Artikel 5 fallen könnte. Die verbleibenden bestehenden europäischen Kapazitäten müssen entlang der langen Nato-Ostflanke zu Russland ausgebaut werden. Doch das ist eine Herausforderung für Europa. Es ist nicht so einfach, mehr Luftabwehrsysteme nach Polen zu verlegen, da Drohnensichtungen auch in Ländern wie Rumänien oder den baltischen Staaten häufig vorkommen. Außerdem befinden sich bereits viele Luftabwehrsysteme der Europäer und der USA in der Ukraine – das bedeutet Lücken in der eigenen Sicherheitsarchitektur. Ein Dilemma, denn die Ukraine finanziell und militärisch zu unterstützen, sollte weiterhin priorisiert werden.

Die Europäer müssen entschlossener bei Sanktionsbeschlüssen auftreten, dafür muss sich die EU im Zweifel vom Einstimmigkeitsprinzip lösen und ein wacheres Auge darauf haben, wo russisches Öl, Uran und Gas landen. Denn wenn am Ende die Angst vor der Eskalation siegt, wird der Krieg bestenfalls zugunsten Putins eingefroren. Wenn man den Rest Europas schützen will, wen kümmert dann noch die Ukraine?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Anastasia Zejneli
Redakteurin
Jahrgang 1999, studierte Wirtschaftspolitischen Journalismus in Dortmund, war Taz-Volontärin und arbeitet aktuell im Auslandsressort und bei Taz2. Schreibt in der Kolumne "Economy, bitch" über Popkultur und Wirtschaft.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Stimmt, Angst blockiert.



    Allerdings ist ein Blick auf die Realität angebracht.



    Was in den 80ern Geheimnisverrat war , ist heute in Aller Munde: wir sind "bedingt verteidigungsbereit".



    Zum Beginn des Ukrainekriegs hat Bundeskanzler Scholz die Zeitenwende ausgerufen. Mit dem Sondervermögen konnte die Bundeswehr in den folgenden Jahren aufgerüstet werden.



    Es zeigt sich aber auch, dass Militärmaterial, das Millionen pro Stück kostet, nicht über Nacht gebaut werden kann.



    Das gilt auch für Bestellungen im Ausland.



    Besonders kompliziert stellt sich gerade die Luftverteidigung dar: die zwei weiteren Patriot-Systeme , die an die Ukraine geliefert werden, sind der BRD von den USA noch nicht nachgeliefert worden.



    Ein zentraler Bestandteil der Flugabwehr sollte auch aus Israel kommen.



    Beide Lieferländer sind inzwischen politisch mit Vorsicht zu genießen.



    Was den "Aufwuchs" der Bundeswehr betrifft, so ist es gut, dass Pistorius den realistischen Weg des schwedischen Modells einschlägt. Stimmen aus der Union nach sofortiger Rückkehr zum Wehrdienst sind schlichtweg nicht praktikabel.



    "Es ist an der Zeit", auch links, über die Verteidigungsbereitschaft unserer Menschen für unser Land nachzudenken