Folgen der Meeres-Fischerei: Tod im Netz

Tausende Schweinswale und Seevögel verenden jedes Jahr in den Fischernetzen in Nord- und Ostsee. Die Bundesregierung will die Regeln nicht verschärfen. Greenpeace fordert alternative Fangmethoden

Besonders selten, aber immer lebt er noch: Ein weißer Schweinswal, gesichtet in der Ostsee. Foto: Thomas Schrix/Speedy-Go-Crew (dpa)

HAMBURG taz | Mehr als 3.000 tote Schweinswale sind seit 2004 an den deutschen Küsten von Nord- und Ostsee angeschwemmt worden. Schätzungsweise 60 Prozent davon, das ließen pathologische Untersuchungen vermuten, sind als Beifang in den Stellnetzen der Fischerei erstickt oder ertrunken. Exakte Zahlen gebe es allerdings nicht, antwortete die Bundesregierung am Donnerstag auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion.

Noch gruseliger ist demnach der Beifang von Seevögeln. Allein vor Mecklenburg-Vorpommern würden nach wissenschaftlichen Hochrechnungen jährlich „ca. 17.300 bis 19.800 Seevögel“ getötet, vor allem von mehreren Entenarten. Zahlen aus den anderen Küstenländern lägen nicht vor.

„Die Bundesregierung muss den Meeresschutz endlich ernst nehmen“, fordert deshalb die Bundestagsabgeordnete Valerie Wilms, eine der FragestellerInnen. Denn vor allem der Schweinswal ist vom Aussterben bedroht. In der östlichen Ostsee wird die Population der einzigen heimischen Kleinwale auf 450 Tiere geschätzt, zwischen Rügen und Dänemark leben einige tausend, in der Nordsee gilt der Bestand mit mehr als 200.000 Tieren noch als stabil.

In „ökologisch unbedenklichem Zustand“ sind nach Einschätzungen von Meeresexperten in Nord- und Ostsee lediglich die Populationen von Seehunden und einigen Möwenarten. Alle anderen, also Schweinswale und Kegelrobben, fast alle Seevögel und Fischarten sind demnach bedroht, etwa ein Drittel aller Arten ist gefährdet.

Etwa 45 Prozent der deutschen Meeresfläche sind als Natura-2000-Gebiete geschützt: die Nordsee zu 43 Prozent, die Ostsee zu 51 Prozent.

Darunter sind sechs Meeresgebiete, die nach den Regeln der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) geschützt werden sollen, um europarechtliche Schutzverpflichtungen umzusetzen.

Für diese Gebiete müssen konkrete Regeln festgelegt und Managementpläne entwickelt werden, wie der Schutz der Natur zu gewährleisten ist.

Die Gebiete sind in der Nordsee Doggerbank, Borkum Riffgrund und Sylter Außenriff/Östliche Deutsche Bucht; in der Ostsee Fehmarnbelt, Kadetrinne und Pommersche Bucht/Rönnebank.

Wilms fordert deshalb, zumindest in den Meeresschutzgebieten ein wirksames Fischereimanagement einzuführen, um die Fischbestände zu schonen und Beifänge zu vermeiden. Dazu könnten auch Fangverbote gehören, findet die Abgeordnete aus Pinneberg. Eben solche Verbote aber scheut die Bundesregierung offenbar: 72 Prozent der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) in der Nordsee, die deutlich über das staatliche Hoheitsgebiet hinausgeht, „unterliegen keinen naturschutzrechtlich begründeten Beschränkungen“, hat das Berliner Landwirtschaftsministerium Wilms auf deren Frage schriftlich mitgeteilt. Lediglich in 0,1 Prozent der AWZ und weniger als 0,3 Prozent der geschützten Flächen „darf keinerlei Fischerei stattfinden“, so die Auskunft. Zurzeit laufen Planungen, sechs besonders geschützte Meeresgebiete einzurichten.

Der Deutsche Fischerei-Verband in Hamburg hält das für eine unzulässige Einschränkung „bisher ausgeübter Rechte von Fischereibetrieben“, wie sein Generalsekretär Peter Breckling im März in einer Stellungnahme zu diesen Plänen an das Ministerium schrieb. Die neuesten Opferzahlen bei Seevögeln würden „systematisch überschätzt“, ergänzt Verbandssprecher Claus Ubl auf Anfrage der taz.

Nach einer Studie der dänischen Universität Aarhus sei der Bestand der Schweinswale in der westlichen Ostsee von 2005 bis 2012 um 45 Prozent auf rund 18.000 Exemplare angewachsen; die Zahl der belegbaren Beifänge in Netzen in der Ostsee liege lediglich bei fünf bis sieben Tieren pro Jahr. „Die Fischereiaktivitäten“, so Ubl, „sind als nicht bestandsgefährdend für Schweinswale und Seevögel einzustufen.“

Das sehen sämtliche deutschen Umweltverbände anders: „Mindestens 50 Prozent der gesamten deutschen Natura-2000-Gebiete in Nord- und Ostsee müssen frei von jeglicher menschlicher Nutzung sein, auch von Fischerei“, fordern BUND, Greenpeace, Nabu, WWF sowie fünf kleinere Meeresschutzvereine.

Thilo Maack, Meeresexperte bei Greenpeace, hat aber auch einen konstruktiven Vorschlag: Der Bund solle bereitstehende Millionenbeträge aus dem EU-Meeresfond abrufen, um Forschungen für bessere Netze und alternative Fischereimethoden zu finanzieren. Dann könnte „schon in fünf Jahren“, so Maack, selbst in einem Teil der Schutzgebiete „beifangschonende Fischerei erlaubt und industrielle Fischerei verboten“ werden. Und davon würden auch die kleinen Fischereibetriebe an den Küsten profitieren. Die derzeitigen Pläne dagegen, so Maack, „zementieren die weitere Zerstörung von Nord- und Ostsee“.

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