Folgen der ukrainischen Proteste: Die Gefahr lauert in der Provinz

Wachsender Unmut in den ländlichen Regionen der Ukraine könnte Janukowitsch zum Verhängnis werden. Doch der Präsident scheint das noch nicht zu begreifen.

Schreien gegen Janukowitsch. Bild: ap

KIEW taz | Der Machtkampf in Kiew tobt weiter. Bisher gibt es es keinen Ausweg aus der Krise. Jedoch sind die Proteste, die sich auf immer mehr Städte in der Ukraine ausweiten, derzeit weitaus gefährlicher als die Demonstrationen auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan) in Kiew. Noch vor wenigen Tagen hatte Präsident Wiktor Janukowitsch noch die Wahl, auf die Forderungen der Opposition einzugehen und abzutreten oder den Maidan gewaltsam stürmen zu lassen und eine Diktatur zu errichten.

Jetzt hätte eine Erstürmung des Maidan keinen Effekt mehr, da es zu Unruhen auch in anderen Städten der Ukraine kommt. Da fast alle Sicherheitskräfte aus den Regionen in die Hauptstadt abkommandiert worden sind, gibt es dort kaum noch jemanden, der die Unterstützung für Janukowitsch organisieren und durchsetzen könnte. Offensichtlich versteht der Präsident das noch nicht. Alle seine Vorschläge betreffen vor allem die Situation in Kiew sowie das Schicksal der Oppositionsführer.

Was auf dem Maidan passiert, ist nicht eindeutig. Die Oppositionsführer verlieren von Tag zu Tag an Zuspruch, weil klar wird, dass es um einen Deal geht: Janukowitsch versucht sie zu kaufen. Er will über sie auf die Massen einwirken, damit die Demonstranten den Maidan verlassen. Das gelingt den Oppositionsführern jedoch immer weniger. Die Situation in der Hauptstadt Kiew wird somit langsam bizarr: Nicht die Menschen hören auf die Oppositionspolitiker und unterstützen sie. Stattdessen müssen Klitschko und seine Mitstreiter vor die Protestierenden treten, um ihr Gesicht zu wahren.

Gleichzeitig ist es für Präsident Janukowitsch besonders wichtig, dass Vitali Klitschko, Arsenij Jazenjuk und Oleg Tjanibok formal die Führer des Maidan bleiben. Andernfalls könnte er mit niemandem verhandeln. Die Situation würde aus dem Ruder laufen, das heißt: Organisierte Proteste würden sich in einen unkontrollierbaren Volksaufstand verwandeln, den keine Initiative der Staatsmacht mehr erreichte.

Fremdgesteuerte Ultras

Die radikalen Kräfte und Ultras, die zum Aufstand aufrufen, scheren sich ohnehin nicht um Vorschläge zur Entschärfung des Konflikts. Sie fordern nur eins: den Rücktritt von Janukowitsch. Diese Leute werden von irgendjemandem gesteuert: Die Aggressivität von Fußballfans, die sich da auf dem politischem Feld entlädt, ist für die Ultras eine Entscheidung, die sie kaum selbstständig getroffen haben dürften.

Das größte Problem sind jetzt die Regionen in der Ukraine, die gegen die Macht in Kiew aufbegehrt haben. De jure kommt das einem Austritt aus der Ukraine gleich. De facto sind diese Erklärungen wertlos, da die regionalen Behörden Kiew unterstellt bleiben. Steuern und sonstige Abgaben gehen in die Hauptstadt, Renten werden aus dem Budget von Janukowitsch gezahlt. Deshalb ist es falsch, von einer Abspaltung der westlichen Regionen zu sprechen, in denen die Machtorgane vom Volk kontrolliert werden.

Dennoch: Es herrscht Alarmstufe Rot und es zeigt sich, dass an dem Konflikt in der Ukraine auch ausländische Kräfte ein Interesse haben. Allem voran gilt das für Russland und das umso mehr, als in Kiew aufseiten der Sicherheitskräfte mehrfach russische Militärs und Söldner zu sehen waren.

Putins Mitschuld

Immer öfter geben ukrainische Politologen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin eine Mitschuld an der Eskalation des Konflikts in der Ukraine, denn eine demokratische und unabhängige Ukraine würde vor allem ihm nicht ins Konzept passen. Sollte es nämlich dem ukrainischen Volk gelingen, die Macht des Janukowitsch-Klans zu brechen, so könnte das auch Beispiel für die russische Bevölkerung sein, gegen ihre Regierung aufzubegehren.

Deshalb ist die Unabhängigkeit der Ukraine eine direkte Bedrohung für das autoritäre Russland. Putin versteht nur zu gut, dass im Westen der Ukraine niemand für eine Annäherung an Russland ist. Daher wäre es für ihn am leichtesten, auf eine Teilung der Ukraine in Form einer Föderalisierung hinzuwirken – in einen Osten, der Russland gegenüber loyal und zur wirtschaftlichen Kooperation bereit ist, und einen proeuropäischen Westen.

Dieser Variante könnten auch die „grauen Eminenzen“ aus Westeuropa etwas abgewinnen. Weder Russland noch Europa haben ein Interesse daran, ukrainische Territorien zu annektieren. Warum sollten sie auch – jetzt, wo die Wirtschaft der Ukraine total am Boden liegt.

Aus d. Russischen Barbara Oertel

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