Folgen des Neuflughafens: "Eine Stadt mit zwei Schwerpunkten"

Der Neuflughafen Schönefeld kann Berlin stark verändern - und auch scheitern, sagt der Regionalforscher Hans Joachim Kujath.

Gut lachen, weil bald Teil der City? Anwohner in Waltersdorf. Bild: dpa

taz: Herr Kujath, bald eröffnet in Schönefeld der neue Flughafen. Macht er Berlin zu einer neuen Stadt?

Hans Joachim Kujath: Nicht über Nacht, aber vielleicht auf lange Sicht. Das hängt davon ab, wie sich der Flughafen entwickelt. Bleibt er ein Regionalflughafen, sind die Effekte nicht so groß. Ganz anders sieht es aus, wenn das Konzept der Politik aufgeht und er sich tatsächlich zu einem internationalen Drehkreuz entwickelt – das würde die Struktur der Stadt stark verändern. Sie hätte dann zwei Schwerpunkte: die Stadtmitte und das Gebiet um den Flughafen, die „Airport-City“.

Ein politisches und ein wirtschaftliches Zentrum?

69, Regional-Ökonom. Er forscht als Professor an der TU Berlin und als Seniorwissenschaftler am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung zu den räumlichen Folgen des Umbaus von einer Industrie- zu einer Wissensgesellschaft.

Nicht wirklich. Es gibt Wirtschaftsunternehmen, die die Nähe zur Politik und das metropolitane Umfeld suchen und daher das Stadtzentrum als Standort vorziehen. Für andere Unternehmen ist die globale Erreichbarkeit entscheidend. Diese suchen die Nähe des Flughafens: Unternehmen, global agierende Beraterfirmen oder Konzerne, die weltweit Dependancen haben – aber auch Unterhaltungseinrichtungen oder das Messe- und Kongresswesen. Für die ist die Flughafen-City und deren Umfeld interessant.

Der Flughafen als zweites Stadtzentrum – das klingt eher unrealistisch.

Die Erfahrungen anderer Großflughäfen zeigen solche Entwicklungen. Großflughäfen sind zentrale Elemente in einer globalisierten Welt. In den USA ist das ganz extrem, dort sind viele Großflughäfen quasi eigene, abgekoppelte Städte. Auch in den Golfstaaten wird eine solche Entwicklung vorangetrieben, dort baut man sie einfach in die Wüste. Das ist in Europa anders, hier versucht man, die Großflughäfen an die Metropolen anzudocken. Sie sollen voneinander profitieren.

Aber nicht jeder städtische Flughafen wird auch ein wirtschaftliches Zentrum.

Nein. In Hamburg etwa gibt es einen großen, stadtnahen Flughafen, aber der hat keine weitere Funktion als die, der Stadt als Verkehrsinfrastruktur zu dienen. Bei Großflughäfen ist das anders. Sie entwickeln, wenn sie tatsächlich zu einem internationalen Drehkreuz werden, eine wirtschaftliche Eigendynamik. Als ein solcher ist der neue Berliner Flughafen angelegt.

Was darf man vom „Jobmotor Flughafen“ erwarten?

Zum Vergleich: In Frankfurt arbeiten über 70.000 Menschen direkt am Flughafen. Dazu kommen die Zulieferbetriebe und die Auswirkungen auf die Wirtschaft in der Region.

Aber Deutschland hat ja mit Frankfurt und München schon zwei Großflughäfen.

Drei Großflughäfen sind tatsächlich viel für ein Land mit einer geringen Fläche wie Deutschland. Andere europäische Länder haben meist nur einen zentralen Flughafen: Charles de Gaulle in Paris, Heathrow in London. Aber der Flughafen Frankfurt stößt absolut an seine Grenzen. Ich glaube schon, dass es ein Potenzial gibt für einen weiteren Großflughafen in Deutschland.

Eine Wirtschaftsmetropole wie Frankfurt oder München ist Berlin nicht.

Das stimmt. In Frankfurt und München sind die Flughäfen von der Wirtschaft vorangetrieben worden, die diese Infrastruktur als globales Logistikzentrum brauchen und die Flughäfen auch mitfinanziert haben. Der Flughafen in Berlin wird von den beiden Ländern Berlin und Brandenburg und dem Bund vorangetrieben. Er ist ein Projekt der Politik. Und ein typisches Beispiel für Strukturentwicklung in Ostdeutschland: Großprojekte werden hier meist vom Staat angestoßen – und die Wirtschaft springt auf.

Für die Kreativbranche oder die Wissenschaft spielt der neue Flughafen keine Rolle?

Kaum. In der Kreativszene ist der neue Flughafen derzeit kein Thema. Natürlich ist diese Szene auch global vernetzt, und Künstler und Wissenschaftler fliegen auch mal nach New York. Aber es gibt nicht diesen Zeitdruck. Ob man nochmal in Frankfurt umsteigt oder direkt fliegt, spielt keine Rolle. Die Entwicklung eines Großflughafens könnte aber andere Wirtschaftszweige stärken oder anlocken, die bisher eine untergeordnete Rolle gespielt haben, etwa internationale Dienstleister und Beratungsfirmen.

Auch in aufstrebenden Schwellenländern, in China oder Brasilien, werden neue Großflughäfen aus dem Boden gestampft. Kann Berlin da bestehen?

Diese Diskussion gibt es seit ein paar Jahren: Verlieren die europäischen Metropolen als Verkehrsknotenpunkte an Bedeutung? Asien spielt dabei als Konkurrent keine so große Rolle, es ist zu weit weg. Die Flughäfen in den Golfstaaten, in Katar oder Dubai, könnten eher Konkurrenten sein. Die bisherige Erfahrung zeigt aber keine negativen Auswirkungen auf Europa. Je vernetzter die Welt, desto wichtiger werden Großflughäfen und Drehkreuze für alle Kontinente.

Die Krise hat diese Entwicklung nicht gestoppt?

Natürlich ist da ein Einbruch zu spüren. Es gibt weniger Touristen und vor allem weniger Geschäftsreisende. Ähnliche Einbrüche gab es 2001 und 2007, da sind die Zahlen nach etwa zwei Jahren wieder gestiegen.

Hängt es auch von der wirtschaftlichen Entwicklung Europas ab, ob Schönefeld zum Großflughafen wird?

Eher indirekt. Größere Auswirkungen hat etwa die Zukunft von Airberlin. Das ist die wichtigste Airline des neuen Flughafens, und sie steckt gerade in einer heftigen Krise. Wenn sie die überwindet und es schafft, sich wie geplant in einer internationalen Allianz neu aufzustellen, hat der neue Flughafen gute Chancen, Drehkreuz zu werden. Dann muss sich nur noch zeigen, ob auch andere Airlines ihn zum Umsteigen nutzen und ob er sich etwa auch als Hauptflughafen für Teile von Polen etabliert.

Dass ein neuer Flughafen aufmacht – merken das auch die Berliner, die nicht vom Fluglärm betroffen sind?

Ich hoffe es. Wenn künftig mehr internationale Ziele direkt erreichbar sind, haben die Berliner etwas davon, als Touristen oder Geschäftsreisende. Mehr internationaler Austausch kann auch eine Stadt internationaler machen, weltoffener. Und natürlich ist zu hoffen, dass der Flughafen dazu beiträgt, die hohe Arbeitslosigkeit abzubauen.

Kippt die Stadt nach Südosten? Und verliert der Nordwesten?

Die Bezirke um Tegel verlieren nicht unbedingt. Viele Gegenden werden durch den Wegfall des Fluglärms als Wohngegend attraktiver. Da waren große und dicht besiedelte Gebiete vom Fluglärm betroffen: Pankow, Spandau, Reinickendorf. Die Menschen dort werden aufatmen, wenn der neue Flughafen eröffnet. Was jedoch die Attraktivität als Wirtschaftsstandort angeht – da gerät der Norden ins Hintertreffen.

Und der Südosten gewinnt.

Das auf jeden Fall. Es gibt natürlich Unterschiede. Durch den Flughafen entsteht eine „Geografie des Lärms“. Es entstehen Bereiche um den Flughafen, die beeinträchtigt sind, wo Immobilien an Wert verlieren und es sich nicht mehr so gut leben lässt wie zuvor. Aber all jene Bereiche im Südosten Berlins, die nicht direkt vom Lärm betroffen sind, werden aufgewertet. Das betrifft sowohl die Dörfer und Kleinstädte im Umland des Flughafens als auch die Berliner Bezirke im Süden und Südosten, etwa Neukölln. Wie stark diese Entwicklung ist, hängt davon ab, wie sich der Flughafen tatsächlich entwickelt.

Und davon, wie stark die Politik den Ausbau einer Airport-City vorantreibt.

Das tut sie bereits. Es gibt Pläne für die langfristige Entwicklung der Region, die ganz klar den Aufbau eines neuen Entwicklungskorridors Südost vorsehen. Der würde von der Flughafen-City über das Wissenschaftszentrum Adlershof nach Mitte reichen. Dort sollen verstärkt Gewerbegebiete ausgewiesen werden. Gleichzeitig wird die Verbindung vom Stadtzentrum zum Flughafen eine neue Verkehrsachse. Schon jetzt ist Schönefeld an das ICE- und Regionalnetz angeschlossen, neue Straßen wurden gebaut.

Woran könnte der Aufstieg Berlins zum neuen Luftfahrt-Standort scheitern?

An der Politik. Nicht so sehr an den Parteien, die stehen zum großen Teil hinter dem Ausbau. Aber die politische Landschaft rund um den Flughafen ist komplex. Da sind zwei Länder beteiligt und mehrere Gemeinden, der Bund, die Flughafengesellschaft, die Airlines. Die Flughafenentwickler haben in der Anfangsphase der Planung einen großen Fehler gemacht: Sie haben die betroffenen Bürger nicht genügend einbezogen und zu wenig Transparenz über das Vorhaben und seine Auswirkungen hergestellt.

Hat die Politik die Bürger unterschätzt?

Ja. Man dachte: Da sind ja nur vergleichsweise wenige Menschen betroffen. Und war dann überrascht, wie groß der Widerstand ist.

Haben Flughafen und Politik daraus gelernt?

Teilweise. Es gibt jetzt Foren, in denen Bürger und betroffene Gemeinden sich einbringen können. Dennoch bleibt das weiterhin der heikle Punkt: Solch ein Großprojekt kann nicht gegen die Bürger durchgesetzt werden. Da sind handfeste Konflikte programmiert, die lassen sich nicht lösen, höchstens abmildern. Das Projekt steht und fällt damit, ob das der Politik gelingt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.